Kapitel 22 - Jakob

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Ich weiß nicht, ob das Schicksal es gut mit mir meint oder nicht. So oder so – ich stehe bei Viktoria und ihren Geschwistern am Tisch und warte. Warte auf Erklärungen für ihr seltsames Verhalten der letzten Tage. Ich ignoriere die Blicke ihrer Brüder und ihrer Schwester und sehe nur sie an.

Sie erinnert mich an ein Reh im Scheinwerferlicht. Ich meine Angst und Hilfslosigkeit in ihren weit aufgerissenen Augen zu sehen. Was ist am Wochenende nur passiert?

Sie öffnet ihren Mund, aber es kommt kein Ton heraus. Ich beiße die Zähne zusammen, weil sich immense Wut in meinem Bauch sammelt. Wenn sie mich nicht sehen will, dann könnte sie es doch wenigstens sagen! Ist das zu viel verlangt?

Ich starre sie noch einen Moment an, gebe ihr die Chance, etwas zu sagen. Aber sie bleibt still. Ich atme tief ein und Resignation tritt bei mir ein.

Das hier ist das Ende. Ich bin mir sicher.

Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ihre Geschwister auch am Tisch sitzen, und sie sich für mich schämt oder aber es mit ihrer Familie überhaupt nichts zu tun hat, warum sie nichts sagt.

Ich nicke kaum merkbar und versuche mir meine Enttäuschung nicht anzumerken.

Es ist wohl die größte Ironie meines Lebens, dass ich, Frauenheld Nummer eins, der noch nie einer Frau nachgeweint hat, von einer Frau, die ich wirklich mag, abserviert werde. In Viktorias Augen sehe ich Panik aufsteigen, aber was soll ich tun? Sie hat sich nicht zurückgemeldet, sie sagt jetzt noch nicht mal was, dabei wäre sie an der Reihe, endlich etwas zu tun. Ein Gefühl des Bedauerns macht sich in mir breit. Bedauern darüber, was mit uns hätte sein können. Gemeinsame Zeit zusammen, gemeinsames auf-der-Couch-liegen-und-einfach-nur-entspannen, so wie wir es schon einmal getan haben.

Mit hängenden Schultern senke ich meinen Blick. Diese Situation ist alles anderes als angenehm. Mit vereinten Kräften sammle ich meine Würde zusammen, ich habe auch meinen Stolz, und drehe mich herum, um zu gehen. Das Atmen fällt mir schwer und ich schiebe die Gefühle beiseite, die auf mich einprasseln. Wut, Ärger und vor allem Enttäuschung. Ich schiebe sie beiseite, denn sonst würde ich schreien. Zurück bleibt eine entsetzliche Leere, die ich noch nie zuvor gespürt habe.

Ich befehle meinen Füßen, einen Schritt vor den anderen zu tun, damit ich von diesem peinlichen Szenario fort komme. Ich will einfach nur weg hier.

„Jake! Jakob!" Ich stoppe abrupt. Zwei Sekunden später spüre ich Viktorias kalte Hand an meinem Unterarm und ich drehe mich zu ihr herum. Ihr Anblick raubt mir den ganzen Atem. Im negativen Sinn. Ihre Augen glänzen verdächtig. Sie wirkt unglaublich angespannt und zugleich aufgelöst. Augenblicklich rückt die Besorgnis wieder in den Vordergrund. Scheiße, was ist nur mit ihr los?

Viki streicht sich mit den Händen über ihr Haar, aber sie kann nicht verbergen, wie sie zittern. „Ich...ich...es ist alles so verdammt kompliziert. Und ich bin so durcheinander.", bringt sie heraus. „Du kannst ja doch noch reden." Ich drehe mich unauffällig so, dass sie mit dem Rücken zu den meisten Gästen steht und diese so nicht ihre Verfassung sehen können. Viki weiß nicht, ob sie auf mein Gesagtes lachen oder weinen soll. Am Ende ist es ein komisches Wimmern, das ihr über die Lippen kommt.

„Es tut mir alles so leid." In ihren Augen kann ich nur Ehrlichkeit sehen, was mich sofort besänftigt. Ich komme ihr entgegen. „Dann lass uns doch das Durcheinander ordnen." Ich hoffe, sie versteht mein Hilfsangebot.

Ärgerlich beobachte ich ihren großen Bruder, der auf uns zu kommt. „Alex...", sagt Viki mit warnendem Ton. Er hält mir die Hand entgegen. „Ich bin Vikis Bruder Alexander. Und Sie sind?" Ich ergreife seine Hand. „Ich bin Jakob. Ich habe Viktoria an Silvester kennengelernt." Ein überhebliches Grinsen zeichnet sich auf seinem Gesicht ab. „Wohl kaum..." „Stimmt, es war Neujahr um halb drei Uhr morgens an der Bar." Damit lande ich einen Volltreffer. Seine Sorge um seine Schwester ist unübersehbar. „Alex, bitte." Sie nickt in Richtung ihrer Geschwister. „Bitte.", wiederholt sie eindringlich. Die zwei liefern sich ein Blickduell, das Viki schließlich gewinnt. Mit angespannter Miene geht er wieder an den Tisch mit seinen Geschwistern. Viki reibt sich die Stirn. „Tut mir leid. Mein Bruder ist...eigentlich nicht so." „Du musst dich für deinen Bruder nicht entschuldigen." Wieder breitet sich Schweigen zwischen uns aus, währenddessen ich ihr Gesicht mustere. Unbewusst scheint sie auf ihrer Unterlippe zu kauen, als würde sie über etwas nachdenken.

Winternacht - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt