38. Asche

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"I love you, with a touch of tragedy and quite madly." — Simone de Beauvoir

Ich konnte unmöglich lange das Bewusstsein verloren haben. Noch ehe ich ganz in die Dunkelheit gleiten konnte, hörte ich Reed nach mir schreien und dieses Mal war es keine Einbildung.

„Alice. Oh, bei den Göttern, Alice." Er kniete neben mir auf dem Boden, nahm mich in seine Arme und zog sich das Oberteil aus. Eine merkwürdige Geste in Anbetracht der Situation und es wurde noch merkwürdiger, als er mir dieses nun versuchte überzuziehen, wo es mir bis zu meinen Oberschenkeln reichte.

„Sie lebt", sagte ich mit kratziger Stimme. „Reed, sie lebt." Mein Kopf war wirr, mein Körper schwach, aber ich durfte nicht vergessen, was Kol mir gesagt hatte. Ich würde es nicht vergessen!

„Psht, es wird alles gut. Nicht reden, Herzblatt. Hayden, gib mir deinen Pulli!", sagte Reed und ich sah benebelt zu Hayden, der auch hier war, sich seinen Pulli auszog, so dass er nur noch ein Tanktop trug. Erst als Reed mir diesen um die Hüfte wickelt, kapierte ich das alles.

Ich war nackt.

Das Feuer hatte meine Kleidung völlig verbrannt, es war nichts mehr übriggeblieben und meine Haut war von Ruß und Asche bedeckt wie alles andere hier auch.

„Reed...", sagte ich, wollte ihm begreiflich machen, was hier geschehen ist, aber all die Stimmen, die nun zu mir drangen und die von all den Leuten stammten, die den Saal betraten, sie lenkten mich ab, überforderten mich etwas.

„Ich bringe dich weg", sagte er und hob mich sicher in seine Arme, lief mit mir aus dem Raum. Ich presste erschöpft mein Gesicht gegen seine Schulter, mied die neugierigen und entsetzten Blicke aller, an denen wir vorbeiliefen. Ich wollte weinen. Weinen und schreien und weg von diesem Ort.

„Alice!" Meine Brüder.

„Sie muss in die Heilkammer!", sagte Riley und schien mich aus Reeds Armen reißen zu wollen, aber dieser ließ mich nicht los und ich ihn genauso wenig. Ich wollte nicht weg von ihm. Niemals!

„Ich bringe sie nach Hause! Dieses verdammte Quartier besteht nur aus Sicherheitslücken! Sie bleibt keine Sekunde länger hier."
„Er hat recht", stimmte Acyn Reed zu. „Sie muss weg von hier. Hier sind zu viele Feinde, es ist zu gefährlich!"

Ab da bekam ich kaum mehr was mit. Ich wusste nur, dass Hayden uns fuhr, ich auf Reeds Schoß saß und immer wieder von Zitteranfällen gepackt wurde, immer wieder am Husten war, als würde ich gleich meine Lunge verlieren.


Im Haus verfielen meine Großeltern halb in Schock bei meinem Anblick und Hayden beruhigte sie, während Reed mich hinauf ins Bad trug, wo er mir die notdürftige Kleidung auszog, um mich in meine Wanne zu setzen.

„Es wird alles gut", besänftigte er mich sachte, während er mich von den Spuren des Feuers befreite und angenehm kühles Wasser auf mich rieseln ließ.

„Sie ist nicht tot", murmelte ich ganz geschwächt, wollte es ihm sagen, musste es ihm sagen, aber wenn er so neben mir auf dem Boden kniete, sich so liebevoll um mich kümmerte, dann wollte ich, dass er mir gehörte, dann wollte ich, dass er nur an mich dachte, mich tröstete, mich hielt.

Ich war egoistisch.

Konnte ich es nicht wenigstens für jetzt ganz kurz sein?

„Wer ist nicht tot, Herzblatt?", fragte er mich und lächelte mich liebevoll an.

„Grace." Der Name fiel über meine Lippen, ehe ich mich hätte stoppen können.

Reed erschrak so sehr von diesem einen Wort, diesem einen Namen, dass er den Duschkopf fallenließ und sich selbst mit Wasser vollspritzte, ehe er ihn hastig wieder aufhob.

Avenoir| Band 3 [18+] ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt