Breath

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Ich musste atmen, ich fühlte mich als würde ich ersticken, als könnte ich mich nicht bewegen. Ich fühlte mich augenblicklich wieder in das kleine, unsichere Mädchen von früher zurückversetzt. In einer Millisekunde war ich wieder das fünfzehnjährige Mädchen, welches verletzt und traurig im Wald allein gelassen wurde. Atmen, ich musste atmen, ich musste versuchen mich selbst wiederzufinden. „Babe, da stehen zwei Polizisten vor der Tür." schrie Adrian laut in meine Richtung. Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen und war mir unsicher, ob sich Adrian einen Scherz erlaubte, ich war mir zu einhundert Prozent sicher, dass ich Nates Stimme erkannt hatte. Mit erhobenem Kopf und selbstsicheren Gang, ging ich um die Ecke und stand vor der bereits geöffneten Tür. Mir verschlug es beinahe dem Atem als ich Nate sah, er war wohl der schönste Mann, den ich je gesehen hatte, dachte ich mir und verzog dabei gleichzeitig angewidert das Gesicht. Fragend zog ich meine Augenbrauen in die Höhe, ich würde bestimmt nicht den ersten Schritt machen, also wartete ich darauf, bis einer etwas sagte. Nate allerdings sah mich nur an, ohne etwas zu sagen, in seinem Gesicht konnte man keinerlei Regung erkennen, es war wie aus Stein gemeißelt.

Langsam bewegte sich Adrian in meine Richtung und legte seinen Arm um meine Schulter, bevor er zu sprechen begann „Gibt es hier irgendein Problem, Officer?" Und jetzt erst bemerkte ich, dass Nate tatsächlich eine Polizei Uniform trug. Er antwortete immer noch nicht, sondern starrte mich nur an, obwohl er mittlerweile auch zu Adrian schaute und ihn musterte. Fast sah es so aus, als ob eine kleine Regung in seinem Gesicht zu erkennen war, als ob er etwas sagen wollte.

„Wir haben die laute Musik gehört, abgesehen davon, kann man euer Marihuana die nächsten fünf Kilometer weit riechen." sprach plötzlich jemand hinter Nate und trat einen Schritt weiter vor ins Licht. Liam, es war eindeutig Liam, Nates bester Freund. Nun sah auch er mich an und verzog dabei fragend das Gesicht. „Was genau ist das Problem? In diesem Bundestaat ist Marihuana legal, die Musik könnten wir auch leiser drehen, allerdings sehe ich keinen Grund dafür, vor allem da sich in unserer Umgebung keine direkten Nachbarn befinden." sagte Adrian ruhig und sachlich, wobei ich mich wirklich wunderte, wie er noch so nüchtern klingen konnte, während ich mir schwertat zu stehen. „Um Marihuana zu rauchen, auch wenn es tatsächlich legal ist, müsstet ihr einundzwanzig sein, falls mich meine mathematischen Kenntnisse nicht im Stich lassen, bist du Lia, achtzehn. Wo sind deine Eltern?" stellte er die Frage nun direkt an mich. Nate starrte mich immer noch an, ich meinte einen Funken Enttäuschung in seinen Augen zu erkennen, allerdings war sein Gesichtsausdruck immer noch unverändert, womit ich diese Beobachtung auch einfach auf den Alkohol schieben könnte. „Was geht Sie das an?" stellte Adrian die Gegenfrage.

„Was uns das angeht?" begann nun Nate zu sprechen. Er sprach und seine Stimme war rau und kalt, meine Nackenhaare stellten sich auf und ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Adrian schien das zu merken, denn sein Griff um mich wurde mit einem Mal stärker. „Lia ist achtzehn und sichtlich betrunken. Da ich ihre Personalien allerdings ohnehin kenne, hätte ich nun gerne Ihre und glauben Sie mir, falls ich sehe, dass Sie unter einundzwanzig sind, werde ich Sie verhaften und mit aufs Revier nehmen!" sprach Nate weiter und sah Adrian dabei mit einem unausweichlichen, hasserfüllten Blick an, dass es sogar mir kalt den Rücken runterlief. Er kannte meine Personalien ohnehin? Wie meinte er das, als ob er sich nach all der langen Zeit noch an mich erinnern würde.

„Wir drehen die Musik leiser, in Ordnung?" erwiderte Adrian nun leiser und nicht mehr so selbstsicher wie gerade eben noch. Nate schaute zurück zu mir, sein Gesicht war männlicher geworden. Sein Kinn war markant, er hatte einen drei Tage Bart und seine Wangenknochen waren weit oben. Seine Nase war immer noch gerade, sie passte perfekt in sein Gesicht und seine dunklen, blauen Augen gaben mir das Gefühl direkt in meinen Geist einzudringen. Immer noch hatte ich kein Wort gesagt, immer noch versuchte ich krampfhaft stehen zu bleiben, nicht zu zittern. „Ihre Personalien, sofort!" sagte Nate erneut, in einen strengen Ton.

Langsam verdrehte ich meine Augen und sagte, „Wir sind eben erst angekommen, lassen wir es für heute gut sein. Wir drehen die Musik aus und legen uns hin, okay." Doch es war nicht als Frage formuliert, ich wollte mich schon umdrehen und die Haustüre schließen, als ich merkte das Nate die Tür aufhielt. „Die Personalien!" wiederholte er. Ich schaute ihn direkt in die Augen und sagte leise, „Bitte, lass es gut sein." Einen Augenblick lang sah er mich an, bevor er sich zu Adrian umdrehte und meinte „Wenn wir noch mal herkommen, und das werden wir, und wieder eure Drogen riechen oder Musik hören, kommt ihr beide mit."

Als Antwort nickte ich nur und war froh, dass er es auf sich beruhen lässt. Langsam drehte ich mich und wollte gerade die Tür schließen als ich Nate noch sagen hörte, „Und zieh dir etwas an." Wütend drehte ich mich um und wollte etwas erwidern, doch Adrian hielt mich zurück und schloss nun endgültig die Tür. Dieses Arschloch, wie konnte er es wagen mir zu sagen, dass ich mir etwas anziehen soll. Selbst wenn ich komplett nackt gewesen wäre, dann hätte er immer noch kein Recht mir zu sagen, was ich zu tun habe.

„Das war dein Ex-Freund?" fragte mich Adrian, nachdem wir wieder zurück ins Wohnzimmer gegangen sind. Nickend gab ich ihn zu verstehen, dass es genau so war. „Fuck Lia, er sieht aus wie ein Gott!" schrie Adrian mich an und ich unterdrückte ein leises Lachen. Ja er sah verdammt gut aus, er sah heute noch besser aus als damals. „Aber dieser andere Polizist hinter ihm, der sah auch ziemlich heiß aus." redete er weiter. Lachend sagte ich „Das war Liam, sein bester Freund." Ungläubig sah Adrian mich an und schüttelte den Kopf. „Und du hast nie versucht mit beiden gleichzeitig, du weißt schon, naja einer hinten einer vorne." Angewidert verzog ich das Gesicht. „Adrian, ich habe ihn geliebt, er war meine Sonne, mein Mond, meine Sterne. Ich hätte alles für ihn gemacht, ich wollte sogar meine Eltern bereits überreden hierher zu ziehen. Er hat mich an jedem einzelnen Tag unglaublich glücklich gemacht. Ich wäre niemals mit Liam ins Bett gestiegen. Und der hintere Eingang ist wohl eher dein Spielraum." zwinkerte ich ihm noch zu. Adrian nahm mich in den Arm und lachte sich fast kaputt. „Lass ins Bett gehen, ich bin Hundemüde und morgen möchte ich die Stadt sehen. Schlaf gut, kleines Glühwürmchen." Er gab mir noch einen Kuss auf den Scheitel und verabschiedete sich, bevor er in das ehemalige Schlafzimmer unserer Eltern ging.

Ich ging noch zu meinem Glas und trank den Rest in einem Zug leer, bevor ich erneut in mein altes Schlafzimmer ging und mich ins Bett lag. Es waren Stunden, Tage, Monate, in denen ich so dalag und die Decke anstarrte, so kam es mir zumindest vor. In Wirklichkeit waren wahrscheinlich nur einige kurze Minuten vergangen, allerdings wurde mir schnell klar, dass ich in diesem Zimmer wohl keinen ruhigen Schlaf bekommen würde. Ich stand also leise auf und berührte dabei den kalten Boden als ich zu Adrian ins Zimmer schlich. Er atmete bereits in regelmäßigen Abständen und im Mondlicht, welches hell durch sein Fenster schien, konnte ich erkennen, wie sich seine Brust in einen gleichmäßigen Rhythmus nach oben bewegte. Ich legte mich zu ihm und umarmte ihn kurz von hinten, bevor er sich umdrehte und mich in seine Arme nahm. „Kannst du nicht schlafen?" fragte er und streichelte mir dabei sanft über meinen Oberarm. „Nein, ich habe damit gerechnet ihn zu sehen, allerdings dachte ich nicht, dass ich ihn so früh wiedersehen muss." antwortete ich und leise lief mir eine Träne die Wange runter. Das ich immer noch auf ihn reagierte machte mich wütend, dass er immer noch einen solchen Einfluss auf mich hatte, darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Er küsste mich nochmal am Hinterkopf, nahm mich noch ein bisschen fester in den Arm und so schlief ich irgendwann ein. Geschütz in den Armen meines besten Freundes, in welchen mir niemand weh tun konnte.

Day and NightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt