"Mein lieber wer auch immer du bist, der später diese Briefe lesen wird,
es ist gerade neun Uhr morgens und in drei Stunden ist es soweit.
Das Kleid ist wirklich wunderschön, wenn man sich auch schlecht darin bewegen kann. Vielleicht hätte ich doch nur elf Schichten Tüll nehmen sollen. Und auch die ganzen Rüschen machen es nicht viel leichter, im Gegenteil, ich vermute, dass es so viel wiegt wie die Koffer, die ich nach Rose Village mitgenommen habe. Dennoch ernte ich nur abwertende Blicke dafür.
Cavendish besäuft sich immer noch in der Praxis. Was aus den Patienten und mir in der Zeit wird, ist ihm ziemlich egal. Es gibt nur noch seine netten Kumpanen, die es geschafft haben, in einem Tag so viele Leute in Rose Village zu verärgern wie ich in einer Woche. Ich halte äußerst wenig von ihnen, ich weiß, aber eine bessere Meinung wäre wahnsinnig.
Sonst gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin am Ende. Es wird dem einundfünfzigsten wohl kein weiterer Brief folgen.
Deine
Elisabeth"
Sie faltete den Brief zusammen und legte ihn in ihre Handtasche. Sie saß ganz alleine in der Kirche, wo in drei Stunden ihr Schicksal besiegelt sein sollte. Die Hoffnung war schon längst gestorben. Es war vorbei, jedenfalls glaubte sie das. Um sie herum feierten alle, nur an ihren Wangen liefen die Tränen herunter. Und so simpel das Richtige auch schien, so konnte sie nicht. Im Hintergrund immer die Stimme ihrer Mutter und von Lucy, die ihr beide ein und dasselbe predigten: "Eine Entscheidung kann nicht schlecht sein, wenn für auf deiner Seite ein Gewinn entsteht, alles andere ist belanglos." Doch am liebsten wäre sie einfach fortgestürmt.
Eine weitere Person stand hinter Elisabeth, in Gedanken vertieft und ebenfalls in einer aussichtslosen Situation gefangen. Auch sie hatte gelernt, was es hieß zu hassen. Ihr Vater wäre niemals auch nur auf die Idee gekommen, dass Hass nicht das Richtige war. Er hatte sich entschlossen, Elisabeth zu ruinieren, was ihm auch gut gelingen könnte. Sie jedoch zweifelte daran, ob alles wirklich so simpel war, wie in allen Bauernweisheiten. Waren all die Vorurteile, die zu einem abgrundtiefen Hass ausgeartet waren, wirklich richtig? Natürlich, so viel Ärger war mit der Ankunft dieser Frau aus New York entstanden, dennoch stand sie in ihrer Schuld. Ihr Bruder lebte und anders wäre es nicht möglich gewesen. Und in manchen Moment kam es Lilly vor, als wäre all die Eitelkeit und der Größenwahnsinn gekünstelt. Sie ahnte, wie viel es Elisabeth bedeutete, den Ansprüchen gerecht zu werden. Wo sie selbst nicht einmal damit klarkam, was andere von ihr verlangten. Sie hatte ellenlange Intrigen gesponnen, alles getan, um Elisabeth zu schaden und nun half diese ihr. Und dass, ohne etwas zurückzuverlangen. Doch in nur wenigen Tagen würde Lillys Vater versuchen, gegen die Sturheit dieser eitlen Frau zu gewinnen, die jetzt schon am Boden schien wie noch nie. Und seine Tochter würde ihm helfen, wie sie es immer getan hatte, auch wenn sie daran zweifelte. War die Kluft zwischen reich und arm wirklich so groß oder war alles nur ein Schein? Wäre alles jemals so gekommen, wenn Elisabeth ein einfaches Bauernmädchen anstatt einer reichen Lady gewesen wäre? Und was würde wohl die nächste Zeit mit sich bringen?
Manchmal sind die Entscheidungen, die man schon getroffen hat, am schwierigsten, weil man sie jeden Tag aufs neue mit sicher selbst treffen muss---
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Rose Village-der Duft von Rosen
Historical FictionLangsam hatte ich Rose Village satt. Von wegen rosiges Leben - die reinste Tortur! Streit, Hass und Eifersucht, wohin man nur blickt. Und ich im Mittelpunkt von alledem. Ich war Lady Sky, doch ließ mich wie der letzte Dorftrottel behandeln. Weshalb...