Kapitel 1 - Viktoria

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Mit einem leisen Ächzen versuche ich mit meinen Fingern an den Reißverschluss des Kleides am Rücken zu kommen, damit ich es schließen kann.

Es konnte wohl nur Männer einfallen, Reißverschlüsse am Rücken eines Kleides anzubringen. Männer tragen ja größtenteils keine Kleider und wissen nicht, wie unerreichbar das Schließen eben dieses benannten Reißverschlusses ist. Allein.

Nachdem ich meinen Arm halb verrenkt habe, bekomme ich den kleinen Zipfel zu fassen. Aus dem Wohnzimmer höre ich mein Handy klingeln. Mit schnellen Schritten eile ich durch den Flur meiner Wohnung. Vor einer Woche bin ich eingezogen und überall stehen Umzugskartons herum.

Dass ich meiner Familie gesagt habe, ich sei gestern Abend erst aus Berlin zurückgekehrt, führe ich auf einen persönlich entwickelten Schutzmechanismus zurück.

Meiner ganzen Familie zu begegnen, einschließlich meines Onkels mit Familie und meiner Großmutter, hätte mich nahe an einen Nervenzusammenbruch geführt.

Also behauptete ich frech, ich sei erst spät gestern von Berlin angekommen und wäre zu müde, um mit der Familie zu Abend zu essen und die darauffolgende Christmette zu besuchen.

Meine leicht zu überzeugende Mutter hat mir geglaubt.

Aber ich weiß, dass ich heute die Konsequenzen dafür tragen werde.

„Frohe Weihnachten!", kreischt mir meine Freundin Franziska ins Ohr. „Frohe Weihnachten.", gebe ich mit einem Lächeln im Gesicht zurück. „Warum rufst du an? Wir haben uns doch erst vor drei Tagen gesehen."

Wir waren zusammen Mittagessen. Allergings in einem Restaurant, in dem ich nicht sofort erkannt wurde. Zu schnell hätte sich herumgesprochen, dass die älteste Tochter von Karl Theodor von Zurrenberg in die Stadt zurückgekehrt sei.

Und dann hätte ich mich vor Heiligabend vor der gesamten Familie nicht retten können. Selbst Franzi musste mir versprechen, nichts über mich zu erzählen.

Durch die Heimlichtuerei hatte ich eine recht entspannte Woche und konnte in Ruhe meine Wohnung einrichten.

„Ich weiß, eigentlich gibt es nicht so viel Neues zu erzählen. Aber ich habe erfahren, dass Luca Spinelli dieses Jahr noch eine Ausstellung macht. Und ich will nicht allein gehen."

Ich seufze auf. Luca Spinelli, aufgehender Stern am Künstlerhimmel. Ich selbst bin an Kunst interessiert und immer offen für neue Künstler. Nur habe ich Spinellis Stil schon kennengelernt und mich dafür entschieden, seine Kunst nicht zu mögen.

„Viki, bitte. Es ist eine gute Möglichkeit, dich in der Stadt wieder sehen zu lassen." Ich brumme und an ihrem Lachen, erkenne ich, dass sie weiß, ich werde nicht ablehnen.

„Okay, ich komme mit. Besorgst du die Karten?" Für meine beste Freundin tue ich doch alles.

„Du bist ein Schatz! Ich schreib dir noch mal, wann genau. Viel Glück beim Familienessen!" „Das werde ich brauchen.", murmle ich vor mir her, aber Franzi hat schon aufgelegt. Ich habe ihr von meinen zukünftigen Jobambitionen erzählt.

Und diese werden meinem Vater alles anders als gefallen.

Seiner Meinung nach sollte ich einen reichen Geschäftsmann heiraten, wöchentlich zum Brunch einladen und Kinder großziehen.

Dass ich in Finanzen und Wirtschaft studiert habe, in Berlin vier Monate bei einer Bank Erfahrungen gesammelt habe und nun weiterarbeiten möchte, ist meinem Vater ein Dorn im Auge.

„Es hilft nichts.", sage ich zu mir selbst, mache einen letzten Kontrollblick in den Spiegel – meine Mutter wird sowieso irgendwas an mir auszusetzen haben – und nehme die Tasche mit den Weihnachtsgeschenken in die Hand.

Winternacht - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt