fünfzigster Brief: Letzter Tag

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"Mein lieber zukünftiger Ehemann, 

Lieber nicht existenter Unbekannter, 

morgen ist es soweit. 

Ich weiß, ich schrieb sehr lange nicht, aber ich konnte es einfach nicht. Wieso sollte ich auch an jemanden schreiben, dem ich nie begegnen würde? Morgen wird mein Schicksal endgültig besiegelt sein. Ich werde dieses Volltrottel heiraten. Die vermutlich schlechteste Entscheidung meines ganzen Lebens, aber man kann nichts daran ändern. 

Es wird ein kleineres Fest geben als gedacht. Es sind zwar alle Leute aus der Umgebung willkommen, doch zugesagt haben mir nur die wenigsten. Um ehrlich zu sein, nur Lucy, ihr Mann, James und Lilly. Weshalb Lilly kommen will, weiß ich auch nicht, doch wenn es heißt, dass alle willkommen sind, werde ich niemanden ausladen. Es gibt sowieso viel zu viel Kuchen für alle und ich darf nach der Hochzeit immerhin nichts davon essen, weil ich schon jetzt für Cavendish viel zu pummelig bin. Von seinen Freunden werden einige mehr kommen. Angeblich einflussreiche Leute, von denen ich jedoch nie etwas gehört habe. Diejenigen, die heute schon ankamen, sind jedenfalls aufs Äußerste unsympathisch. Zudem grabschen sie ein jede ledige Frau in ganz Rose Village an, wenn sie auch nur einen Schluck getrunken haben, was auffallend häufig vorkommt. 

Auch meine Zeitung findet ihr Ende. Der letzte Artikel ist geschrieben, das letzte Exemplar verkauft. Damit ist es nun auch zu Ende, auch wenn man es nicht wirklich bereuen kann. Ich habe damit sowieso nur Hass und Streit gesät. Wieso ich überhaupt damit angefangen habe, weiß ich auch nicht mehr. 

James ist vor zwei Tagen nach einer Prügelei aus dem Untersuchungshaft in Durton Village, einer etwas größeren Stadt in der Nähe, entlassen worden. Ich wollte zwar möglichst ernst wirken, als ich ihn abgeholt habe, dennoch konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Die Nase hat er dem Cavendish gebrochen und man könnte sagen, dass ich nicht besonders traurig darüber war. Ich hätte ihn sogar angefeuert, wären nicht so viele Leute in der Nähe gewesen. Cavendish rächt sich zwar immer noch deshalb an mir, aber das war es wert gewesen. Noch immer sieht er nicht wirklich vornehm aus, wobei James nur zwei kleine Schrammen abbekommen hatte. 

Die Liste der Regeln für mich ist mittlerweile etwas über dreißig Seiten lang. Nicht, dass ich auch nur annähernd vorhabe, mich an eine Seite aus dieser Liste zu halten. Nein, ich werde mich so lange widersetzen, bis er versteht, dass eine Lady Sky sich nicht herumkommandieren lässt. 

Meine Hoffnung, dass alles ein gutes Ende findet, ist vollkommen verschwunden. Es gibt keinen Weg zurück mehr, vielleicht lerne ich aber, mit der Situation klarzukommen. Mit zweiundzwanzig ist es schließlich an der Zeit zu heiraten. Und mit etwas Glück bekommt dieser grauenhafte Arzt mithilfe einer kleinen Bestechung auch einen guten Arbeitsplatz, sodass er perfekt in das Bild passt, dass sich Mutter für mich gewünscht hat. 

Ich vergaß, der kleine Theodor ist wieder völlig geheilt. Das ist weniger dem Talent von Cavendish zu verdanken, als der Belohnung, die er dafür erhalten hat. Hundert Dollar scheinen bei ihm plötzlich eine Schaltung umzulegen, sodass er sofort wieder versucht, den perfekten Gentleman zu spielen und sein bestes zu tun. 

Viel mehr gibt es nicht. Vielleicht ist es auch der letzte Brief, den ich schreibe. In knapp zwanzig Stunden ist mein Schicksal besiegelt. Ich hasse Cavendish, ich habe ihn immer gehasst und ich werde ihn immer hassen. Aber wie Mutter sagte, an die Seite einer mächtigen Frau gehört immer ein Mann, der durch seine Dummheit im Hintergrund stehen wird. 

Deine 

Elisabeth" 

Sie legte den Brief beiseite und eine Träne tropfte hinunter. Sie war gefangen zwischen den Ansprüchen, die die Gesellschaft an sie hatte und ihren Wünschen, die von ebendiesen nicht weiter entfernt sein könnten. 

Entscheidungen sind nicht dazu da, sie zu umgehen, sondern sie zu treffen, egal, wie--- 

Rose Village-der Duft von RosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt