Kapitel 21 - Viktoria

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Ich stürze mich in die Arbeit und verbringe 12 Stunden in der Firma am Montag. Wenn ich arbeite, kann ich das Schlamassel, in das ich geraten bin, für ein paar Stunden vergessen. Und wenn ich gerade nichts zu tun habe, dann versuche ich den Samstagabend einfach zu verdrängen.

Ich weiß, Verdrängung ist mit Abstand nicht die beste Idee, um Probleme zu lösen, aber so lange ich nicht weiter weiß, verdränge ich eben.

Eine Nachricht ploppt auf meinem Handy auf und mein Herz bleibt für einen Moment stehen, nur um schnell rasend weiter zu schlagen. Ich halte mir eine Hand an meine Brust, um mich zu beruhigen. Die Erleichterung, die ich verspüre, ist nicht in Worte zu fassen. Es ist bloß Basti, der mir ein Daume-hoch-Zeichen geschickt hat.

Jakob hat mir seit Samstagnachmittag keine Nachricht mehr geschickt und nicht mehr versucht mich anzurufen. Ein Knoten, so groß wie eine Bowlingkugel, bildet sich wieder in meinem Magen. Es ist das schlechte Gewissen, keine Frage. Aber ich weiß nicht, wie ich Jake unter die Augen treten soll. Ich weiß momentan gar nichts.

Frustriert werfe ich meinen Kugelschreiber vor mir auf den Schreibtisch. Ich versuche ein paar Mal tief Luft zu holen, um mich zu beruhigen, aber das bewirkt nur, dass Elias in meinem Kopf herumspuckt.

Wäre ich allein würde ich jetzt anfangen zu weinen. Weil ich einfach keinen Ausweg weiß.

„Hey, können wir los?" Mein großer Bruder steht vor meinem Schreibtisch und lenkt mich von meinen verzweifelten Gedanken ab. Ich versuche ein Lächeln und schnappe mir meinen Mantel. „Geht es um was Besonderes, oder warum gehen wir alle zusammen Mittagessen?", fragt Alex, während wir zum Aufzug laufen. „Äh, ich...ich dachte, es wäre mal schön." Er kneift kurz die Augen zusammen, gibt sich aber mir der Antwort zufrieden. Im Aufzug überlege ich fieberhaft, wie ich meinem Bruder hilfreiche Informationen entlocken könnte, ohne dass er misstrauisch wird. Der Lift hält in einem unteren Stockwerk, der Mann, der davor steht, als sich die Türen öffnen, macht aber einen Rückzieher und steigt nicht ein. Mit seinen weit aufgerissenen Augen wirkt er beinahe verängstigt, als er uns zwei sieht.

Alex lacht, sobald sich die Türen wieder schließen, und lehnt sich an die Aufzugswand.

„Zwei von Zurrenbergs. Das war zu viel für ihn." Er schüttelt noch immer grinsend den Kopf. „Macht dir ja mächtig Spaß, Angestellten Angst einzujagen." Er zuckt lediglich mit den Schultern. „Amüsant ist es schon. Das geht aber alles auf Papas Konto. Er hat die Angst-Herrschaft aufgebaut." „Dann sollten wir versuchen, diese zu beenden.", entgegne ich. „Das mache ich ja schon. Aber ich wollte jetzt auch keine Diskussion anfangen, weil ich Hunger habe und keine endlose Mittagspause machen kann." Ich kann mir kaum ein Augendrehen verkneifen, weil er sich so pflichtbewusst anhört und dabei Papa ähnelt.

Sobald wir an die kühle Luft kommen, es sind nur wenige Grade über Null, gibt Alex das Tempo vor, aber ich drossle ihn ein wenig, mit der Begründung, ich könne in den Pumps nicht so schnell laufen. Das ist natürlich Unsinn, in den Pumps könnte ich sogar rennen, aber bis zum Belle Vue sind es zu Fuß nur knappe 7 Minuten zu gehen. Und ich benötige jede einzelne davon.

„Als du mit Anna zusammen warst...", beginne ich das Gespräch und bekomme so Alex volle Aufmerksamkeit. „Was war da?", fragt Alex, nachdem ich nichts weiter sage. „Also, du warst doch freiwillig mit ihr zusammen, oder?" Das hört sich seltsam an, aber ich kann die Frage nicht zurück nehmen. Alex schmunzelt. „Laufen wir deshalb so langsam, weil du, bevor die anderen zu uns stoßen, mit mir reden willst?" Ich werfe ihm nur einen Blick zu, der alles sagt. Er seufzt kurz auf. „Ich war mit Anna zusammen, weil ich es wollte. Unseren Eltern hat es halt in den Kram gepasst." „Ihr galtet lange als Traumpaar." Sie waren es auch. Von außen betrachtet zumindest. „Anna und ich hatten sehr schöne gemeinsame Jahre. Und die bereue ich auch nicht. Es war mit ihr ein gemeinsamer Lebensabschnitt. Und dann kam Jessy. Gleichzeitig hat sich Anna in Hendrik verliebt." Er macht eine kurze Pause. „Am Ende haben wir nur noch gestritten. Über Kleinigkeiten, die es nicht wert waren. Es hat einfach nicht mehr funktioniert." „Wie kommst du mit der Verlobung klar?" Ich möchte nicht vom eigentlichen Thema ablenken, aber es interessiert mich. Alex sieht nachdenklich auf den Fußweg vor uns. „Ich freue mich für sie. Es war überraschend, klar, aber ich mache jetzt nicht aus Trotz Jessy einen Antrag oder so." Er sieht mir aufmerksam ins Gesicht und wartet meine Reaktion ab. „Das passt momentan gar nicht. Oder?" Ich sehe seine Unsicherheit und lächle sanft. „Das müsstest du mit Jessy klären. Aber für mich macht es den Anschein, als wöllte sie erstmal beruflich Fuß fassen.", gebe ich mich diplomatisch. „Ich würde ihr sofort einen Antrag machen.", sagt er leise und mit heißerer Stimme. Ich höre seine Zuneigung und seine Gefühle für sie heraus.

Winternacht - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt