Heute mache ich Nägel mit Köpfen und habe mich in der Mittagspause davon gestohlen, damit ich endlich mit Leah reden kann. Es ist nicht meine Lieblingsbeschäftigung, mich in das Liebesleben meines Bruders einzumischen, aber langsam und sicher werden ihre Spielchen mit meinem Bruder alles andere als lustig. Und dass es Spielchen sind, da bin ich mir sicher. Wenn sie im Laden ist, versucht sie immer mit mir auf Tuchfühlung zu gehen, und das alles, um – was? Joe zu ärgern? Er registriert jede noch so kurze Berührung von ihr, wenn sie beispielsweise ihre Hand auf meinen Arm legt. Joe ist eben eine der aufmerksamsten Personen, die ich kenne. Und nun bin ich derjenige, der sich in der Zwickmühle befindet. Leah ist in den letzten Jahren eine echte Freundin geworden, aber Joe ist nun mal mein Bruder. Mit ihr Tacheles zu reden wird der ganzen Sache hoffentlich ein Ende setzen.
Weil ich neu in der Stadt bin, bin ich dabei jegliche Restaurants zu testen. Heute fiel meine Wahl auf ein französisches Restaurant, das den Titel Belle Vue trägt.
Ich blinzle kurz irritiert, als mir mein fast-One-Night-Stand von Silvester gegenübersteht und meine Bestellung aufnehmen möchte. Wie hieß sie noch gleich? Jennifer? Oder Jessica? In der Uniform mit weißem Hemd und bordeauxroter Weste hätte ich sie fast nicht erkannt. Sie legt kurz den Kopf schräg, als würde sie überlegen, wo sie mich schon einmal gesehen hat, zaubert sich dann aber schnell ein Lächeln ins Gesicht. Sie scheint die Professionalität in Person zu sein.
„Kann ich Ihre Bestellung schon aufnehmen?" Sie zückt einen kleinen Notizblock aus ihrem Gürtel. „Ich warte noch auf jemanden." Sie nickt verstehend und zieht sich leise zurück.
Während ich auf Leah warte – sie ist nicht die Pünktlichste – sehe ich mich im Restaurant um. Geschäftsmänner und -frauen, die hier ihren Mittag verbringen oder kleine Gruppen, die sich hier zum Essen verabredet haben. Es sind alles ganz unterschiedliche Menschen und doch gleichen sie sich in einer Sache gewaltig: sie werfen mir interessierte Blicke zu. Falle ich in diesem Restaurant auf, weil ich neu bin und hier noch nie gegessen habe, oder falle ich auf, weil ich schwarz bin?
Die Frage werde ich so schnell nicht beantworten können, aber es interessiert mich trotzdem. „Hey, Jake!"
Leah kommt Hüfte schwingend mit einem breiten Lächeln im Gesicht auf mich zu und ich stehe auf, um sie zu begrüßen. Heute begnügt sie sich damit, mich locker zu umarmen, aber ich würde meine linke Hand ins Feuer legen, dass sie mich halb abgeknutscht hätte, wäre Joe mit von der Partie gewesen.
„Hi, setz dich doch. Ich habe mit dem Bestellen auf dich gewartet." Ich winke die Bedienung heran und mit einem Blick auf ihr Namensschild, auf dem Jessica Schwarz steht, bin ich mir zu hundert Prozent sicher, dass wir uns an Silvester begegnet sind.
„Was gibt es denn jetzt so Wichtiges zu besprechen?", fragt mich Leah, nachdem unsere Bestellung aufgenommen worden ist.
Tja, wie soll ich anfangen? „Es geht um Joe..." „Hast du deshalb so ein Geheimnis aus diesem Essen gemacht?" „...und die Art, wie du mit ihm umgehst.", vollende ich meinen Satz. Das Lächeln auf Leahs Gesicht verrutscht nur minimal, aber wer sie so lange kennt wie ich, fällt es nun mal auf. „Was meinst du damit?" Ihr vorgetäuschter unschuldiger Augenaufschlag kann mich nicht täuschen. „Wirklich, Leah?" Es vergehen noch drei Sekunden, ehe sie die Augen niederschlägt und betreten auf die beige Tischdecke sieht.
„Selbst du musst bemerkt haben, dass er in dich verknallt ist. Weil es für jeden offensichtlich ist, der ihn auch nur zwei Minuten beobachtet, wenn du in seiner Nähe bist.", sage ich und warte ihre Reaktion ab. Als sie nichts sagt, rede ich weiter. „Was willst du mit einem Verhalten bezwecken? Willst du Joe ärgern, wenn du mir absichtlich näher kommst? Willst du ihn eifersüchtig machen?"
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Winternacht - Zurrenberg Romance
RomanceDie zweite Geschichte der Zurrenberg Familie!! Viktoria von Zurrenberg möchte ihrem Vater zeigen, dass Frauen in einer männerdominierten Welt bestehen können. Jakob möchte sich zusammen mit seinem Bruder den Traum von einem eigenen Juwelierladen in...