29. Training

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"All the hardest, coldest people you meet were once as soft as water. And that's the tragedy of living." — Iain Thomas

Reed hat die Nacht bei mir verbracht. Ich war froh darum. Mittlerweile erschien es mir unmöglich, ohne ihn überhaupt Schlaf zu finden. Ich brauchte ihn bei mir, brauchte seine Hand, die ich wie einen Anker hielt, um nachts nicht in meiner Traumwelt verloren zu gehen.

Meine Familie hatte es eher kritisch aufgenommen, als Reed mit mir zum Frühstück gekommen war, aber keiner hatte wirklich was dagegen gesagt. Elin hatte mir nur leise zugeflüstert, wie erleichtert sie war, dass sie uns nicht hören musste. Immerhin konnten wir also doch still sein.

Da Rowan mich nun nicht mehr aktiv jagen würde, er keinen Grund mehr dazu hätte, lief ich nicht mehr ständig Gefahr, von ihm angegriffen zu werden. Die allgemeine Bedrohung war dennoch nicht vorbei und um uns alle auf den gleichen Stand zu bringen, fuhren Reed und ich nach dem Frühstück ins Quartier, während Elin vorhatte, später zusammen mit Acyn Riley für einen kleinen Spaziergang zur Erholung abzuholen, um ihn anschließend endlich nach Hause zu bringen.

Dann wäre wenigstens endlich jeder daheim, der daheim sei konnte. Gern würde ich meine Eltern und Dari auch zu uns zurückholen, aber sie wären sicherer, wenn sie sich fürs erste auch weiter von dem Quartier fernhalten würden.

Es war komisch nun mit Reed zusammen in Warrens Büro zu sitzen und über eine Bedrohung zu reden. Vor einiger Zeit war Reed noch die Bedrohung gewesen und genau hier in diesem Zimmer hatte ich gedacht, dass ich niemals mit Reed glücklich werden könnte, es nicht dürfte. Seltsam wie sich alles ändern konnte und das in so kurzer Zeit. Nun bekämpfte er diese Bedrohungen mit uns zusammen und einfach alles hatte sich verändert.

Würde das für später was ändern? Würde man ihm deswegen seine vorherigen Sünden vergeben können? Ich hatte im Grunde kein Recht das zu tun. Ich war nicht sauer auf ihn für seine Taten der Vergangenheit, aber verzeihen konnte ich sie ihm nicht, es lag nicht an mir. Ich war nicht auf der Welt gewesen, mir wurde nicht so viel Elend angetan. Das waren jedoch Sorgen für wann anders. Erst mussten wir Rowan beseitigen, den Krieg überstehen und danach konnte man über Reeds vergangene Fehler reden.

Reed hatte das Reden übernommen. Er hatte von unseren letzten Tagen berichtet, wie wir mehr über Rowan herausfinden wollten und wie dieser nun Malia hatte. Er erwähnte keine Details unseres Ausflugs in die Vergangenheit. Er ließ auch die Götter aus, die wir gesehen hatten. Sie waren unwichtig hierfür. Wir sollten uns darauf fixieren, wie wir Rowan beseitigen und Malia retten.

Am meisten war Warren noch immer schockiert, dass Malia überhaupt lebte, dass alles nur eine Täuschung gewesen war. Jeder Eingeweihte verstand, wieso sie das getan hatten, aber locker hinnehmen konnte es dennoch keiner so ganz. Hätte ich Malia vorher gekannt, wäre ich sicher auch gekränkt gewesen, wenn ich 15 Jahre mit so einer Lüge leben musste. Immerhin hatte man sie gesucht, man hatte um sie getrauert, Kellin wurde von dutzenden Jägern gejagt. Das war alles ein enormer Aufwand gewesen.

Nachdem wir ihm grob erzählt hatten, wieso Malia geflohen war und wieso sie nun nach 15 Jahren wieder da war, hatte Warren es zwar besser verstehen können, aber vermutlich würde er das auch erst ganz glauben, wenn er sie sieht, wir sie endlich richtig nach Hause bringen konnten. Warren dachte viel über Reeds Geschichte nach. Er stellte Fragen zu gefundenen Hinweisen, die exakte Wortwahl Rowans, als er den Deal mit Malia eingegangen war, was für Vermutungen wir bezüglich Rowan hatten.

Wir hatten keine. Wir wussten weder, wie man ihn umbringt, noch, was seine Pläne waren. Wir hatten nur Vermutungen und Vermutungen waren unbedeutend in dieser Angelegenheit.

„Das ist nicht gut", sagte Warren, der wie immer, wenn er nervös war, im Zimmer tigerte. „Malia bringt ihm offenbar mehr Kraft als Alice. Er will sie so viel dringender als Alice. Dass er meinte, sie nur einen Monat zu brauchen, ist beunruhigend. Es gibt uns eine Zeitspanne."
„Eine kurze Zeitspanne", sagte ich leise. Ich wollte mir nicht ausmalen, was in diesem einen Monat geschehen würde.

Avenoir| Band 3 [18+] ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt