Ein Ende setzen

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Lillians Sicht

Er drehte sich mit hochgezogener Braue nach mir um, sah von meiner Hand in mein Gesicht und dann wieder auf meine Hand, bevor er sich aus meinem nicht besonders starkem Griff löste und die Arme vor der Brust verschränkte. "Ich...ich habe die letzten neun Jahre in Angst vor dir gelebt, ich kann das nicht so einfach abschalten Jake...ich weiß nicht, was ich tun soll...ich will nunmal nicht...hier sein...", dabei senkte ich meinen Blick und griff mir unsicher an den linken Oberarm, "Ich hab Angst, dass ich, egal was ich tue, dich damit verärgere und du mich dann wieder bestrafst...ich kann das nicht mehr, genau so wenig, wie ich mich dir einfach hingeben kann und ich weiß, dass du das nicht hören willst aber...alles was ich möchte ist hier raus zu kommen, mich bewegen zu können ohne Angst haben zu müssen, dass du es für einen Fluchtversuch hälst...Ich weiß, dass du gesagt hast ich müsste keine Angst mehr haben, wenn ich mich dir hingebe aber sind wir mal ehrlich, ich kenne dich und mich gut genug um zu wissen, dass das auf Dauer nicht funktioniert und ich ertrage diesen Stress nicht mehr...", meine Stimme zitterte und ich war kurz davor in die Knie zu gehen. "Ich kann das hier nicht mehr Jake...lass mich bitte einfach gehen...es wird nie jemand erfahren was hier passiert ist, ich schwörs bei meinem Leben, nur bitte...bitte lass mich endlich gehen...", ich sah ihn mit Tränen in den Augen an, sein Gesicht spiegelte nicht eine Emotion wieder, die Stille zwischen uns war kaum zu ertragen. Er atmete durch, leckte sich über die Lippen und sah mich dann todernst an, "Nein.", damit drehte er sich um und verließ den Raum, schloss hinter sich ab. Ich brach zusammen und schrie ihm hinterher, "Ich hasse dich! Hörst du? Ich hasse dich...", ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und weinte bitterlich. Ich saß eine gefühlte Ewigkeit auf dem Boden, bis die Tränen versiegt waren, ich drehte mich um, sah zur Glastür und stand auf, ich nahm den Griff in die Hand und drehte ihn, das war dann wohl meine letzte Chance. Er musste vergessen haben, die Tür zu verschließen, doch es war einzig und allein zu meinem Vorteil. Ich trat hinaus in die Dunkelheit und wurde von einer allumfassenden Kälte empfangen. Jake hatte das Zimmer am Ende des Ganges, was bedeutete dass die Feuertreppe auch hier ihr Ende fand, ich ging darauf zu und sah über die Brüstung nach unten. Einen Sturz würde ich vermutlich nicht überleben, aber das war ja das Ziel, oder? Wenn Jake mich nicht gehen lassen würde, musste ich es eben auf meine Weise beenden und welcher Tag wäre passender gewesen, als der meiner Geburt? Ich legte meine Hände auf das kalte Metall und ein Schauer durchlief meinen Körper. Es fühlte sich an, wie in Zeitlupe, als ich mich nach oben drückte um über die Brüstung zu klettern, erst das rechte Bein, dann das linke und schon saß ich auf dem Geländer, bereit dem Ganzen ein Ende zu setzen.

"Hey mein Schatz, ist alles in Ordnung?", fragte mich meine Mutter, nachdem sie mein Zimmer betreten hatte. Ich saß schniefend in der Ecke und wischte mir die Tränen aus den Augen. "Was ist denn los Schätzchen?", sie hockte sich vor mich und ihr Blick fiel auf den Brief den ich in meinen Händen hielt, sofort änderte sich ihr Blick, er war leer und ich konnte Tränen erkennen. "Hast du Mamas Post gelesen?", fragte sie leise und ich nickte langsam. "Warum denn Süße?" "Du sahst so traurig aus, als du ihn gelesen hast, ich wollte wissen warum du weinst.", gab ich leise zurück. Ich kannte jetzt den Grund, den Grund warum mein Vater nicht zurück kommen würde, warum er sich nicht meldete. Er war gestorben, nur verstand ich nicht, warum. "Warum ist Papa gestorben?", fragte ich schniefend und sah meine Mutter fragend an. "Papa hatte eine ganz böse Krankheit mein Schatz, er ist gegangen, damit du ihn nicht krank sehen musstest und er dachte es wäre leichter für dich, wenn er nicht mehr Teil deines Lebens wäre, er hat dich sehr geliebt und wollte immer nur das Beste für dich.", flüsterte meine Mutter mir zu, bevor sie mich in ihre Arme zog. Nur kurze Zeit später, sollte ich auch sie verlieren.

Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, ich würde zu ihnen kommen und sie wieder sehen, dessen war ich mir sicher. Ich sah noch einmal nach unten, ich müsste nur mit dem Kopf zuerst aufkommen und dann wäre alles vorbei. Ich schloss die Augen und atmete tief durch, einmal, zweimal, dreimal. Ich öffnete meine Augen, ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen, gleich würde es vorbei sein. Ich ließ das Geländer los, beugte mich nach vorn und war im Begriff zu fallen als ich plötzlich zurückgerissen wurde. "Lass mich los!", schrie ich und zappelte, woraufhin ich nur noch stärker festgehalten wurde. "Hör auf zu zappeln. Komm her und hilf mir mal.", die Stimme war mir fremd, es musste sich also um Jakes Wachmänner handeln. Ich schluchzte und hörte auf mich zu bewegen, als mich der zweite auch noch festhielt. "Lasst mich einfach springen, bitte...", wimmerte ich verzweifelt, doch ich hatte keine Chance. Sie hoben mich an und trugen mich zurück in Jakes Zimmer, sie funkten ihn an und sagten, dass es ein Problem gäbe, dass er und die Anderen sich beeilen sollten. Und wieder kam mir alles vor wie in Zeitlupe, die beiden ließen mich los und ich sank auf die Knie, die Tür ging auf und ein aufgebrachter Jake betrat mein Blickfeld, hinter ihm konnte ich die anderen erkennen. Die Männer erklärten Jake was passiert war, doch ich war nicht aufnahmefähig. Jake zog mich an den Armen nach oben, schüttelte mich, schrie mich an, verpasste mir eine Ohrfeige, doch ich wachte nicht aus meiner Trance auf. Das war meine letzte Chance und wenn ich ein paar Sekunden früher gesprungen wäre, wäre es vorbei gewesen, es hätte endlich ein Ende gefunden.

At the End of FallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt