Kapitel 18 - Jakob

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Mit einem freundlichen Lächeln verabschiede ich eine ältere Dame, die soeben ein ganzes Montagehalt eines Durchschnittsverdieners hier hinterlassen hat. Momentan könnte der Laden nicht besser laufen. „Wenn das so weiter geht, muss ich den Buissnessplan nochmal überarbeiten. Dann würden wir den Kredit von Dad viel früher abbezahlt haben und eher Gewinn einfahren.", meint mein Bruder zu mir, der der älteren Dame hinterher sieht und dann hinter dem Tresen etwas Ordnung macht. Franziskas Auftritt mit dem Collier bei dieser Veranstaltung hat wohl mehr Wirkung gezeigt, als ich gedacht hätte. Unter den vor allem weiblichen Kunden gibt es zwar manche, die mit einem argwöhnischem Blick den Laden betreten, aber ich kann an einer Hand abzählen, wie oft Leute den Laden diese Woche verlassen haben, ohne etwas zu kaufen. „Sei froh, dass es so ist. Räumst du hier fertig auf? Ich will noch mal in die Werkstatt." Mein Bruder nickt mir wortlos zu, was ich als Bestätigung interpretiere, also verziehe ich mich nach hinten.

Kaum sitze ich allein in meinem Reich und beuge mich über die Skizzen, die ich meinem Dad nachher schicken will, wegen des Hochzeitsgeschenks für Mum, kreisen meine Gedanken wieder um Viktoria. Heute habe ich ihr einen orangenen Blumenstrauß zukommen lassen und ich weiß nicht, wie ihre Reaktion darauf ausgefallen ist. Nervt es sie langsam? Fand sie die Geste schön? Findet sie es auch morgen noch schön, wenn ich ihr Blumen in Lilatönen schicke? Ich habe mir in den Kopf gesetzt, ihr Blumen in jeder Farbe zu schicken, außer Rot natürlich. Und vor allem keine rote Rosen. Bei diesem Gedanken kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Es ist momentan das Einzige was ich machen kann. Sie entscheidet. Und das bedeutet auch, dass sie den ersten Schritt machen muss. Aber bisher habe ich, bis auf ihre Nachricht, die mir der Kurier sichtlich nervös vorgelesen hat, nichts von ihr gehört. Es wird vermutlich noch einige Zeit brauchen, bis sie mir wieder vertraut, aber ich will alles unternehmen, damit das wieder geschieht. Bevor sie sich nicht meldet, werde ich sie nicht wieder sehen. Dabei vermisse ich sie mit jedem Tag mehr. Ihr Lachen, ihre ironische Blicke, einfach alles.

Ich seufze auf. So wird das mit den Skizzen nichts.

„Arbeitest du noch lange?" Ich rutsche mit dem Bleistift auf dem Papier ab und drehe mich erschrocken zur Tür um. Und da steht sie, Viktoria, am Türrahmen gelehnt und mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen, da. „Bist du real, oder bilde ich dich nur ein?", frage ich zurück und werde auf jedes Wesen, männlich oder weiblich, das diese Beine heute oder gestern oder vorgestern betrachten durfte, eifersüchtig. Viktoria kichert leise. „Du meinst, du hast Entzugserscheinungen?" Sie kommt auf mich zu und drückt mir einen Schlüsselbund in die Hand. Als sich unsere Finger berühren, weiß ich, dass ich sie mir wirklich nicht einbilde. „Dein Bruder hat abgeschlossen und ist gegangen. Er hat mir noch den Schlüssel in die Hand gedrückt, bevor er gegangen ist.", erklärt sie. „Es ist schön, dass du hier bist.", sage ich leise. Am liebsten würde ich sie an mich drücken, aber ich bleibe ganz still stehen und sehe auf sie herab. „Ja, ich kann nicht allzu lange schmollen, wie ich festgestellt habe. Das heißt nicht, dass alles vergeben und vergessen ist." Ich erwidere ihren Blick und nicke leicht. „Ich weiß." Wir schweigen einen Moment, in dem ich sie einfach nur betrachte. Wie auch neulich trägt sie einen Mantel, dazu schwarze Pumps und ihre Haare hat sie zu einem Zopf zusammengebunden. „Um auf meine Frage zurückzukommen – arbeitest du noch lange?" „Nein, ich kann für heute Schluss machen. Hast du was geplant?", frage ich mit einem leichten Grinsen im Gesicht. „Oder willst du spontan was entscheiden?" Bei meiner Wortwahl muss sie schmunzeln. „Ich habe Hunger. Also habe ich an Essen gedacht." Ich tätige ein paar Handgriffe am Schreibtisch. „Hier um die Ecke gibt es eine guten Franzosen. Heißt Belle Vué. Vielleicht kennst du es. Auf jeden Fall ist das Essen echt gut dort." „Oh, äh...das Belle Vué kenne ich, aber vielleicht..." Bei ihrem seltsamen Tonfall drehe ich mich zu ihr um. Sie sieht auf den Boden und beißt sich nachdenklich auf die Unterlippe. Und da verstehe ich es. „Du willst nicht mit mir gesehen werden.", stelle ich nüchtern fest und halte mich an der Tischkante fest, denn es überrascht mich. „Doch.", entgegnet sie schnell, aber die Röte, die ihr den Hals hinaufkriecht, spricht Bände. Und plötzlich fühle ich mich verarscht von ihr. „Das Fräulein von Zurrenberg ist sich wohl zu fein dafür sich mit mir sehen zu lassen. Weil ich schwarz bin?" Heftiger als nötig schiebe ich den Stuhl an den Tisch heran und bringe ein paar Meter zwischen uns. In meinem Bauch bildet sich eine enorme Wut. „Warum bist du hier? Magst du den Kitzel an einer verbotenen Frucht zu naschen? Du hast mir von der Toleranz deiner Eltern erzählt." Ich verschränke die Arme vor der Brust und lehne mich an die Werkbank. Und warte auf ihre Antwort, die genauso heftig ausfällt wie meine Fragen.

Winternacht - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt