24. Malia

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"I like to listen. I have learnt a lot from listening carefully. Most people never listen." — Ernest Hemingway

Rowan ließ von mir ab, um zu meiner Cousine zu sehen. Würde er sie nicht auch sehen und wäre der andere Mann im Raum nicht so erschrocken, wie unbemerkt sie sich ins Zimmer geschlichen hatte, hätte ich geglaubt, zu halluzinieren.

Da stand sie und ich verstand, was jeder wegen den Ähnlichkeiten meinte. Auf den ersten Blick zumindest.

Wir hatten beide das gleiche braune Haar, nur hingen bei ihr die Strähnen fast bis zum Po herab. Mein Haar war kürzer.

Unser Gesicht hatte eine so ähnliche Form, so viele gleiche Merkmale, nur hatte sie helle Augen, ihre Nase wirkte gerader als meine, ihre Lippen schmaler.

Je länger ich sie ansah, desto weniger fand ich, dass wir uns ähnelten, auch wenn eine gewisse Vertrautheit existierte, die ich niemals leugnen könnte. Wir könnten Schwestern sein. Vielleicht sah man seinen Cousinen einfach so ähnlich. Es war dennoch gruselig.

Wie angezogen von ihrer Nähe lief Rowan auf Malia zu. Diese wirkte im ersten Moment entspannt, wie sie ihn fixierte, nicht zurückwich, aber ich erkannte, dass es ihr doch schwerer fiel ruhig zu bleiben, als sie es sich anmerken lassen wollte. Ihre Zeigefinger kratzten fast unmerklich über ihre Daumen, während alle anderen Finger locker herabhingen. Es war eine Geste, die von mir hätte stammen können. Wenn ich nervös war, kratzte ich mir die Haut auf. Malia war nervös. Ich wäre an ihrer Stelle auch nervös. Der Teufel persönlich stand vor ihr. Der Mann, vor dem sie seit 15 Jahren auf der Flucht war.

„Meine Malia", hauchte Rowan und blieb kurz vor ihr stehen, sah sie an, als wäre sie ein gefallener Stern. Ich hatte ihn noch nie so emotional gesehen. Er sah sie an, als wäre sie seine große Liebe. Leider empfand er keinerlei Liebe für sie. Er war besessen von ihr. Da war ein großer Unterschied.

„Dima", begrüßte sie ihn und er lächelte.

„Den Namen habe ich abgelegt, als du mich verlassen hast. Ich heiße zurzeit Rowan, aber du kannst mich nennen, wie du willst."

„Lass Alice in Ruhe", sagte Malia leise und doch klang ihre Stimme stark, befehlend.

Er kam ihr noch näher.

Ich rührte mich nicht vom Fleck und sah ähnlich wie der andere Mann im Raum nur zu, wie sich das zwischen den beiden abspielte.

Er drückte sie gegen die Wand und überragte sie dabei um ein ganzes Stück. Rowan nahm ihr Gesicht in seine Hände und sie schloss kurz die Augen. Es war schwer zu sagen, was sie im Moment fühlte. Ich hatte diese Bindung zu ihnen nie kapiert. Ich hatte angenommen, sie war vor ihm geflohen. Nein, ich wusste, sie war vor ihm geflohen und doch war da eindeutig ein sehr vertrautes Band zwischen ihnen, das keiner leugnen könnte. Man müsste sie nur ansehen, und würde es erkennen.

Er presste seine Stirn gegen ihre, atmete tief ein, als ob er das erste Mal in 15 Jahren Luft kriegen würde. So verwundbar hatte ich ihn noch nie gesehen. Er wirkte kurz nicht mehr wie ein Monster. Er wirkte einfach wie ein normaler Mensch. Es war absurd.

„Sie gehört mir. So wie du mir einst gehört hast."
„Sie ist nicht die Person, die du haben willst", stellte Malia klar, öffnete wieder die Augen und sah zu ihm auf.

„Willst du mir einen Deal vorschlagen?" Rowans Stimme klang verführerisch, er sprach mit ihr so viel sanfter als er es mit mir je hatte und mir wurde richtig schlecht vom Zusehen. Einfach weil ich wusste, was er versuchte, weil ich es widerlich fand, wie sehr er sie wollte. Er tat so, als ob er sich um sie sorgen würde, gleichzeitig war er nur scharf auf die Macht, die sie ihm gab.

Avenoir| Band 3 [18+] ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt