neunundvierzigster Brief: Zukunft

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"Mein lieber zukünftiger Ehemann, 

Lieber Unbekannter, 

ich habe absolut keine Ahnung mehr, was ich tun soll. Lucy ist von allem so begeistert und freut sich auf die Hochzeit in nur noch zwei Wochen, aber ich würde am liebsten einfach verschwinden. Mit jedem Tag bekommt er es hin, noch garstiger zu werden. Was er sich noch alles erlauben will, weiß ich nicht. Aber auf Dauer kann ich mich nicht hinter Lucy, James oder meiner Klasse verstecken. Kaum davon zu sprechen, dass ich mich laut Cavendishs Regelungen nicht mehr mit ihnen abgeben darf. Doch sie bekommt absolut nichts mit und ich bringe es nicht übers Herz, ihr etwas davon zu erzählen. Wer weiß, vielleicht bekommt er mit etwas Glück direkt nach der Hochzeit einen sehr kranken Patienten, der ihn ansteckt und dadurch sein leben beendet. Ich weiß, man sollte so etwas den Menschen nicht wünschen, aber wirklich viel anderes fällt mir nicht ein. Als Witwe lässt es sich schließlich besser leben als als alte Jungfer, jedenfalls aus der Sicht meiner Schicht. 

James benimmt sich auch immer merkwürdiger. Er streitet mit Cavendish, wann und wo er nur kann. Beschuldigungen fliegen durch die Gegend. Letztens bat er mich sogar, einen Artikel mit Falschinformationen über Cavendish zu veröffentlichen. Dann gab es noch den Vorfall, bei dem er zufällig Öl auf dessen Treppe kippte. James scheint sich jeden nur möglichen Unsinn einfallen zu lassen, um die Hochzeit zu sabotieren. Er benimmt sich wirklich wie ein kleines Kind. 

Lilly geht mir neuerdings aus dem Weg, wo sie nur kann. Dennoch folgen keine Beschimpfungen mehr. Es ist nicht diese abnormale Freundlichkeit, wie, als sie meine Freundin spielte. Aber es ist auch nicht der grenzenlose Hass, den sie vorher mir gegenüber hatte. Theodor überlebt und sie scheint beinahe dankbar. Ich glaube, wenn wir beide den wenigsten Kontakt haben, kommen wir am besten aus. 

Mister Foster hingegen scheint etwas auszuhecken. Ständig blickt er grinsend zu mir hinüber, während er mit seiner Frau tuschelt. Am liebsten hätte ich ihn angeschimpft, doch ich habe besseres zu tun. Was sollte er jetzt noch ruinieren können? Ich weiß nicht, was in meinem Leben noch nicht zerstört worden ist. Außer dem großen Einkommen natürlich, aber um das zu bekommen, müsste er schon klüger sein. 

Ich vergaß fast, das Stadtfest gibt es auch noch. Zwei Tage nach der Hochzeit, wie du weißt. Es scheint dieses Jahr die größte Veranstaltung in ganz Minnesota zu werden, wovon ich mit Stolz sprechen kann. Denn auch wenn ich keinen Gewinn daraus ziehen kann, so ist es dennoch ein Erfolg. Vielleicht ist es mit einem Konzert, einem Ball, einem Zirkus, einer Theatervorführung und ein paar Reden von sehr bekannten Leuten etwas übertrieben, aber manchmal neige ich einfach dazu, etwas zu übertreiben. Sicher werden diese Dorftrottel davon begeistert sein, immerhin erlebt man so etwas nur einmal in seinem Leben. Ich habe sie zwar nicht gefragt, aber ein paar aufgeregte Tuscheleien von Kindern verrieten mir schon, dass die Idee nicht bei allen auf Abneigung stößt. Schließlich ist es meine Idee, auch wenn Cavendish mir die Ausgaben für das Fest verbieten wollte. Aber ich lasse mir nichts verbieten und noch ist es mein Geld. Es wird perfekt werden. 

Das wäre alles. Ich weiß zwar nicht, was die Zukunft bringt und wie ich aus meinem Dilemma herauskomme, aber ändern kann ich auch so nichts, deshalb sollte ich mir nicht so viele Gedanken machen. 

Deine 

Elisabeth" 

Sie legte Briefpapier und Feder beiseite und blickte wieder aus dem Fenster. So viel geschah in letzter Zeit und sie wusste nicht mehr, an wen sie sich wenden konnte. Die Situation schien ausweglos. Sie verabscheute Cavendish regelrecht, doch die naheliegendste Lösung war für sie dennoch unmöglich. Zwei Wochen hatte sie noch, um ihre Entscheidung zu fällen. Zwei Wochen bis zur Hochzeit und zur Feier. Zwei Wochen, in denen sie grundlegend anzweifelte, wem sie vertrauen konnte. Zwei Wochen, in denen sie viele Wahrheiten und noch mehr Lügen entdecken würde. Zwei Wochen, in denen sie ihr gesamtes Weltbild anzweifeln würde. Zwei Wochen, in denen ein freund zum Feind und ein Feind zum Freund werden konnte. Und letztlich auch zwei Wochen, in denen sie zum ersten Mal erfahren würde, was es hieß zu lieben. 

Denn die Zeit heilt zwar nicht alle Wunden, zeigt einem aber oft, welche vorher unerkennbaren Wege es im Leben noch geben kann---

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