43 - Ich liebe dich 1.0

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Beschwingten Schrittes biege ich in Charlottes Straße ein. Meine Freundin musste sich ja die Pest zuziehen, oder die Göffel-Krankheit, wie sie sie höchst eigens getauft hat. Jetzt, wo sie wieder gesund ist, will ich nix lieber als mit ihr draußen zu chillen, denn das Wetter ist absolut herrlich. Deswegen schwebe ich über den Asphalt. Zu meiner guten Laune trägt außerdem bei, wie viel Arbeit ich erledigen konnte. Es war also insgesamt okay für mich, Charlotte ein paar Tage am Stück nicht zu sehen. Wir haben uns trotzdem ununterbrochen geschrieben.

Ich drücke auf den Klingelknopf und werde reingelassen, ohne Nachfrage, wer da ist.
Meine Freundin öffnet mir die Wohnungstür in einem waldgrünen Pullover und pechschwarzen Jeans. Obwohl sie sich nicht besonders in Schale geworfen hat, mache ich ihr ein Kompliment: „Du siehst gut aus."
„Hi erstmal", begrüßt sie mich und tritt einen Schritt zurück. „Komm rein." Automatisch ziehe ich meine Jacke aus und stelle meine Schuhe zu ihren, was immer seltsam aussieht, weil ich nun mal viel größere Füße habe. Sie schmunzelt offensichtlich genau darüber, als mein Blick zu ihr zurückgleitet. Im nächsten Moment lächelt sie mich an und mir wird wohlig warm. Meine Fingerspitzen kribbeln. Ich lege meine Hände an ihr Gesicht und sie sieht mir tief in die Augen. So lange hab ich gewartet. Dieser Kuss muss ausgekostet werden. Meine Lippen treffen auf ihre, unsere Zungen finden sich und hole sie so nah zu mir ran, wie es geht. Ich habe sie fürchterlich vermisst. Ihr Duft hüllt mich ein.

Charlotte lächelt nach wie vor, sie dreht sich um und steuert wohl ihr Bett an. Jedenfalls lockt sie mich hinterher. Unsanft ziehe ich sie am Saum ihres Pullovers zu mir zurück.
„Keine Chance, du kannst dich nicht ins Schlafzimmer verdrücken, ich will raus und du wirst mitkommen. Es ist geniales Wetter."
„Ich hab aber keine Lust, außerdem wird es jede Minute anfangen zu regnen", mault sie und ich schlinge beide Arme fest um sie. Sie lehnt sich nach hinten, aber ich lasse mich nicht von ihr aus dem Gleichgewicht bringen, lege stattdessen eine Hand an ihren Rücken und meine Lippen auf ihre. Sie leistet noch ein paar Sekunden eingeschnappten Widerstand, dann schließlich ergibt sie sich und erwidert den Kuss. Mein triumphales Grinsen jedoch, das sich in die Zärtlichkeit einschleicht, lässt sie mir nicht durchgehen. Hätte ich mir denken können.

„Vincent Stein, nur weil du unbedingt Gassi gehen musst, bedeutet das noch lange nicht, dass ich dich ausführen werde." Sie windet sich aus meinem Griff und ich falte die Hände seufzend in meinem Nacken.
„Du sollst mich auch nicht an die Leine nehmen, sondern neben mir laufen, während ich deine Hand halte. Das ist romantisch, ein Spaziergang – bei Nacht, im Regen", zähle ich auf und nähere mich ihr wieder. Charlotte legt den Kopf leicht schief. „Komm schon, tu mir den Gefallen", bitte ich sie. „Ich mach's wieder gut", sage ich leise, direkt an ihrem Ohr. „Ich bin nie wieder kitschig zu dir, wenn du dich jetzt dazu breitschlagen lässt", verspreche ich sogar, küsse sie wie zur Bestätigung am Hals und Charlotte atmet überrascht ein, bevor sie sich zu mir umdreht und mich auf den Mund küsst. Lang und ausgiebig. Wann immer sie das tut, wird mir jedes Mal ganz anders dabei. Auf eine gute Art und Weise. Als sie sich von mir löst, lehne ich meine Stirn gegen ihre.

„Mit dir rumzuknutschen baut irgendwie Stress ab", legt sie mit gedämpfter Stimme ein Geständnis vor mir ab. Mit dem Daumen streichle ich ihre Wange und betrachte sie. Gott, sie ist wunderschön. Nichts könnte mich je vom Gegenteil überzeugen.
„Du küsst auch ganz passabel", necke ich sie und Charlotte schubst mich lachend von sich weg.
„Ich hatte gerade ernsthaft in Betracht gezogen, mich auf diese romantische Nachtwanderung mit dir einzulassen, aber –"
„Ey, komm", werfe ich ein. „Nix aber, zieh deine Schuhe an und dann raus, ab vor die Tür. Du warst krank und hast dich zwei Wochen hier drin verbarrikadiert. Jetzt ist Schluss damit, du musst draußen wenigstens ein bisschen frische Luft schnappen, das stärkt die Abwehrkräfte."
„Danke, ich trinke lieber Actimel", entgegnet sie trocken.

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