50. Das Ende vom Anfang

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"I am hopelessly in love with a memory. An echo from another time, another place". - Michael Faudet

Ich wusste nicht, was ich denken oder fühlen sollte. In meinem Kopf war es so quälend laut geworden, dass ich nur wegwollte. Ich wollte vor den Stimmen fliehen, ich wollte alles, was ich gerade erfahren hatte, einfach nur vergessen und nie wieder darüber reden. Mein Kopf versuchte es. Er versuchte so sehr hunderte und tausende Erinnerungen, Worte und Geheimnisse zu verdrängen, sie alle wieder in mir zu verschließen, aber es war so schwer und so falsch. Tränen kullerten unkontrolliert über mein Gesicht und die Sonne draußen verschwand vom Himmel, tauchte alles in Dunkelheit. Acyn schaltete das Licht an, ehe wir nichts mehr sehen konnten, aber selbst er sprach nicht.

Ich war Grace.

Das ist unmöglich... aber war es das wirklich? Ich dachte an die vergangenen Wochen zurück. Die Geheimnisse meiner Familie, was für eine Bindung ich zu Grace hatte, wie ich in so vielen Dingen wie sie war jedoch wie Malia aussah. Ich erinnerte mich immer an Dinge, an die ich mich nicht erinnern konnte. Das waren keine Halluzinationen oder Visionen, ich sah alte Erinnerungen. Meine eigenen Erinnerungen, weil ich eine andere Person bin und mein ganzes Leben vergessen hatte.

Ich hatte vorher schon alles in mir kaum zügeln können, während der Geschichte war in mir jedoch alles ins Chaos ausgebrochen. Alle Truhen, alle Dinge, die ich gut weggeschlossen hatte, sie brachen langsam aus mir heraus, sie wollten endlich von mir erkannt und gehört und wahrgenommen werden. Alles stürzte gleichzeitig auf mich herein, da waren so viele Stimmen, es war so laut. Ich wollte schreien. Ich wollte nur schreien und mir die Ohren zuhalten und alles enden lassen.

Ich bemerkte zuerst nicht, dass Acyn mit mir sprach. Erst, als die Stimmung um mich herum unruhig wurde, fing ich wieder an richtig zu hören, zu viel zu hören.

„Ally, hey, hör mir zu, du darfst jetzt nicht die Kontrolle verlieren... was hast du getan du verdammter Idiot? Willst du sie unbedingt kaputt machen?! Wieso hast du je damit angefangen? Wie soll sie das alles verkraften?" Er wandte sich an Reed, doch ich hörte gar nicht mehr zu, was die beiden sprachen, ich war überwältigt von der Geschichte, dem Durcheinander in mir drinnen, das unbedingt raus wollte. Es wollte ganz dringend raus.

Mein Bruder schubste Reed halb zu Boden, als dieser zu mir gehen wollte, und der Anblick erschütterte mich. Ich wollte keinen Kampf, aber ich war nicht in der Lage überhaupt nur noch einen Satz zu bilden, konnte nur zitternd dasitzen, mir meine Nägel ins Gesicht drücken und versuchen zu atmen.

„Was ist hier bitte los?", fragte Riley, der mit Elin zusammen ins Zimmer kam.

„Der Idiot hat ihr die Wahrheit erzählt, das ist los!", schrie Acyn wütend.

„Wieso würde er das tun?", fragte Elin und das von ihr zu hören, ließ alle Dämme brechen.

Sie hatte es gewusst?

Entsetzt sah ich meine beste Freundin an, konnte es kaum glauben. Sie alle hatten es gewusst. Jeder hatte es gewusst außer mir. Wie hatte jeder mich derart belügen können? Was von meinem Leben war überhaupt real? War alles nur eine Einbildung von mir? War irgendwas jemals so geschehen, wie ich es dachte? Ich war nicht ich. Ich war jemand anderes und erinnerte mich nicht. Das war so verwirrend. Alles in mir war so laut, das Zimmer fühlte sich ganz plötzlich so erdrückend an, zu eng, zu voll, zu laut. Ich wollte fort. Ich wollte weg von hier.

„Ally, ich weiß es ist sicher sehr verwirrend zu hören, aber-"
„Aber was?", fragte ich und sprang vom Bett auf, als Elin mich berühren wollte und wich fort von ihr, in die Richtung der Türe. „Du wusstest es! Du hast es gewusst. Jeder hat es gewusst und einfach zugesehen, während ich..." Während ich Fragen hatte, verwirrt war, glaubte den Verstand zu verlieren. Wieso? Wieso ich? Ich kapierte es nicht. Das war alles so verrückt.

Avenoir| Band 3 [18+] ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt