achtes Kapitel: Familienangelegenheiten

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"Mein lieber zukünftiger Ehemann, 

lieber Unbekannter, 

Sowohl in der Schule als auch bei den Aldens scheint alles etwas durcheinander zu geraten. 

Besonders bei den Aldens, um ehrlich zu sein, denn die Schule habe ich mittlerweile teilweise unter meiner Kontrolle. Selbst der kleine Theodor hat sich an das Stehen in der Ecke gewöhnt, das Lineal konnte ich Zuhause lassen. 

Aber wenn ich darüber nachdenke, was gestern Abend, kurz nach dem Abendessen, geschehen ist, wird mir immer noch schwindelig. Ich mische mich wirklich nicht gerne in Familienangelegenheiten ein, aber einerseits ist Lucy meine beste Freundin, zweitens hatte die halbe Familie den Flur blockiert, so dass mir kein Weg blieb, als dortzubleiben. 

Der erste Teil der Abendessens verlief ruhig, Mr. Alden hielt sich zurück, was lieber auch den ganzen Abend hätte tun sollen. ich unterhielt mich mit Lucy, ab und zu warf Jenny auch ihre Leistungen in der Schule in die Runde, da sie immerhin die Beste in jedem einzelnen Fach ist. 

Dann kam das Gespräch auf meine angeblich "unerhörte" Behandlung von den Schüler, dass ich sie stundenlang in der Ecke stehen ließ und mit Hausaufgaben quälte. Jenny meinte natürlich, dass sie kein Problem damit hätte, aber sie ist auch ein fabelhaftes Mädchen, immer die beste und immer die Klügste. Doch schon bald bedeutete ihr Vater ihr, den Mund zu halten, was ich als äußerst unhöflich empfand. 

Lucy meint natürlich, dass sie an meiner Stelle ähnliche Methoden durchgesetzt hätte, was ihrem Mann nur noch mehr Zorn zufließen ließ. Ich habe ihn niemals so wütend erlebt, bis jetzt hatte er sich immer unter Kontrolle, während seine Frau tat, was sie nur wollte. Das ist immerhin auch seine Pflicht, bei seinem heutigen Benehmen hätte sie ihn als Ehemann eigentlich ablehnen müssen. 

"Immer musst Du Dich auf die Seite dieser Fremden schlagen! Sieh nur, was sie anrichtet! Sie zerstört unsere geliebte Stadt mit ihrer Herrschsucht, genauso wie Du es immer getan hast!", der Unhöflichste in diesem Streit war immer noch ihr Sohn, James. Ihr Mann hätte trotz seinem unpassenden Benehmen und der rasenden Wut niemals gewagt, diese Worte auszusprechen, welche mich ins Herz trafen. Jawohl, sie trafen mein Herz, wie ein Messer. Ich wäre am liebsten gegangen. Doch Lucy war nicht weniger schockiert. Wenn der eigene Sohn solche Dinge sagte, dann musste wirklich etwas falsch sein in seinen Erbanlagen. Ich bezweifele nicht, dass er diese Gene von seinem Vater hat, welcher ihm ebenfalls diese unerhörte Offenheit angewöhnte. Ich weiß nicht, ob ich jemals seine Worte vergessen werde. 

"Und Du? Immer stellst Du Dich gegen Deine wahre Familie. Und die Herrschsucht wage ich abzustreiten. Wenn die unintelligenten Farmer nicht selbst alles unter Kontrolle haben, muss sich eben die höhere Gesellschaft einmischen."

Wir standen dort, wie zwei Seiten. Auf der einen Lucy, Jenny und mich, auf der anderen Mr. Alden und James. Henry aß noch, ihn interessierte nicht, was wir so dringend zu besprechen hatten, solange das Essen auf dem Tisch stand. 

"Also ich stimme Mutter zu", meinte Jenny, "Diese kleinen Farmer bekommen nichts auf die Reihe, selbst nicht ein paar kleine Hausaufgaben. Wenn sie bis zum Abend dort stehen, ist es ihre Schuld." 

"Das geht zu weit! Ihr könnt euch nicht einbilden, alles hier bestimmen zu können!", damit endete der unschöne Streit vonseiten Mr. Aldens. Ich hätte ihm noch geantwortet, doch ich traute mich nicht. Hätte ich es bloß getan. Selbst Lucy traten schon die Tränen in die Augen. Er hätte lieber nichts sagen sollen. 

Mit wütenden, auch verletzten, Schritten lief sie hinaus und lief immer schneller. 

"Wohin gehst du?", nun war Mr. Alden nicht mehr wütend, sondern eher besorgt. 

"Wenn ihr meint, dass ich nicht alles bestimmen kann, dann habe ich hier nichts mehr zu erledigen. In einer größeren Stadt bin ich sicherlich erwünschter. In Darington, um ehrlich zu sein", sie drehte sich noch kurz nach uns um, hob den Saum ihres Kleides hoch und stolzierte davon. 

Ich blieb auf meinem Platz stehen, ihr hinterherschauend. Keiner wusste so recht, was er zu tun hatte, eigentlich sollte ich ihr nachlaufen, doch den ganzen weiten Weg nach Darington wollte ich nicht. Nein, ich blieb zurück, wie eine Verräterin. Ich stand dort, sah ihr hinterher und scheute nur die Mühen eines so langen Spazierganges in der Nacht und die Folgen, welche er haben konnte. Ich wollte nicht in die größere Stadt, ich wollte nicht so weit laufen. Wäre ich ihr bloß gefolgt. 

Was ist, wenn sie nicht wiederkommt? Ich hasste James dafür, was er gesagt hatte und wie. ich hasste Mr. Alden dafür, dass er gegen sie sprach. Ich hasste Jenny dafür, dass sie in vollkommener Ruhe aus dem Raum verschwand und nicht zurückblickte. Und ich hasste mich dafür, dass ich einfach keinen Mut hatte. 

Dieses Essen, welches derart ausartete, war gestern Abend. Hell leuchteten die Fenster, als ich heute vorbeilief. Doch die Fröhlichkeit war verschwunden. Ich war so still wie nie, als ich unterrichtete. Selbst meine Strafe für Theodor fiel aus, weil ich mich nicht auf seine Scherze konzentrieren konnte. 

Wie oft blickte ich schon in Richtung der Moore? Ich weiß es nicht, ein paar tausend Mal, würde ich vermuten. Doch jeder meiner Blicke war vergeblich. Selbst wenn die Fensterscheiben klirrten, lief ich nicht mehr nach vorne, um die Fosters wüst zu beschimpfen, ganz zu deren Ärgernis. 

In der Stadt werde ich für immer arroganter und hochnäsiger gehalten, nachdem ich auch die Aldens ignoriere, die letzte Familie, welche sich noch mit mir sehen lassen wollte. Die Größe meiner Hüte nimmt zu, sowie auch der Glanz und der Preis meiner Kleider. Längst trage ich nicht mehr dieses ordinäre Kleid, welches ich zu Anfang trug, nur um passend für die Reise gekleidet zu sein und nachher, um Lucy nicht in ihrem Stolz zu untergraben. Ich spiele mich auf wie eine Prinzessin, was Bewunderung, aber auch Neid, auf sich zieht. 

Jedes Mal, wenn ich zur Schule muss, laufe ich nun mit meinem besten Kleid spazieren und ignoriere die Aldens, so gut es geht, natürlich außer Jenny, welche ich in der Schule sehen muss.

Wie lange das wohl so weitergehen wird? Meine Vorwürfe werden noch länger bleiben. 

Was würdest Du tun? Ich bin damit jedenfalls überfordert. Ich muss immerhin morgen noch zum Abendessen mit Cavendish, das Restaurant steht nur wenige Meter, über die Straße, entfernt von Aldens Merchantile und diesen Menschen auszuhalten wird noch eine Menge Willenskraft kosten. Aber wenigstens scheint sich alles mit den Fosters etwas einzurenken, seit ich kaum mehr das Haus verlasse, wenn doch dann ausschließlich in die Schule. 

Habe ich etwas an mir, was es sich lohnenswert macht, mit mir zu streiten? Anders kann ich mir vieles nicht erklären. Wenn bloß nichts...

Auf Wiedersehen 

In ewiger Liebe 

Deine 

Elisabeth" 

Elisabeth legte den Brief vorsichtig auf den Tisch, als würde es sich dabei um eine zerbrechliche Vase und kein Stück Papier handeln. 

Ihre Gedanken schirrten in ihrem Kopf umher, ruhelos blickte sie auf die Uhr und dann zum Fenster hinauf, bis vor Müdigkeit ihr Kopf auf den Tisch sank. 

Es gibt nicht immer ein glückliches Ende; doch dann kann es auch nicht das Ende sein---

Rose Village-der Duft von RosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt