"Mein lieber zukünftiger Ehemann,
lieber Unbekannter,
Wie geht es Dir?
Früher hatte ich hier mein eigenes Jammern ertragen müssen, doch nun ist es Lucys, was meine Nerven fast zerstört. Nichts scheint ihr genehm zu sein, doch trotzdem isst sie diese seltsamen kleine Kugeln, die an den Bäumen hängen und sogar irgendwelche braunen, sehr kleinen Bäume. Absurd, meine ich. Schließlich kann man kein Bäume essen.
Die Situation ist genauso ausweglos wie früher, nur dass Lucy sich ziemlich sicher ist, dass ich wüsste, wo wir hinmüssen und ich einfach geradeaus laufe. Lieber informiere ich sie nicht über meine Ahnungslosigkeit, als wenn ich sie noch hinter mir her ziehen müsste.
Was denkst Du? Werden wir hier heraus finden? Wenigstens nehme ich, seit ich Lucy gefunden habe, alles nicht mehr ganz so ernst, da eine weinende Person schon genug für mich ist.
Wie wohl mein Hochzeitskleid aussehen wird? Ich möchte kein schlichtes Kleid, wie es die meisten Menschen tragen. Mit einem einfachen Goldring werde ich mich auch nicht zufrieden geben. Wenn ich mich schon zu solch einem Gräuel bereiterklärt habe, dann soll es wenigstens einer Königin würdig sein, dort zu feiern, nicht dass ich eine einzuladen hätte.
Entweder ich bekomme bald einen Gehörabsturz, oder diese Frau hört auch zu weinen! Findest Du nicht, dass Benehmen an der Öffentlichkeit das Wichtigste ist? In der Stadt gilt es jedenfalls so. Ein Lächeln auf dem Gesicht, egal was passiert. Aber Lucy schwankt immer zwischen ehrlicher Glücklichkeit, einem gemeinem Grinsen und vielen Tränen. Vielleicht mag ich sie genauso deswegen, auch wenn sie mir mittlerweile immer weniger zu gleichen scheint. Man kann an ihrem Gesicht immer sehen, wie sie etwas meint, auch wenn sie es nicht unbedingt ausspricht. Man ist nicht an diese ewigen Lügen gebunden, dass man perfekt ist und jeden mag.
Cavendish. Mag ich ihn oder mag ich ihn nicht? Vielleicht kann er ganz sympathisch sein, wenn ich es mir genau überlege. In eine Kleinstadt passt er nicht, in meinem ehemaligen Bekanntenkreis würde er sich jedoch gut zurechtfinden. Er ist die Art Mensch, über die man viel herausfinden kann und dennoch nichts weiß. Vielleicht lag ich mit meinem Misstrauen völlig recht, vielleicht habe ich mich einfach nur getäuscht. Wie viele Menschen mochte ich nicht, weil sie einfach einen schlechten ersten Eindruck machen? Wenn man nie Frage andersherum stellen würde, käme jedoch eine sehr kleine Zahl heraus, weshalb Irrungen eindeutig in Frage kommen.
Ich verhungere hier bald! Ja, auch wenn Lucy diese winzigen Bäume isst, ohne Magenschmerzen zu bekommen, so heißt es nicht, dass ich gewillt bin, diese auch nur anzurühren. Sie nennt es Pilze, was wohl ein Kraut zum Vergiften oder so ähnlich sein soll. In ihren Augen bin ich nun jedenfalls diejenige, die niemals durch einen Wald spaziert ist, wofür ich leider nichts kann. Ich der Großstadt findet man keinen Wald, dafür kann ich mir mehr Namen mitsamt Adressen merken, als sie jemals in ihrem Leben gehört hat. Doch einiges scheinen Großstadt- und Kleinstadtmenschen gleichzeitig zu besitzen; den Hass, den sie gegen jeden richten, der ihnen nicht passt.
Wie wohl Mr. Foster mich anstarren wird, wenn er mich erblickt? Glücklich wird er nicht sein mich wiederzusehen. Vermutlich hat er gehofft, dass ich es nicht zurückfinde, aber dieses Glück kann ich ihm leider nicht gönnen. Er kann nicht immer in seinem Leben gewinnen.
Ob die junge Foster schon meine Klasse ruiniert hat? Ich hoffe nicht, die gesamte Arbeit von vorne wäre auch zu anstrengend. Aber bei ihrem Manieren kann man auch nicht darauf hoffen, dass sie meinen Unterricht ordentlich weitergeführt hat.
Wie Du siehst, rechne ich schon zu einem großen Teil damit zurückzufinden. Es gibt einfach zu viele Leute, denen ich die Freude meiner Beerdigung nicht gönnen will und allein dafür lohnt sich mein Widerstand. Außerdem scheint mir so, als wären wir auf einen Weg geraten. All die Jahre zwischen den exakt gleichen Häusern in der Stadt, von denen ich immer zurückfinden musste, haben sich wohl ausgezahlt.
Mittlerweile habe ich schon gelernt im Stehen zu schreiben, auch wenn ich nicht bereit bin, diese seltsamen Bäume herunterzuschlucken. Mein Kleid scheint jedoch den Ausflug nicht verkraftet zu haben. Es war so zerfetzt, dass ich es zerschneiden musste. Nun laufe ich in einem dünnen, kurzen Kleid herum, das zwar abgewaschen ist, da ich in einen Fluss fiel, allerdings nicht einmal annähernd die Schönheit besitzt, die es noch vor wenigen Tagen hatte. Wenn ich James wiedersehe, wird er noch sehr viel erleben. Schließlich ist es seine Schuld, dass mein Kleid nun ruiniert ist.
James. Diese Nervensäge! Ob er immer noch von seinen Sprüchen überzeugt ist? Wie konnte er nur so gemeine Dinge sagen? Ich werde ihn nie verstehen.
Es wird schon langsam dunkel, ich muss aufhören zu schreiben.
Viele liebe Grüße
In Liebe
Deine
Elisabeth"
Vorsichtig faltete sie den Brief zusammen und steckte ihn in ihre kleine Handtasche. Die kleine Tasche war das einzige an ihr, das nicht triefte. ihr seidiges Kleid war nun kaum mehr einem Bauernmädchen wert gewesen und ihre schöne Frisur hing in Strähnen von ihrem Kopf hinab. Und doch gab es nichts, das sie an diesem Ausflug bedauerte. Denn wie sie nun ihren Weg zurück nach Rose Village zu finden hoffte, so hoffte sie, ohne es sich selbst zuzugeben, eines Tages den Weg zurück in ein friedliches Leben zu finden.
Doch wie ein Weg so hat auch das Leben seine sonnigen und seine schattigen Stellen---
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Rose Village-der Duft von Rosen
Historical FictionLangsam hatte ich Rose Village satt. Von wegen rosiges Leben - die reinste Tortur! Streit, Hass und Eifersucht, wohin man nur blickt. Und ich im Mittelpunkt von alledem. Ich war Lady Sky, doch ließ mich wie der letzte Dorftrottel behandeln. Weshalb...