20. Reeds Sicht Teil 2

547 32 9
                                    

"If there ever comes a day when we can't be together, keep me in your heart, I'll stay there forever." - Winnie the Pooh

Reed

Ich hatte meine wertvolle Zeit nicht für eine lächerliche Feier der Wächter verschwenden wollen. Ich hatte diesen Abend nutzen wollen, um mir in der abgelenkten Stimmung weitere Informationen zu beschaffen, die für mich nützlich sein könnten. Es wäre ideal gewesen. Es wurde zwar alles umso besser bewacht, doch nur von außen. Im Quartier selbst hätte ich mich unbeobachtet bewegen können, mir meine Informationen besorgen können, ohne dass es irgendwer mitbekommen hätte, doch dann hatte ich an Alice gedacht. Sie würde hier sein. Natürlich würde sie hier sein, sicher gekleidet in wunderschönen Gewändern, umgeben von ihrer Familie und ihren Freunden, und die Vorstellung ebenfalls mit ihr zusammen hier zu sein, mit ihr zu tanzen und glücklich zu sein, hatte mich beflügelt. Ich vermisste sie immerzu, wenn sie nicht gerade bei mir war, und ich wollte so gern Zeit mit ihr verbringen. Ich wollte so gerne mit ihr unbeschwert Zeit verbringen, ohne den Krieg oder Rowan oder irgendein anderes Grauen vor Augen. Ich wollte mit ihr tanzen, sie glücklich und unbeschwert sehen. Konnten all die Pläne nicht einen Abend warten? Damals zu den Dunklen Tagen hatte ich so viel wertvolle Zeit verloren, weil ich meine Pläne nie aufschieben wollte. Ich hatte sie vor alles und jeden gestellt und dadurch alles verloren. Nie wieder wollte ich es so enden lassen.

In meinen dunkelsten Albträumen sah ich immer noch Grace, als sie mich an diesem einen Tag angefleht hatte, bei ihr zu bleiben, sie nicht zu verlassen. Wäre ich damals geblieben, wäre all das nie geschehen, dann wäre meine Welt nicht zerbrochen. Nie wieder würde ich meine Pläne über alles stellen! Nie wieder!

Also war ich gekommen und Alice hatte mir die Sprache regelrecht geraubt, so wunderschön sah sie aus, so überwältigend war es ihr so nahe zu sein, von ihr angesehen zu werden, als ob ich ihre ganze Welt wäre. Ich verdiente es nicht so angesehen zu werden und doch konnte ich nicht leugnen, dass ich es liebte. Zu sehen, wie sehr sie mich liebte, ließ meine eigenen Gefühle für sie nur noch stärker werden. Es war absurd. Ich konnte kaum glauben, sie noch mehr lieben zu können als ich es längst tat, doch dann sah ich sie an und merkte, dass es doch ging.

Natürlich musste nur mal wieder irgendwer den wundervollen Moment zwischen uns ruinieren, in diesem Falle mein nerviger Zwilling.

Ich sah Alice wehleidig nach, wie sie im Quartier verschwand und wandte mich fast etwas genervt an Hayden.

„Was willst du?" Ich wollte lieber Zeit mit Alice verbringen, mit ihr tanzen, sie bewundern. Konnte dieses Gespräch nicht warten?

„Wir zwei müssen dringend reden!"
„Und das hat keine Zeit bis morgen zu warten?"
„Nein! Ich will endlich wissen, was du mir wegen Alice verschweigst!"

Verblüfft von seinen Worten sah ich ihn an und blinzelte irritiert. Damit hatte ich nicht gerechnet.

„Alice?"
„Ich will keine Ausreden! Ich will die Wahrheit hören!" Er war aufgebracht. Betrunken, eindeutig betrunken, aber auch sehr aufgebracht. Was genau wusste dieser Idiot? Oder viel eher, was glaubte er zu wissen?

„Ich war vor ein paar Tagen mit ihr unterwegs, als etwas Eigenartiges geschehen ist... sie... für einen Moment da war sie nicht mehr sie selbst, doch ich dachte nur, es wäre die Aufregung mit dem Haus und den Erinnerungen an früher und alles gewesen... und vorhin im Saal..."
„Was war da?" Nervös sah ich ihn an. Es gab Dinge, die ich sehr stark vor Alice geheim halten wollte, die ich aus Sicherheit, dass auch ja nichts zu ihr durchdrang, auch vor anderen geheim halten wollte. Dass Hayden die Wahrheit herausfinden würde, hätte mir bewusst sein müssen. Er mochte in vielen Dingen ein Schwachkopf sein, aber leider war er nicht so blöd wie ich es manchmal gern hätte.

Avenoir| Band 3 [18+] ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt