Vor meinem ersten Arbeitstag bin ich nervöser als ich es je jemanden gegenüber zugeben würde. Es ist eben nicht nur ein Job. Es ist ein Job in der Firma meines Vaters, der mich in diesem Job am liebsten scheitern sehen würde. In meinem Kopf kann ich Papas Stimme schon hören: ich habe es dir doch gleich gesagt, diese Arbeit ist nichts für dich. Oder für Frauen im Allgemeinen. Nimm dir ein Beispiel an deiner Mutter. Widme dich der Wohltätigkeit.
Ich weiß, dass mein Vater so denkt, aber es spornt mich an, es ihm zu zeigen. Dass ich es eben doch schaffen kann.
Damit ich mich in meiner Haut wohl fühle, ziehe ich eine Bluse und eine meiner Lieblingsjeans an. Die neue Umgebung und Aufgaben werden meine Nerven genug strapazieren, da brauche ich nicht auch noch Kleidung, die bei jeder Bewegung zwickt oder spannt und mich somit ablenken würde.
Ich kann mir ein Lächeln kaum verkneifen, als ich als Mitarbeiterin das hohe verglaste Gebäude betrete. Dass ich meinem Vater jetzt wohl oder übel öfter begegnen werde, tut meiner Freude keinen Abbruch. Mein Bruder bekommt es auch hin, ihn zu ertragen.
Mit schwitzigen Fingern umklammere ich den Griff meiner Tasche, während ich darauf warte, dass sich die Türen des Aufzugs öffnen. Ich atme noch einmal tief durch und betrete dann mit meinen heißgeliebten schwarzen Pumps den dunklen Marmorboden.
Weil mir niemand gesagt hat, an wen ich mich wenden soll, melde ich mich am Empfang und dort weiß natürlich niemand von mir Bescheid. Innerlich verfluche ich meinen Vater. Das geht, wie immer, auf sein Konto.
„Du bist schon da?", höre ich Konrads erstaunte Stimme hinter mir. Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. 7:45 Uhr. An meinem ersten Arbeitstag wollte ich definitiv nicht zu spät kommen. „Ähm, ja. Offensichtlich." Konrad scheint wohl auch kein Langschläfer zu sein, wenn er um viertel vor Acht schon mit drei Ordnern auf dem Arm durch die Gänge läuft.
„Komm, ich zeige dir deinen Schreibtisch." Er winkt mich hinter sich her. Zusammen gehen wir im Großraumbüro zu einem Tisch, auf dem lediglich ein Telefon und ein Computerbildschirm stehen. „Es ist mein alter Platz, mittlerweile habe ich ein eigenes Büro." „Ein Büro muss man sich wohl erst verdienen, wie?" Ich sage nicht, dass ich in Berlin meine eigenen vier Wände hatte. „Hier bekommt man nichts umsonst." Konrad deutet auf den gemütlich aussehenden Drehstuhl. „Also, das ist dein Reich. Ich werde dich in den nächsten Tagen einarbeiten und ähm, es gibt schon einige kleine Aufgaben für dich.", sagt er, sieht mich aber nicht an. Als wäre es ihm unangenehm, mir das zu sagen.
„Du meinst, mein Vater benutzt dich als Kommunikationsmittel, um mir Unmengen von, vielleicht sogar unnötiger, Arbeit aufzuhalsen, damit ich nach wenigen Tagen das Handtuch werfe?" Konrads Ohren werden rot und er beginnt herumzudrucksen. Ich winke halbherzig ab. „Du kannst ja nichts für."
In der nächsten Stunde macht mich Konrad mit dem System vertraut und dann beginnt die Arbeit. Ich sehe Konrads schlechtes Gewissen, als er mir einen ganzen Haufen von Ordnern auf den Tisch legt, aber ich zaubere mir ein Lächeln ins Gesicht und halte durch. Am Vormittag genehmige ich mir eine kleine Pause und hole mir aus der Küche eine Kleinigkeit zu essen, aber am Mittag, als die Etage fast wie ausgestorben wirkt, weil alle Mittagspause machen, sitze ich als Einzige am Schreibtisch und arbeite weiter. Ich rufe mir die Worte von Konrad ins Gedächtnis: hier bekommt man nichts umsonst.
Erst durch harte Arbeit und gute Leistung werde ich Anerkennung bekommen. Und nicht mehr die Arbeit erledigen, die auch unterbezahlte Assistenten verrichten könnten.
Alex sehe ich nur einmal kurz und mein verehrter Herr Papa bekomme ich nicht einmal zu Gesicht, aber vielleicht habe ich ihn auch nicht bemerkt, weil ich viel zu beschäftigt bin. Aber mein Vater hat auch Unmengen von Arbeit zu erledigen. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass er sich bei mir kurz blicken lässt. Mich fragt, wie es an meinem ersten Tag läuft.
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Winternacht - Zurrenberg Romance
RomanceDie zweite Geschichte der Zurrenberg Familie!! Viktoria von Zurrenberg möchte ihrem Vater zeigen, dass Frauen in einer männerdominierten Welt bestehen können. Jakob möchte sich zusammen mit seinem Bruder den Traum von einem eigenen Juwelierladen in...