Keine fünf Meter weit

259 7 0
                                    

"Hör mir zu, wenn ich mit dir rede.", fauchte er mich an und winzige Tränen rannen mir die Wangen hinab. "Du hast dieses Zeug nicht zu verwenden, wenn es keinen Anlass gibt. Und ich erinnere mich nicht daran, dir einen Anlass dazu gegeben zu haben.", er fuchtelte wild gestikulierend mit den Händen, während er mich wütend ansah. Er holte aus und ich konnte vor Schreck nur vernebelt den Schmerz spüren, der sich nach und nach immer weiter durch meine Nervenbahnen schlich und sich tief in meine Seele brannte. Es war bei weitem nicht das Erste mal, doch hatte ich nicht damit gerechnet. Er verließ den Raum, aber nicht ohne sich noch einmal zu mir zu drehen und mir die Worte, die folgten, fast schon vor die Füße zu spucken, "Wisch dir diesen Schund aus dem Gesicht, du siehst aus, als hätte man dich am Strich aufgesammelt.". Was diese Worte bedeuteten wusste ich nicht, woher hätte ich es denn wissen sollen?

Ich verließ das Badezimmer und begegnete Jakes erstauntem Blick. "Du siehst überraschend gut aus.", gab er zu, reichte mir dann ein paar hohe Schuhe und sah mich erwartend an. Ich schlüpfte in die Schuhe und war infolge dessen gute fünf Zentimeter größer als zuvor. Ich kam mir albern vor, aber Jakes Blick verriet mir, dass dem nicht so war. "Wenn wir nicht dringend los müssten, würde ich dich auf der Stelle vögeln.", raunte er mir zu, legte seine Hände an meine Hüften und ich spürte, wie er seine Lippen an meinen Hals legte und leicht daran sog. Ich erwiderte nichts, stand einfach stumm da und ließ es über mich ergehen. Eine andere Wahl hatte ich schließlich nicht. Er löste sich abrupt von mir und nahm sich meine rechte Hand, an welcher er mich hinter sich her zum Ausgang zog. Ich war kaum fähig in den Schuhen zu laufen, ich stolperte ihm mehr oder weniger einfach hinterher. Am Ausgang angekommen öffnete er die Tür und mir wehte der kühle Abendwind entgegen. Ich blieb unvermittelt stehen, richtete meinen Blick gen Himmel und atmete tief durch. Es tat gut, die frische Luft zu atmen. Ich öffnete meine Augen und sah die leuchtenden Sterne ganz klar, senkte dann den Kopf ein Stück und sah mich um. Gute zehn Meter von uns entfernt stand der Wagen, mit dem ich hergebracht wurde, Dimetri, Alistair und Dexter warteten bereits davor. Mein Blick striff Dexter, welcher mich von oben bis unten musterte und dann ein süffisantes Grinsen aufsetzte. Ich sah mich auf dem Gelände um, während Jake mich etwas langsamer als zuvor weiter auf den Wagen zu zog. Ich spürte, wie sein Griff fester wurde und hörte ihn kurz darauf flüstern, "Denk nicht mal an eine Flucht, in diesen Schuhen kommst du keine fünf Meter weit, ohne dich selbst dabei zu verletzen. Außerdem, sind wir alle da, um dich wieder einzufangen.". Ich schauerte, denn er hatte unvermeidbar recht. In diesem Moment würde mir eine Flucht auf gar keinen Fall gelingen. Wir hatten den Wagen erreicht und Dexter öffnete die Tür. "Na los, rein mit dir.", gab Jake von sich, während er mich in den Wagen schob und ich mich auf der Rückbank, zwischen Dimetri und Alistair wiederfand. Jake und Dexter nahmen uns gegenüber platz und Jake gab dem Fahrer ein Zeichen, damit dieser los fuhr. "Wohin fahren wir?", fragte ich zögernd, da mir bisher noch niemand erklärt hatte, warum ich dieses Outfit tragen sollte. Erst jetzt fiel mir auf, dass alle der Jungs ausnahmslos maßgeschneiderte Anzüge trugen. "Das soll dich nicht interessieren. Was dich allerdings interessieren sollte, ist, wie du dich zu verhalten hast. Also ist es besser, wenn du mir jetzt genau zuhörst, verstanden?", fragte er etwas gereizt und ich gab ein leises 'Verstanden.' zurück. "Also meine Hübsche, du wirst die Rolle von Dexters Verlobter übernehmen, die ihrem Mann zuliebe in das Geschäft mit einsteigen möchte. Du wirst Dexter nicht von der Seite weichen. Du wirst nicht alleine mit Irgendjemandem reden, am besten du redest gar nicht, du wirst auf alles hören, was Dexter dir sagen wird, ohne wenn und aber, verstanden?", er klang sehr fachmännisch und ich erwiderte ein leises "Ja, ich hab verstanden.". Danach trat ein bedrücktes Schweigen ein und ich sah stumm aus dem Fenster.

"Lillian?", ich ignorierte ihre Stimme, wollte sie nicht sehen, nicht mit ihr reden. "Lillian, bitte, rede mit mir.", flehte sie mich an, doch ich wollte nicht. Alles was ich wollte, war ein friedliches Leben, ein Leben in Familie. "Er hat mich einfach verlassen.", flüsterte ich leise und strich mir schniefend die Tränen von den Wangen. "Es war mit Sicherheit nicht einfach für ihn.", gab sie beschwichtigend zurück. Ich verstand nicht, warum meine Mutter ihn immer noch in Schutz nahm. Er hatte sie genau so sehr verletzt wie mich und trotzdem versuchte sie immer noch das Positive in ihm zu sehen. "Tut es dir denn gar nicht weh?", fragte ich und sah sie nun das erste mal an. Sie hielt die Tränen gekonnt zurück. Auch nach den bisher vergangenen Jahren seit dem er gegangen war, konnte ich ihren Schmerz sehen. "Doch mein Schatz, es tut mir weh zu sehen, wie sehr dich seine Abwesenheit verletzt. Aber es war seine Entscheidung und nur weil er gegangen ist, heißt das nicht, dass er dich nicht geliebt hat. Wenn du älter bist, wirst du es verstehen. Du brauchst einfach noch etwas Zeit, um zu heilen und danach, wenn die Zeit reif ist werde ich versuchen dir zu erklären, was passiert ist. Bis dahin solltest du daran denken, wie sehr dein Vater dich geliebt hat, okey?".

Ich brauchte ein paar Momente, um mich wieder zu sammeln, bemerkte erst jetzt, dass der Wagen zum Stehen gekommen war und die Jungs im Begriff waren, auszusteigen. Ich löste meinen Gurt und griff dann zögernd nach der Hand, die mir entgegengehalten wurde und stieg aus dem Wagen. 

At the End of FallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt