Kapitel 23 - Viktoria

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Ich nehme mir eine Banane aus der Obstschale in der Kochnische und lasse mich auf einen der wackeligen Stühle nieder. Für ein paar Minuten gönne ich mir eine Pause, bevor ich weiter arbeite. In knapp zwei Wochen werde ich den Quartalsbericht vorstellen. Es ist noch viel Arbeit bis dahin und da ich möchte, dass er perfekt wird, muss ich über jedes Detail mehrfach drüber schauen.

„Oh, ich will mir nur einen Kaffee holen." Etwa zwei Meter vor mir bleibt eine meiner wenigen weiblichen Kollegen stehen. Ich glaube sie heißt Aileen. Aileen ist eine etwas pummelige Frau um die Dreißig. Mit ihrer Brille mit den runden Gläsern hat sie einen besonderen Wiedererkennungswert. Ich lächle sie freundlich an. „Kein Problem. Sie können sich auch zu mir setzen." Ich sehe meine Chance gekommen, endlich Kontakte auf der Arbeit zu knüpfen. Aileen ist sich offensichtlich nicht sicher, wie sie auf mein Angebot reagieren soll. Schnell nimmt sie sich die Kaffee-Kanne und gießt ihren Becher bis zum Rand voll. „Ohne Kaffee kann ich auch nicht überleben.", starte ich den nächsten Versuch, aber ich bekomme keine Reaktion von ihr. Mit einem etwas gequälten Lächeln verlässt sie die Nische wieder und lässt mich allein zurück.

Ich lasse meine Schultern hängen und nehme den letzten Bissen meiner Banane. „An mir liegt es nicht.", murmle ich leise vor mich hin. Mittlerweile finde ich es schade, dass sich niemand meiner Kollegen mit mir anfreunden möchte. Bei den männlichen Kollegen ist es sogar noch schlimmer. Entweder sind sie solche Arschlöcher, die sexistische Witze machen, mich hochnäsig ignorieren oder ängstlich die Schultern hochziehen, wenn sie mir auf dem Flur begegnen. Es ist, als könne ein Blick von ihnen auf mich tödlich sein.

Papa hat die letzten Jahre vollen Einsatz gezeigt, um seine Arbeitnehmer einzuschüchtern. Lediglich Konrad kommuniziert mit mir wie ein ansatzweise normaler Mensch.

Gerade als ich wieder an meinen Arbeitsplatz gehen möchte, sehe ich Alex den Gang entlang laufen. So schnell wie ich kann, presse ich mich mit dem Rücken an den Kühlschrank und hoffe, dass ich für meinen Bruder unentdeckt bleibe. Das Gespräch von gestern mit ihm, nachdem wir wieder zurück zur Arbeit gelaufen sind, kommt mir wieder in den Sinn.

Ja, ich kenne Jakob seit Silvester. Ja, wir waren miteinander aus. Nein, da sind keine romantischen Gefühle im Spiel. Ich habe mich einfach sehr gut mit ihm verstanden. Nein, wir sind nur Freunde. Nein, er wohnt noch nicht lange hier. Keine Ahnung, was für einen Job er hat, ich glaube er ist im Einzelhandel tätig. Der andere? Ich glaube, das war sein Bruder.

Es war ein Wirrwarr aus Ehrlichkeit und Lügen, um Jakob vor meinem Bruder zu beschützen. Sobald Alex weiß, dass Jakob im Juweliergeschäft aufzufinden ist, wird er ihm dort einen Besuch abstatten. Ich weiß es einfach.

Ich lüge meinen Bruder wirklich selten an und ich hasse Lügen. Genau deswegen habe ich immerzu ein schlechtes Gewissen, wenn ich Alex über den Weg laufe. Deswegen versuche ich ihm aus dem Weg zu gehen. Was mich aber am meisten schmerzt ist Alex Reaktion.

Halte dich lieber von ihm fern. Wer weiß, was er von dir will. Es wäre Mamas erster und Papas zweiter Herzinfarkt, wenn sie dich mit ihm sehen würden.

Und sie würden sich nur schwer von diesem Anblick erholen, ich weiß. Wie kann man nur so menschenfeindlich sein?

Stück für Stück rücke ich etwas nach vorne, um zu sehen, ob mein Bruder noch da ist, aber er scheint weg zu sein. Mit einem erleichterten Seufzen lasse ich mich wieder an meinem Arbeitsplatz nieder. Und schrecke jäh hoch, als Elias mich anruft. Mein Puls erhöht sich und ich bekomme schwitzige Hände. Ich habe seit Samstagabend nicht mehr mit ihm geredet. Was will er?

Mit klopfendem Herzen wische ich auf dem Display zur Seite und halte das Handy an mein Ohr.

„Viki, gut, dass ich dich erreiche." Alles in mir schreit danach ihn zurecht zu weisen, dass er jegliches Recht verloren hat, mich Viki zu nennen.

Winternacht - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt