achtunddreißigstes Kapitel: Lilly

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"Mein lieber zukünftiger Ehemann, 

Lieber Unbekannter, 

Lilly, also Miss Foster, scheint, im Gegensatz zu dem Rest ihrer Familie, tatsächlich noch die meisten Sinne beisammen zu haben. Vielleicht ist es verwerflich, was sie alles anstellt, allerdings ist es für einen guten Zweck. 

Die Intrige gegen James läuft auf Hochtouren ... Und das, obwohl ich kaum daran teilnahm. Morgen wird es Zeit, meinen Teil der Abmachung einzuhalten, und einen Gegendruck für Lilly Foster zu erstellen. Vielleicht habe ich sogar auf Seite zwei oder drei Platz dafür, wenn sie sich weiterhin so sehr bemüht. 

Ich kann es nicht fassen, aber sie hat schon fast alle Frauen von Rose Village gegen ihn aufgehetzt. Die meisten rempeln ihn an, wenn er vorbeikommt oder treten ihm aus Versehen auf den Fuß. Viele von ihnen ignorieren ihn vollständig, wenn er sie anspricht. Niemand außerhalb seiner Familie will mehr mit ihm reden. Es läuft fast perfekt, doch ... 

Ist es wirklich richtig, was wir hier anstellen? Ist James wirklich Schuld an allem, was schief gelaufen ist? Auch wenn Lilly mich davon zu überzeugen versucht, so glaube ich es dennoch nicht. Egal, wie unmöglich er sich auch manchmal benimmt, ist eigentlich Mister Foster doch an allem Schuld. Bestimmt will sie nur von ihrem abscheulichen Vater ablenken, indem sie immer wieder irgendjemanden aus der Familie Alden als den Schuldigen erklärt. Was soll's, vielleicht lernt sich James nun endlich zu benehmen. Großartig werde ich sie aber nicht bei ihrem Vorhaben unterstützen, es darf schließlich nicht auffliegen. 

An sich ist Lilly aber ein ganz akzeptabler Mensch, wenn man von der Abstammung absieht. Zwar hat sie ihre Emotionen absolut nicht unter Kontrolle und neigt zu Übertreibung, doch man kann sich auch gesittet mit ihr unterhalten, solange sie nicht anfängt, etwas zu deuten. Vielleicht könnte sie auch halbwegs nett sein, aber dafür müsste sie erst einmal ein wenig Benehmen dazulernen. 

Wie Mutter immer zu sagen pflegte: "Eine Freundschaft besteht aus der Person, die aus allem einen Nutzen ziehen kann und es auch tun wird, und der Person, die aus den jeweils anderen näher zum Ziel bringt. Man muss nur darauf achten, dass man zu der ersten Sorte gehört." Sie wäre stolz auf mich gewesen, wenn sie gewusst hätte, wie ich mich verhalte. "Nur das Ziel ist wichtig, und man selbst. Wem man auf dem Weg zu seinem Ziel schadet, ist nicht wichtig, denn nichts ist wichtiger als man selbst." Wieder eins ihrer mir wohlbekannten Zitat. 

Wärst du daran interessiert zu hören, wie ich Mutter kennengelernt habe? Da du nicht antwortest, werte ich es als ein Ja. Es war kurz nach meinen elften Geburtstag, auf den Tag hatte das gesamte Waisenhaus eine Woche lang hingearbeitet. Kinder wurden zurechtgemacht, alle Kleider gestopft, jeder Winkel des Gebäudes geputzt. Alles musste perfekt sein. 

Eleonore jedoch hatte nur zwei Tage vorher einen Teller zerbrochen, vielleicht wäre es sonst nie so gekommen, wie es eben war. Als Strafe gab es nicht zu essen, doch sie - wie schon dutzende Male - riss aus und stahl sich ein wenig. An sich war es nicht bedenklich, immerhin konnte die Heimleiterin sie nicht einmal verprügeln, da sich so etwas bei hohem Besuch nicht ziemt. Doch sie kam erst, kurz bevor wir alle in den Raum gescheucht wurden, weshalb sie nicht annähernd so ordentlich aussah wie wir anderen. 

Ach, das alles interessiert dich bestimmt nicht bis ins kleinste Detail. Und außerdem ist es schon spät, ich muss morgen wieder in die Schule. Meine Schüler haben einen rapiden Aufschwung hingelegt und wäre nicht Lillys Bruder, so hätten wir keine absurd schlechten Noten mehr. Aber vielleicht sollte ich mir die bissigen Kommentare über ihn verkneifen, solange seine Schwester mir Nutzen bringt. Mit etwas Mühe schaffe ich sogar, sie aus ihrer Familie zu lösen, ihr einen passenden Mann und finden und werde somit nicht durch ihren schlechten Ruf hinuntergezogen. Aber soweit ist es noch nicht. 

Auf Wiedersehen. 

In ewiger Liebe, 

Deine 

Elisabeth" 

Sie faltete den Brief zusammen und blickte aus dem Fenster. Es schien, als wären alle Probleme von allein verflogen. Elisabeth hatte sogar begonnen, ihren ärgsten Feinden zu vertrauen. Doch würde die Freundschaft oder die Feindschaft überwiegen? Und war all die Hilfe wirklich nur gegeben, weil es als richtig erachtet wurde? Sie dachte nicht darüber nach, da alles wieder seinen Weg zu gehen schien. Doch schon bald würden die Fugen, die sich gerade erst zusammengefunden hatten, wieder auseinander gerissen werden. 

Eine Person stand vor ihrem Fenster, die sie jedoch nicht erkennen konnte. Ein gemeines Grinsen bildete sich auf deren Gesicht. Ja, bald würde die Zeit kommen, sie zu zerstören. Für immer und ewig. 

Manchmal kann ein Nutzen zur Freundschaft führen, doch in schweren Zeiten sollte man immer wissen, wer sein Freund und wer sein Feind ist --- 


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