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Drei Jahre war es her seit ich zum letzten Mal diese Straße entlang fuhr. Drei Jahre seitdem ich ihn sah. Nate, seine kleine Schwester Elena, die so alt war wie ich. Seine Mutter Jessica, welche mich immer mit Warmherzigkeit empfang. Liam, seinen besten Freund, der für mich wie ein großer Bruder war und viele weitere Namen. Alles Namen auf meiner Liste, von Menschen denen ich nie wieder begegnen wollte. Namen von Menschen, die mir das Herz gebrochen haben.

Seit dieser Nacht im Oktober vor drei Jahren, habe ich von niemanden etwas gehört. Keiner hatte mich am nächsten Tag verabschiedet, keiner rief an meinen Geburtstag an, keiner schrieb mir eine Nachricht als mein Vater vor zwei Jahren verstorben war. Bloß einmal läutete mein Handy und Nates Name leuchtete auf meinem Display auf. Ich hob allerdings nicht ab, zu groß war der Schmerz und zu tief war mein Stolz verletzt worden. Ich konnte Monatelang weder schlafen, noch essen, ich war ein Frack. Selbst als meine Mutter stundenlang mit meiner Tante telefonierte um herauszufinden was passiert war, konnte ich nicht aufhören mich vor Panickattaken zu winden. Erst als ich in der Schule auf neue Menschen traf, welche schnell meine Freunde wurden, begann ich wieder zu atmen.

Und nun sitze ich, in meinem acht Jahre alten Audi und fuhr den mir so verhassten Weg. Es ist komisch, obwohl ich drei Jahre nicht mehr hier war und selbst nie mit dem Auto gefahren bin, konnte ich mich noch an jede Stelle erinnern. Früher konnte ich es nie abwarten, endlich wieder in Ontac zu sein. Ich habe diese kleine Stadt so sehr geliebt, sie war wie ein zweites zu Hause für mich. Meine Eltern merkten schnell wie gern ich in Ontac war, weshalb sie sich ein kleines Häuschen am Waldrand kauften. Seit ich zwei Jahre alt war, verbrachten wir jede Ferien hier. Ontac war eine Kleinstadt wie aus einem Bilderbuch. Es gab nicht viel, zwei kleine Supermärkte, eine Bank, eine Schule, einen Bäcker und einige kleine Bars. Die nächst größere Stadt lag weitere eineinhalb Stunden entfernt.

Ich sah in meinen Rückspiegel und konnte den grauen Golf meines besten Freundes erkennen, welcher mir die letzten 280 Kilometer folgte. Adrian war mit mir in einer Klasse und Jahrgangsbester. Ich konnte mit ihm über alles reden und war froh, dass er mich diesen Sommer begleiten würde, alleine wäre ich niemals zurückgekommen. Doch meine Tante Heather heiratet und natürlich musste ich dabei sein. Die Hochzeit ist zwar erst in zwei Wochen, allerdings musste ich einige Sachen im Haus begutachten. Zwar hat Heather immer mal wieder nach dem Rechten geschaut, jedoch wollten wir das Haus verkaufen und somit mussten wir noch einiges reparieren und sanieren.

Ich schaltete meinen Blinker ein um Adrian zu signalisieren, dass wir die nächste Ausfahrt rausmüssen. Als nach einigen Augenblicke endlich das Ortsschild zu sehen war, begann mein Herz wie automatisch gegen meine Brust zu hämmern. Seit ich von der Hochzeit erfuhr, fürchtete ich mich vor diesem Tag. Ich hatte beinahe vor allem Angst was mich hier erwartete, doch am meisten fürchtete ich mir davor Nate wiederzusehen. Ich wusste, dass auch er und seine Familie auf die Hochzeit eingeladen waren, schließlich kannten sich Heather und Jessica ebenfalls schon sehr lange und waren sehr gut befreundet, jedoch hoffte ich immer noch stark, ihn aus dem Weg gehen zu können.

Ich parkte vor dem Haus und schaltete den Motor aus und holte nochmal tief Luft bevor ich es wagte und ausstieg. Ontac war sehr pragmatisch aufgebaut, man konnte so gut wie alles zu Fuß erreichen und musste nie weit gehen. In der Stadtmitte gab es einen Park, welcher früher immer der Treffpunkt für die Jugendlichen war. Der Park lag etwa fünf Gehminuten von unserem Hause entfern und ich hoffte inständig, niemanden zu sehen. Das Problem an Kleinstädten war allerdings, dass man immer irgendjemand sah den man kannte. Es gab so gut wie keine Privatsphäre. Früher habe ich es geliebt, dass ich nur aus dem Haus musste und sofort jemanden traf, mittlerweile wurde es zu meiner größten Angst.

„Verdammt, Lia. Das war ne echt lange Fahrt." hörte ich bereits Adrians Stimme und drehte mich schwungvoll zu ihm um. „Das habe ich dir bereits gesagt als ich dich gebeten habe mich zu begleiten." erwiderte ich lachend und ließ mich erschöpft in seine Arme fallen. „Da sind wir also. Ontac, und dieser Ort macht dir seit Wochen Kopfzerbrechen? Ernsthaft Lia, dieser Ort ist wie jeder andere in Amerika." meinte Adrian und sah mir dabei fest in die Augen. „Ich weiß, es ist auch nicht unbedingt der Ort, es sind die Menschen. Abgesehen von Heather gibt es hier niemanden, den ich nicht hasse." erklärte ich. „Hass ist ein starkes Wort für eine so feine Dame wie dich." sagte er und begann bereits seine Koffer aus dem Auto zu holen. „Ich bin keine feine Dame und das weißt du am besten." lachte ich ihm entgegne und drehte mich ebenfalls zu meinem Auto. „Ich kanns kaum erwarten deinen Ex zu sehen." sagte er nun und ging mit mir langsam zur Haustür. „Wenn wir Glück haben müssen wir ihn gar nicht sehen. Vielleicht ist er ja Tot oder so." sprach ich leise meine Gedanken aus. „Woah Lia, sowas solltest du wirklich nicht sagen." meinte Adrian ernst. „Ich weiß, aber es würde mich nicht besonders stören." widersprach ich und öffnete die Tür.

Drinnen sah es immer noch so aus wie früher, als wäre keine Zeit vergangen. Wenn man reinkommt steht man eigentlich direkt im Wohnzimmer, links geht's in die Küche und rechts ins Badezimmer. „Wenn du durchs Wohnzimmer gehst ist auf der linken Seite die Tür zu deinem Schlafzimmer." erklärte ich Adrian und brachte meinen Koffer ins rechte Schlafzimmer. Mein altes Zimmer. Mein Zimmer voll mit Fotos und Bildern der vergangenen Sommer. Mein Zimmer voll mit Erinnerungen. Als ich dastand und mein altes Bett sah, musste ich schlucken. Wie konnte dieser unglaublich schöne Ort, nur zu einem Albtraum werden.

„Okay, süße. Lassen wir für heute das auspacken und putzen. Es ist bereits Abend und ich bin total fertig von der langen Fahrt. Wie wärs, ich mix uns ein paar kühle Getränke und wir machen es uns auf der Couch gemütlich?" fragte mich Adrian und lächelte mich dabei an. „Das klingt fantastisch, ich gehe nur noch schnell duschen, danach können wir uns betrinken." erwiderte ich darauf und ging ins Badezimmer.

Unter der Dusche versuchte ich krampfhaft nicht loszuheulen, doch die Erinnerungen überkamen mich wie Stürme und ließen mich an den Tag zurückdenken, welcher mein Leben veränderte. Ich weiß nicht, wie lange ich unter der Dusche stand, als das Wasser aber immer kälter wurde, entschied ich mich dazu, rauszusteigen. Ich konnte bereits die laute Musik aus den Bässen hören und freute mich, nicht alleine in diesem Hause zu sein. Also trocknete ich mich ab, zog mir eine kurze Schlafhose und ein Bauchfreies Top an und ging ins Wohnzimmer, wo Adrian bereits mit zwei Gläsern auf mich wartet.

Hätte ich in diesem Moment gewusst, was in diesem Sommer noch alles passieren wird, wäre ich wahrscheinlich ohne zu zögern, sofort wieder heimgefahren.

Day and NightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt