Ich komme mir vor wie das fünfte Rad am Wagen. Bevor Joe und Leah ein Paar waren, also noch vor wenigen Wochen, habe ich mich noch nicht so gefühlt, wenn wir was zu dritt unternommen haben. Klar wusste ich zu diesem Zeitpunkt, dass mein Bruder bis über alle Ohren in Leah verknallt war, aber ich habe mich nicht ausgegrenzt gefühlt. Mit einem seltsamen Stechen im Magen beobachte ich, wie die zwei sich schon wieder küssen. Sie können einfach nicht die Hände voneinander lassen. Ich stelle fest, dass es Eifersucht ist. Ich bin nicht auf Joe eifersüchtig, nein, sondern darauf, was die beiden haben. Joe und Leah können sich küssen, wo und wann sie wollen. Das gestaltet sich bei Viktoria und mir etwas schwieriger. Ich kann ja verstehen, dass sie der Gerüchte wegen aus der Schusslinie bleiben möchte, aber ein kleiner Teil in mir glaubt noch immer daran, dass sie nicht mit mir gesehen werden möchte. Wegen meiner Herkunft. Ich weiß nicht, ob sie die Kraft aufbringen kann, dem vorprogrammierten Ärger mit ihrer Familie standzuhalten.
„Seid ihr jetzt bald mal fertig, oder was?", meckere ich die zwei Turteltauben an. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn. Der Betrieb in der Kletterhalle hält sich für einen Samstagvormittag in Grenzen, dennoch trudeln immer mehr Leute an die Wände. Und unsere zwei Stunden sind so gut wie vorüber, also sollten wir lieber unseren Platz räumen. Joe schlägt mir auf die Schulter, nachdem er sich von Leah gelöst hat. „Ist echt schade, dass Viktoria nicht dabei ist. Wieso hatte sie keine Zeit? Sie war doch so begeistert, als sie das erste Mal hier war." Mittlerweile habe ich meinen Bruder so weit, dass er Viktoria bei ihrem Namen nennt und nicht etwa Prinzessin. „Sie muss demnächst einen sehr wichtigen Vortrag halten und wollte das Wochenende nutzen, um ihn weiter vorzubereiten." Wir packen das Klettergeschirr zusammen, um es wieder ordentlich abzugeben. „Aber morgen Mittag kann sie doch bestimmt, oder? Leah und ich hatten vor, zusammen was zu kochen. Wir können quasi ein Vierer-Date daraus machen." Joe grinst dabei schief. Er findet das irre lustig. Ich lasse mir mit der Antwort Zeit. Viki meinte, sie will das gesamte Wochenende durcharbeiten. Da passt ihr dieses Essen garantiert nicht in den Kram. Und außerdem...
„Das hört sich gewaltig offiziell an.", meine ich dann. Leah neben mir lacht. „Meiner Meinung nach nicht. Wir wären ja nur unter uns. Wie offiziell ist es denn mit euch? Oder spielt das überhaupt eine Rolle? Sei nicht beleidigt, aber bisher kam es noch nicht vor, dass du...naja eine Frau so lange triffst, ohne mit ihr Sex zu haben." Mit einem bösen Blick zu meinem Bruder folge ich ihm in die Umkleide.
„Das war ein Bruder-Gespräch neulich. Das sollte unter uns bleiben.", fahre ich ihn an. Er hebt abwehrend die Hände. „Sorry, ich wusste nicht, dass es so ein großes Geheimnis ist." „Ist es auch nicht.", entgegne ich seufzend. „Warum regst du dich dann so auf?" Ich stütze meine Arme auf die Oberschenkel und starre die Spinde vor mir an. Warum ärgert es mich, dass Joe Leah davon erzählt hat? Ich lasse meinen Nacken kreisen, um etwas zu entspannen.
„Ich glaube es liegt nicht daran, was du Leah erzählt hast, sondern die Tatsache, dass du es getan hast.", sage ich wage und warte auf seine Reaktion. Joe lässt sich auf die Bank neben mir nieder. „Weißt du, was jetzt Mum sagen würde?" Auf mein Kopfschütteln hin, meint er: „Mum würde sagen, dass die Tatsache, dass ich jetzt mit Leah zusammen bin, für alle von uns dreien eine neue Situation ist. Ich bin aber unheimlich froh, dass es jetzt so ist wie es ist." Sein Kopf dreht sich in Richtung der Damenumkleiden, als wolle er zu Leah sehen. „Und dass Dank dir. Du hast mir geholfen mutiger zu werden und du hast mit Leah Klartext geredet." Ich winke ab. „War doch nichts.", murmle ich leise. Das ist mir jetzt richtig unangenehm. „Spiel es nicht so runter. Wer weiß, wie lange ich sie noch angehimmelt hätte und wie oft sie mit mir gespielt hätte. Was ich eigentlich sagen will ist: du bist auf Leah eifersüchtig. Also das würde Mum sagen. Und ich glaube es auch. Aber ernsthaft Jake: zwischen uns wird sich nichts ändern. Ja, ich habe jemanden gefunden, mit dem ich alt werden will, aber das ändert ja nichts an unserer Beziehung zueinander. Und das nächste Mal werde ich Leah eben nichts von unseren Brüder-Gesprächen erzählen. Ist doch nichts dabei." Er stößt mich mit seiner Schulter an. Ich muss erst tief durchatmen, bevor ich ihn ansehe, weil mich seine Worte mehr berühren, als ich je zugeben würde. „Genau deswegen bist du der große Bruder und nicht ich." Ich versuche meine Stimme locker klingen zu lassen, aber uns beiden ist die Bedeutung der Worte klar. Mein Bruder war für mich schon immer mein bester Freund gewesen. Keine Freundschaft aus der Schule oder der Lehre konnte da heranreichen. Gleichzeitig war er auch immer der beste große Bruder, den man sich wünschen konnte. Der mit Ratschlägen um sich wirft, wenn ich unsicher bin oder nicht weiter weiß. Um die Mundwinkel von Joe zuckt es. „Und keine Angst: ich werde immer noch genau so viel Zeit mit dir verbringen, wie vorher. Nur weil ich eine Freundin habe, heißt das nicht, dass ich keine Zeit mehr mit meinem Bruder verbringen will." Ich schlage ihn mit meinem verschwitzten T-Shirt, was ihn nur mehr zum Lachen bringt. Aber auch meine Mundwinkel zucken.
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Winternacht - Zurrenberg Romance
RomanceDie zweite Geschichte der Zurrenberg Familie!! Viktoria von Zurrenberg möchte ihrem Vater zeigen, dass Frauen in einer männerdominierten Welt bestehen können. Jakob möchte sich zusammen mit seinem Bruder den Traum von einem eigenen Juwelierladen in...