1. 1910

642 35 4
                                    

"All this time I drank you like the cure when maybe you were the poison." - Clementine Von Radics

Einst hatte mein Geschichtslehrer Mr Spring gesagt, dass man zu Zeiten eines Krieges niemandem vertrauen konnte. Er sagte, dass der eigene Nachbar einen hintergehen würde, dass Arbeitskollegen schuld daran sein könnten, dass man selbst und seine ganze Familie stirbt. Ich hatte mir damals nicht vorstellen können, wie grausig es sein müsste, wenn man nicht einmal mehr Leuten trauen könnte, die einem so nahestanden, von denen man annimmt, sie würden einen niemals so den Hunden zum Fraß vorwerfen. Nun verstand ich es. Nun konnte ich es mir ein Stück weit besser vorstellen.

Ich war selbst betrogen worden, ich war selbst belogen worden und das von jemandem, dem ich blind vertraut hatte und der mich nun für diese Naivität töten würde.

Die Angst, der Schmerz in mir, es war zu viel, um auch nur annähernd ruhig zu bleiben. Ich wollte mich dem festen Griff entwenden, der mich hielt, hatte das erste Mal die Augen offen – weit offen – während die verschiedenen Zeiten und Jahre an mir vorbeirauschten. Es war beängstigen, es hätte zumindest beängstigend sein müssen, aber ich hatte keine Angst vor den Zeiten, ich hatte mehr Angst vor der Person, die mich hielt.

Ich sah bunte Bilder, sah einen einzigen Farbverlauf, der an mir vorbeizog, und ich wollte in diesen hinein, wollte alles tun, um meiner Gefangenschaft zu entfliehen. Leider war Reeds Griff um mich eisern, als wüsste er genau, was ich anderenfalls versuchen würde.

Noch nie hatte ich mich so unwohl, so unsicher in seinen Armen gefühlt. Der Ort, der für mich immer ein sicherer Hafen gewesen ist, hatte sich für mich in eine feurige Grube der Verdammnis verwandelt, von der ich einfach nur flüchten wollte.

Ich konnte währenddessen nicht aufhören daran zu denken, dass alles eine Lüge gewesen ist, er mich nie geliebt hatte, mich nie gewollt hatte. Jeder Kuss, jede Berührung, einfach alles war ein trauriger Schein gewesen.

Er hatte mich benutzt, hintergangen, nur um sie zurückzubekommen.

Alles war immer nur für Grace gewesen. Es würde für ihn immer nur sie geben und obwohl ich es immer irgendwie gewusst hatte, davor Angst gehabt hatte, so hatte ich ihm nur immer und immer wieder blind und naiv, wie ich es war, vertraut.

Erneut stach es in meinem Herzen, aber ich wollte nicht so sterben, wollte nicht durch die Hand meines eigenen Partners sterben, um seine ehemalige Geliebte zurückzubekommen.

Tränen kullerten unkontrolliert über mein Gesicht und als dieser nie endende Weg in die Vergangenheit endlich doch endete, ließ er los. Sicher nicht gewollt, eher weil ich genug gezappelt hatte, um ihn meinen Ellenbogen ins Gesicht zu rammen.

Reed fluchte hinter mir und ich wäre beinahe zu Boden gefallen, so abrupt ließ er von mir ab.

Ich hielt mein Gleichgewicht, wollte los, raus aus dem Saal, in welchem Jahr auch immer wir uns befanden. Lieber schlug ich mich mit den Leuten hier herum als mit Reed. Soll er mich doch erschießen, mir war alles gleich, ich wollte nur fort von ihm können, wollte ihn nicht sehen, nicht mit ihm reden. Ich wollte nach Hause, auch wenn ich nie wieder dorthin zurückkönnte. Er war meine einzige Hoffnung zurück in die Gegenwart zu kommen und das wäre niemals eine Option.

Bevor ich jedoch die Türe erreichen konnte, ging diese auf und ich taumelte verschreckt zurück, als ich Kellin Wentworth sah, der eingetreten kam und dessen Erscheinen mich endgültig die Fassung verlieren ließ.

Er war hier.

Er arbeitete mit Reed zusammen.

Gott war ich blöd.

Ich verknüpfte innerlich all diese neuen Informationen und verstand nicht, wie mir so viel so dermaßen hatte entgehen können? Wie hatte ich das nicht früher kapieren können? Was für ein abartig krankes Spiel hatte man mit mir gespielt?

Avenoir| Band 3 [18+] ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt