dreizehntes Kapitel: Wirklich weiter?

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"Mein lieber zukünftiger Ehemann, 

lieber Unbekannter, 

Keinesfalls werde ich hier bleiben! Es ist einfach unaushaltbar! 

Jede einzelne Sekunde werde ich immer dreckiger und verliere die Orientierung. Sobald ich nur einen einzigen Weg finde, bin ich von hier verschwunden. Ich will keine Heldin sein, ich gebe auf! Leonore war immer eine Heldin, doch das hatte ihr bloß den Tod gebracht. Ich werde niemals Leonore sein. Niemals! 

Doch was wird aus Lucy? Lucy, die nun schon um einiges länger hier herumirrt als ich. Die nun meinetwegen sterben wird. Ich verzweifele schon nach zwei Stunden, nach drei Tagen scheint mein Rückweg unausweichlich. Sie hingegen irrt schon seit fünf Tagen durch diese Einöde. Der Tod scheint für sie unausweichlich. 

Wieso bin ich bloß nach Rose Village gekommen? Keiner wollte mich hier haben und nun habe ich sie noch in alles mit hineingezogen. Wieso bloß? Ich hätte einfach in der Großstadt bleiben sollen. Reiche Leute gehören dort einfach hin. 

Dieser ewige Matsch unter den Füßen! Ich muss sehr weit vom Weg abgekommen sein, bestimmt dauert es nicht lange, bis ich einsinke. Wenn ich nur meinen Fuß ausstrecke, bemerke ich, dass ich immer ein Stückchen tiefer ins Moor gesunken bin. Die Tiere schrecken mich nicht einmal mehr ab, schließlich habe ich andere Probleme. 

Soll ich wirklich immer weiter gehen? Den Weg zu finden wird schon schwierig genug sein, auf Lucy achten kann ich dann nicht mehr. Doch was wird aus ihr? Vielleicht hat sie diese fünf Tage im Moor überstanden, schließlich gibt es hier auch Pilze und Beeren, die ich natürlich nicht esse. Es gibt auch genug Plätze, an denen man sich ausruhen kann. Vielleicht lebt sie wirklich noch. Doch die Chance, sie zu finden, ist enorm gering. Lohnt es sich überhaupt? Mann könnte allerdings auch anders fragen. Ist der Preis, jemanden nicht zu retten, weil man sich selbst retten will, nicht zu hoch? Aber das ist keine Frage, die man von heute auf morgen beantworten kann. Ich möchte nicht noch jemanden einfach sterben lassen. So wie Leonore. 

Langsam beginne ich an allem zu zweifeln, auch wenn mir keine Kraft mehr bleibt, um mich über alles aufzuregen. Fehler kann ich in meinem Leben genug finden. Doc wie viele von ihnen kann ich noch beheben? Keinen, so weit ich weiß. 

Vielleicht war es sogar ein Fehler von allen Menschen in Rose Village so schlecht zu denken. Manche haben es jedoch verdient, wie die Fosters. James und Mr. Alden gehören auch nicht zu den besten Menschen, wie ich leider feststellen musste. Vielleicht hatte ich mich aber in Cavendish getäuscht. Er mag zwar nervig, übertreibend und auch ekelhaft freundlich sein, doch so schlecht ist sein Charakter auch nicht. 

Cavendish, unser lieber Doktor, der mich doch unbedingt heiraten möchte, könnte vielleicht kein schlechter Mensch sein. Wieso habe ich ihn also abgelehnt? Eigentlich habe ich es nicht getan, sondern die Entscheidung aufgeschoben. Welche Gründe könnte ich haben, ihn abzulehnen? Eigentlich keine. 

Es ist abscheulich hier! Ich war niemals ein ängstlicher Mensch, aber allein durch ein riesiges Moor zu irren, kann schon beängstigend sein. Jede einzelne Möglichkeit lebendig herauszukommen scheint ein Wunder. Und doch scheint es unmöglich. Ich will nicht einsam in einem Moor sterben! 

Cavendish. Mit jeder angefangen Stunde scheinen seine Chancen auf eine baldige Hochzeit größer zu werden. Was kann denn schon schiefgehen? Bei meinem unaushaltbaren Charakter werde ich vermutlich nie wieder einen Antrag bekommen. Und bald existiert niemand, der mich überhaupt mochte, wenn es überhaupt so war. Ich muss mich einfach nur getäuscht haben. Doch meine feste Überzeugung in den schlechten Charakter gewisser anderer Menschen habe ich noch. 

Was wohl mit meiner Klasse los ist? Es behagt mir nicht, dass Ms. Foster sich nun um sie kümmert. Meine braven Schüler werden in ihrem Unterricht nur völlig verzogen. Keine Manieren, diese junge Frau, sie gehört zu den wenigen, die ich niemals mögen werde. Immer muss sie einem widersprechen, versucht einen umzurennen oder hält eine Versammlung auf. Abscheulich! 

Wie geht es Dir? Ich weiß, mein Entschluss zur Hochzeit steht schon fast fest, doch dennoch richte ich meine Briefe weiter an Dich, den mysteriösen Unbekannten. Für Cavendishs Hände sind meine Briefe einfach nicht bestimmt. Vielleicht heirate ich ihn auch nicht, egal aus welchen Gründen. Doch absagen werde nicht ich. 

Dieses blöde Moor! Mittlerweile kann ich mich auch wieder aufregen, da mein Korb einfach darin verschwunden ist mitsamt meines Hutes. Ein Glück, dass ich auf einer Wurzel saß, sonst wäre ich mitsamt ebenfalls verschwunden. Im Stehen Briefe zu schreiben ist nicht besonders bequem. Besonders, wenn man dabei durch irgendwelche matschigen Pfützen am Boden spaziert. 

Wie ich wohl aussehe? Ich weiß, es ist der falsche Moment, um an Schönheit zu denken, die Frisur hat allerdings zwei Stunden gebraucht. Und wenn ich nur an mir herabblicke sehe ich aufgequollenen, dreckigen Stoff, der mir noch dazu beim Laufen auf die Biene schlägt. Das Messer habe ich vorsichtshalber in meine Handtasche gesteckt, so dass ich damit den Stoff nun kürzen könnte. Wer weiß, wofür ich es noch brauchen könnte. 

Soll ich wirklich weiter gehen? Wir beide sind nun wieder am Anfang. Ich stelle mir diese Frage so oft. Aufgeben wäre die beste Möglichkeit. Sich endlich ausruhen zu können und keine Gedanken mehr machen. Aber ich werde es nicht. Noch nicht. 

Bis zum nächsten Brief. 

Auf Wiedersehen, 

Deine, 

Elisabeth" 

Manchmal scheint einen das Leben nicht weiterzubringen, aber nur weil man immer in dieselbe Richtung gesehen hat--- 

Rose Village-der Duft von RosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt