Kapitel 29 - Viktoria

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„Es tut mir leid." Mit hängenden Schultern stehe ich im Türrahmen von Alex Büro und hoffe, dass er meine Entschuldigung annimmt. Wie gebannt starrt er auf den Bildschirm seines Computers. Hat er mich gehört?

„Redest du noch mit mir?", frage ich leise nach. „Warte kurz." Er tippt auf der Tastatur herum und klickt ein paar Mal mit der Maus, ehe er mich hereinwinkt.

Mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich will nicht ins Wellness-Wochenende starten, ohne den Streit beigelegt zu haben. Zwei offene Auseinandersetzung sind einfach zu viel.

Ich setze mich wie gestern auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. „Es tut...", beginne ich wieder, aber Alex unterbricht mich direkt. „Ich muss mich entschuldigen. Ich war nicht fair. Ich musste gestern daran denken, wie du mir mit Jessy geholfen hattest, als ich sie im Cottage untergebracht hatte. Du hast weder Fragen gestellt noch meine Handlungen hinterfragt. Du hast mir damals einfach vertraut und jetzt sollte ich dir vertrauen."

Ich denke an damals zurück als Alex Jessy mit etlichen Verletzungen im Cottage hat wohnen lassen, ohne dass unsere Eltern davon wussten. Ich kannte sie damals noch nicht, aber ich merkte, wie sehr sie Alex bedeutete und habe ihm geholfen. Es war selbstverständlich. Alex starrt an mir vorbei zur Wand hinter mir. „Du hast immer einen gesunden Menschenverstand gehabt." Er hebt einen Mundwinkel. „Warum sollte er dir auf einmal abhandengekommen sein? Wenn du sagst, dass Jakob ein guter Kerl ist, dann ist es wohl so. Ich versuche dir zu vertrauen, ehrlich. Aber noch ist mein Misstrauen ihm gegenüber...da. Ich muss ihn einfach nur kennenlernen."

„Warum der Sinneswandel?", frage ich und traue dem Frieden noch nicht. Dass ich in der Vergangenheit alles andere als immer einen gesunden Menschenverstand hatte, sage ich ihm nicht.

Alex kichert kurz und kratzt sich dann am Kopf. „Meine bessere Hälfte hat mir die Leviten gelesen. Mehr musst du nicht wissen." Ich danke Jessy von Herzen und fühle mich zugleich schuldig, weil ich gestern so schlimme Dinge über sie gesagt habe.

„Danke Alex. Ich wollte das geklärt haben, bevor ich ins Wochenende verschwinde.", sage ich ehrlich. „Ach, stimmt ja. Das Wellness-Wochenende. Dann wünsche ich viel Spaß. Wird garantiert lustig.", feixt er und ich verdrehe die Augen. Gleichzeitig atme ich erleichtert aus. Der Streit scheint wohl der Vergangenheit anzugehören.

Auf dem Flur begegne ich Werner Dietrich. Am liebsten würde ich auf der Stelle kehrtmachen. „Ah, das Fräulein von Zurrenberg." Er hat einen herablassenden Ton angeschlagen, aber ich lasse mich davon nicht beeindrucken. „Ich hoffe, Sie haben sich ausreichend auf den Quartalsbericht vorbereitet? Ich an Ihrer Stelle würde das Wochenende nutzen, um noch mal alle Zahlen zu überprüfen." Ein letztes falsche Lächeln und er verschwindet um die Ecke.

„Was für ein Kotzbrocken.", stoße ich mit geballten Fäusten aus." „Na, na. Er hat seine Qualitäten." Papa tritt aus seinem Büro, dass schräg gegenüber von Alex liegt. „Seine blöden Sprüche kann er sich trotzdem sparen.", entgegne ich noch immer aufgebracht. Papa überhört mich einfach. „Wieso bist du noch da? Astrid ist mit Luise schon losgefahren. Sag nicht, du fährst doch nicht mit." Ich seufze. „Mike fährt mich gleich. Und da du vielleicht weißt habe ich bis Montag einen nicht gerade unwichtigen Vortrag vorzubereiten, also ist es nur verständlich, wenn ich noch hier bin." Ich beiße die Zähne zusammen und merke, wie sehr ich dieses Wochenende brauche. Die letzten Tage haben mir so viel Energie geraubt. Der Bericht, Alex, Jake...nicht an Jake denken, nicht an Jake denken.

Sonst fange ich an zu weinen.

Mein Vater sieht mich leicht besorgt an. Ja, es ist tatsächlich Besorgnis, die ich in seinen Augen sehen kann. „Du hörst dich gereizt an. Wenn es dir zu viel wird, dann kann das jeder hier nachvollziehen. Die Arbeit, die Familie, deine Freundinnen, dazu noch der Bericht und jetzt auch Elias – keiner würde es dir übel nehmen, wenn du es nicht alles unter einen Hut bekämst."

Winternacht - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt