sechsundzwanzigstes Kapitel: Allein

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"Mein lieber zukünftiger Ehemann, 

Lieber Unbekannter, 

Wie geht es Dir? Die Gegenfrage solltest Du lieber nicht stellen. 

Rose Village... ich habe schon mehrmals darüber nachgedacht, diesen Ort zu verlassen. Vermutlich werde ich es auch nach der Hochzeit tun, denn seit Stunden denke ich nur noch daran. 

Was hält mich hier? Nichts. Das Haus kann ich sofort ersetzen, schließlich kostete es nur tausend Dollar, was für mich kein einziger Cent ist. Meine Stelle als Lehrerin kann ich auch getrost abgeben, schließlich scheinen die Kinder Disziplin gelernt zu haben, was schonmal ein gutes wie auch freiwilliges Lernen voraussetzt. Freunde habe ich hier keine, wenn nicht jetzt, dann bald schon. Auf die wenigen Leute, die ich hier überhaupt kenne, kann ich auch gut verzichten. 

Ich warte bis zur Hochzeit, die ich wohl oder übel noch hier verbringen werden muss, da schon so viel geplant ist. Aber dann gibt es nichts mehr, das mich hält. Ob ich mich in dieser Einöde in meinem Haus einschließe ohne zu reden, oder woanders, ist auch egal. Nur einen Diamantring am Ringfinger brauche ich, schließlich ist das das einzige Ziel, das eine Dame verfolgen sollte. 

Es klopft, warte kurz. Ich gedenke zwar nicht zu öffnen, doch schauen kann ich wenigstens, wer es ist. Eine Minute nur. 

Lucy. Wer könnte auch sonst vor der Tür stehen? Vermutlich fragt sie sich, wieso ich nicht zum Abendessen erschienen bin. Doch ich möchte ihr nicht öffnen. Soll doch James ihr alles erklären. Nicht ich. 

Dann wissen Sie wohl auch schon, dass sich Mutter nur mit Ihnen befasst, weil Sie reich sind?  Ja, die Chance schien immer größer zu werden.  Jede einzelne verdammte Sekunde schien diese Chance ins Unendliche zu steigen, auch wenn ich ihr nicht derart misstrauen wollte. Wieso achtete ich nur so auf seine Worte? Er war ein Niemand! Er war immerhin noch weniger wert als ich. 

Was sie wohl von dem Gespräch wusste? Wenn dieser Feigling recht hatte, dann alles. Wenn nicht, dann hatte sie wohl nichts erfahren. Doch das zählt nicht mehr. Nichts zählt mehr. Gar nichts! 

Ich hasse diese verdammte Stadt! Wieso bin ich nur hierher gekommen? Alles sollte besser werden, keine ellenlangen Monate in einem Haus, in dem man nur aus dem Fenster schaut. Nein, wenn ich daran denke, was ich damals schrieb, dann fällt mir ein, dass ich das nicht einmal erhoffte. Es sollte nur anders sein. Und genau das war es hier, wo ich mich mit jedem, der mir jemals begegnete, verstritt. 

Es klopft wieder, warte kurz. 

James! Was hat er hier zu suchen? Ich will ihn nicht hier haben! Ich will nicht mit ihm reden! Ich will ihm nie wieder in meinem Leben begegnen! Nicht dieser Idiot, für den ich nicht einmal das passende Schimpfwort finde! 

Wieso verschwindet er einfach nicht? Jedes Mal, wenn ich aus dem Fenster blicke, steht er noch da. Die roten Rosen aus dem Garten seines Vaters hätte er sich auch sparen können, so zerknüllt wie sie sind. Ist das ernsthaft ein Faden mit Nähnadel und Spule daran? Dieser Mensch weiß wirklich nicht, wie man Rosen zusammenbindet! 

Ich sitze nun schon seit Stunde vorm Fenster und komme nicht so recht zum Schreiben, weil er einfach nicht verschwinden will. Was macht er nur hier? Warte, er legt einen kleinen Zettel ab. Ein Brief? Na egal, den werde ich mir später anschauen. James kann ruhig jahrelang warten. 

Es ist spät geworden, 

Bis morgen. 

In Liebe 

Deine 

Elisabeth" 

Manchmal scheint die Dunkelheit alles übernommen zu haben. Jedenfalls bis am nächsten Tag die Sonne wieder aufgeht. Wir müssen nur bereit sein, sie zu sehen----

Rose Village-der Duft von RosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt