Kapitel 28 - Jakob

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Frustriert lege ich eine Feile zur Seite und starre zum tausendsten Mal heute die Werkbank vor mir an. Für einen langen Arbeitstag, ich habe schon früh begonnen heute, weil ich nicht schlafen konnte und schon um sieben Uhr in der Werkstatt gelandet bin, habe ich erstaunlich wenig zustande gebracht. Naja, immerhin konnte ich am Armband der alten Dame arbeiten. Kommende Woche kann sie es garantiert abholen kommen.

Viktoria will Abstand zu mir. Im Grunde kann ich heute an nichts anderes denken. Nachdem sie es mir gestern gesagt hat, war der Abend gelaufen. Wir haben schweigend zu Ende gegessen und dann ist sie auch schon gegangen.

Mit steifen Bewegungen greife ich nach einem Besen und kehre die Werkstatt durch. Hat ihr großer Bruder so einen großen Einfluss auf sie? Irgendwas muss zwischen ihnen vorgefallen sein und es macht mich wahnsinnig, dass ich nicht weiß, was genau.

Alexander war zwar freundlich, aber distanziert, als er im Laden aufgetaucht war. Hat er Viki gesagt, dass sie mich nicht mehr sehen soll? Er ist mir gegenüber sehr deutlich geworden, allerdings habe ich sein Gerede nicht für sehr ernst genommen. Ich dachte, er führt sich ein wenig auf, weil er ihr Bruder ist und manche große Brüder nun mal so sind.

Aber er erwähnte auch die Familie. Von Viki weiß ich, dass ihre Eltern...konservativ eingestellt sind. Sie sehen vermutlich rot, wenn die guterzogene Tochter einen Schwarzen als ihren Freund vorstellen würde. Wie können sie nur so voreingenommen sein?

Hat Viki Angst, sie könnte mit mir ihre Familie in ein Skandal verwickeln und in der Gesellschaft für dämliches Gerede sorgen? Dabei dachte ich, Vikis Familie würde da drüber stehen. Alexanders Freundin Jessica hat auch nicht in deren Kreisen verkehrt und nun ist sie doch die Frau an seiner Seite. Wie kann er über Viki dann urteilen, nur weil sie mit mir ausgeht? Ist das nicht doppelmoralisch?

Glauben sie, ich könnte in ihrer Welt nicht mithalten? Es ist nicht so, dass meine Eltern kein Geld hätten, eher im Gegenteil. Vermutlich gehören sie dem gehobenem Mittelstand an.

Aber wenn es der soziale Status nicht ist, dann bleibt nur die Auseinandersetzung mit meiner Hautfarbe. Ich schüttle ungläubig den Kopf. Wir leben im 21. Jahrhundert, in einer Zeit, in der sich niemand verstecken muss und sagen kann, was er will. Vikis Eltern allerdings scheinen noch nicht in dieser Welt angekommen zu sein. Und was ist mit Alexander? Stört ihn einfach nur meine Hautfarbe oder steckt da mehr dahinter? Und wenn in ihrer Familie alle Rassisten sind, ich denke, das kann ich so sagen, möchte ich mich dann überhaupt noch mit ihr weiter treffen? Würde sie den Mut aufbringen und mich ihrer Familie ganz offiziell vorstellen? Als ihren Freund? Viki und ich haben das Wort Beziehung noch nicht in den Mund genommen, aber die letzten Wochen haben doch gezeigt, in welche Richtung sich unser Verhältnis entwickelt, auch wenn ich jetzt erst zu dieser Erkenntnis komme.

Ich runzle die Stirn. Im Grunde weiß ich überhaupt nicht, wie es in ihrer Familie zugeht. Wie auch? Sie hat mir nie etwas mehr erzählt als das, was ich auch im Internet nachlesen konnte.

Sie hat mich immer auf Abstand gehalten, stelle ich resigniert fest. Sie hat mich nie wirklich an sich herangelassen. Um sich zu schützen, schätze ich. Irgendein Blödmann hat ihr in der Vergangenheit sehr weh getan und nun fällt es ihr schwer, jemanden zu vertrauen.

„Das ist doch alles scheiße!" Ich schiebe den Besen mit mehr Kraft als notwendig in seine Ecke zurück.

„Wann wollen wir los?", fragt mein Bruder plötzlich hinter mir. Ich fahre mir mit der Hand über die Stirn. Wie lange steht er da schon? „Ich nehme an, wenn du fertig bist, den Besen nicht mehr mit Blicken zu erdolchen?" Es soll lustig klingen, aber mir ist nicht nach Lachen zumute. Joe merkt selbst, dass sein Witz nicht das bewirkt hat, was er eigentlich sollte.

Winternacht - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt