Kapitel 3 - Viktoria

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„Soll ich lieber die schwarzen Stiefel anziehen oder die silbernen Sandalen?", frage ich Franzi, die es sich auf meiner neuen Couch bequem gemacht hat. Heute gehen wir zur Kunstausstellung von Luca Spinelli und Franzi ist schon vorher zu mir gekommen, damit wir ein wenig quatschen können.

„Zu deinem Kleid passen eher die Sandalen, aber es soll regnen. Außerdem ist es draußen kalt. Zieh die Stiefel an. Die passen auch zum Kleid." Schulterzuckend stelle ich die Sandalen wieder zurück ins Schuhregal. Meine Mutter würde auch die Sandalen anziehen, obwohl draußen Minusgrade wären. Solange diese besser zum Outfit passen, werden sie angezogen. Nichts geht über den perfekten Schein.

Aber Gott sei Dank kann mir meine Mutter nicht mehr vorschreiben, was ich anziehen soll, denke ich still und schlüpfe mit einem kleinen Lächeln in die warmen Stiefel.

„Jetzt erzähl noch mal, du kannst also doch in der Firma arbeiten?", fragt Franzi.

„Ich wurde gestern angerufen. Ich habe im neuen Jahr ein Vorstellungsgespräch. Mein Vater scheint es sich wohl überlegt zu haben.", antworte ich und kann ein triumphierendes Lächeln nicht unterdrücken.

„Aber du bist doch im Controlling. Was hat dein Vater damit zu tun?"

„Oh, Franzi." Berührt von ihrer unschuldigen Naivität küsse ich ihr auf die Wange, indem ich mich zu ihr runterbeuge. „Du bist süß. Glaubst du allen Ernstes es würde sich jemand trauen mich zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, ohne vorher meinem Vater Bescheid zu sagen? Man hat sich sein Okay geben lassen, bevor ich angerufen wurde."

„Das ist nur eine Vermutung von dir." „Glaub mir Franzi, so ist es gelaufen. Und nicht anders." Ich kann die Bitterkeit in meiner Stimme nicht verstecken.

Es wäre mir lieber gewesen in der Firma zu arbeiten, ohne meinen Vater erpressen zu müssen. Aber das wäre nie geschehen. Da hätte ich noch so viele Bewerbungen schreiben können, meine Bemühungen wären umsonst gewesen.

Allein die Angst davor, in der feindlich gesinnten Bank zu arbeiten, hat mein Vater dazu getrieben, nicht nein zu meiner Bewerbung zu sagen.

Aber ich werde alles dafür tun, damit ich alle um mich herum verblüffen kann. Ich kenne meine Stärken und Fähigkeiten.

„Wie geht es eigentlich deinem Bruder?", wechsle ich das Thema. In den vergangenen Tagen haben wir so viel über mich gesprochen, dass andere Themen auf der Strecke geblieben sind.

„Naja, Richie versucht sich jetzt ein eigenes Standbein aufzubauen." Sie wirkt geknickt. Ihr jüngerer Bruder Richard, gerade volljährig geworden, hat sich seiner Familie gegenüber kurz vor Weihnachten geoutet. Franzi weiß schon seit Jahren, dass ihr Bruder homosexuell ist und jetzt hat er es auch den Eltern gesagt – und wurde kurzerhand rausgeschmissen. Franzis Vater ist sogar noch konservativer als mein Vater. Richard ist der einzige Sohn der Engelhaupts und hätte in ein paar Jahren eigentlich eine vermögende Frau heiraten sollen.

Jetzt sind diese Pläne für die Mülltonne.

„Er macht also nicht die Schule zu Ende?" Franzi zuckt die Schultern. „Noch sind ja Ferien. Ich habe ihm angeboten bei mir unter zu kommen, aber er will mir keine Last sein. Er hat ja schon mal kleinere Aufträge als Fotograph angenommen und er will das jetzt durchziehen. Auch ohne Schulabschluss. Ich kann ihm da nicht reinreden."

„Natürlich kannst du das.", sage ich heftiger als beabsichtigt, „Er ist dein Bruder. Ich hätte Basti die Ohren langgezogen, wenn er die Schule geschmissen hätte. Du musst halt nur etwas energischer sein."

Franzi war schon immer eine stille Person, weiß sich aber bei gesellschaftlichen Events zu helfen. Nur wenn es darum geht, sich gegen jemanden zu behaupten, versagt sie komplett. Vielleicht hat sie es deshalb nicht weiter als zur Buchhaltung geschafft. Aber das würde ich ihr niemals ins Gesicht sagen.

Winternacht - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt