39. Alte Tempel

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"I do not speak as I think, do not think as I should, and so it all goes on in helpless darkness." - Franz Kafka

Die nächsten zwei Tage verbrachte ich im Bett. Mein Körper war so entkräftet von allem, was im Quartier geschehen ist, dass ich kaum den Weg zum Bad schaffte, ohne dass meine Beine wie verrückt zitterten oder ich vom Schwindel gepackt wurde. Die anderen leisteten mir viel Gesellschaft, so dass in meinem Zimmer entweder Elin, einer meiner Brüder, Hayden und Sam oder meine Großeltern waren. Reed war sowieso immer da und Cameron und Lilien mieden mich, was gut so war. Ich war ehrlich, dass Liliens alberne Kommentare und Camerons stille Anwesenheit mir manchmal fehlten, aber dann erinnerte ich mich daran, was sie getan hatten und ich wurde wieder wütend. Sicher, sie hatten Fehler begangen, die sie bereuten, aber ich sah ihnen an, dass sie Reed immer noch misstrauten und Kellin nach wie vor nicht ausstehen konnten, und das, obwohl beide gezeigt hatten, dass sie nicht der Feind waren. Es fiel mir schwer ihnen so zu verzeihen. Sie bemühten sich auch nicht darum, um Vergebung zu bitten.


In dieser Nacht war Reed ausnahmsweise nicht bei mir geblieben, da Kelin ihn für irgendwas Wichtiges beansprucht hatte, und so hielten mich Albträume von Aurora wach. Ich träumte seit dem Feuer ständig von ihr, wie ich in Flammen erstickte und andere alberne Dinge sah. Die Träume vermischten sich oft mit der Erinnerung an den Ball, wo der Gott Loki mich angegriffen hatte, und panisch und ganz verschwitzt wachte ich zum Morgengrauen hin auf.

Es ging mir heute endlich wieder so gut, dass ich mein Bett hoffentlich längerfristig verlassen könnte, und das wurde auch Zeit. Ich hasste es nichts zu tun. Ich war nicht dafür gemacht still im Bett zu liegen. Ich brauchte Bewegung, ich brauchte eine Aufgabe.

Ich duschte, um den Schweiß von der fürchterlichen Nacht von mir zu waschen, ehe ich mich umzog und zum Frühstück schritt. Wäre Reed bei mir gewesen, wäre es mir in der Nacht besser ergangen. Ich hatte gehofft, er würde irgendwann kommen, wenn sein Job erledigt wäre, aber er war beschäftigt und ich musste dringend lernen auch ohne ihn Schlaf zu finden. Das hatte ungesunde Ausmaße angenommen.

„Weißt du, wenn Reed und du schon unbedingt so rücksichtslos sein müsst Sex zu haben, wenn alle im Haus sind, dann könntet ihr das auch leise machen", murrte Acyn, als ich mich gegenüber von ihm an den Tisch setzte.

„Bitte?", fragte ich und mein Großvater verschluckte sich an seinem Kaffee.

„Ich war so kurz davor, ins Zimmer zu kommen und ihn umzubringen."
„Reed war nicht einmal hier", sagte ich empört von der Anschuldigung. Und selbst wenn er da war, bemühten wir uns leise zu sein, zumindest wenn die anderen im Haus waren.

„Ahja? Was habe ich dann gehört? Geister in den Wänden?", fragte Acyn und ich fragte mich kurz, ob er das wohl vielleicht tatsächlich hat, wenn mir nicht aufgefallen wäre, wie rot Elin anlief und wie Riley das Ei auf seinem Teller mit seiner Gabel zermatscht hatte.

Acyn folgte meinem Blick und war genauso verstört wie ich.

„Ihr zwei?", fragte er und ich war sprachlos. Elin und Riley? Meine beste Freundin seit Kindertagen und mein großer Bruder?

„Ähm...", stammelte Elin nur und mied all unsere Blicke.

War es so eindeutig gewesen? Wie hatte ich etwas Derartiges nicht bemerken können? Meine beste Freundin stand auf meinen Bruder? Mein Bruder wollte was von meiner besten Freundin? Ich meine, Elin hat sich sehr um ihn gesorgt, als er im Krankenhaus lag und auch danach, aber ich hatte es darauf geschoben, dass sie zur Familie gehörte. Ich hatte gedacht, meine Brüder wären wie ihre Brüder. Offenbar wollte sie von Riley nur was ganz anderes als ein geschwisterliches Band.

Avenoir| Band 3 [18+] ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt