Ich kann an einer Hand abzählen, wie oft ich in meinem Leben in der Firma meines Vaters war. Zweimal habe ich meinen Bruder besucht, das andere Mal war ich mit meiner Mutter hier. Aber das ist schon eine Weile her.
Vor dem Vorstellungsgespräch bin ich nervöser als ich es mir eingestehen will. Für die Leute, die mich auf den Fluren höflich grüßen – immerhin bin ich eine Zurrenberg, denken sie wahrscheinlich – habe ich nur ein freundliches Kopfnicken übrig.
Ich versuche ruhig zu bleiben, als sich das Gremium, bestehend aus Friedbert Neumann, Werner Dietrich und Konrad, den ich schon kenne, weil er mit meinem Bruder befreundet ist, sich mir gegenüber setzt. Es war klar, dass ausgerechnet die eiskalten Hunde mein Vorstellungsgespräch leiten werden. Ich stelle überhaupt nicht in Frage, dass dieses Gespräch aus der Ferne von meinem Vater gelenkt wird. Friedbert ist einer von Vaters engsten Vertrauten. Er ist wie ein verlängerter Arm meines Vaters. Konrad, der mit seinen roten Locken am auffälligsten von den dreien ist, wirft mir über den Tisch hinweg ein aufmunterndes Lächeln zu.
„Also Frau von Zurrenberg, Sie wollen sich für die Stelle des Controllers bewerben?" Werner Dieterich, Mitte Fünfzig, verwendet absichtlich die männliche Form, sein Ton ist herablassend. Ich zaubere mir ein höfliches Lächeln ins Gesicht, obwohl mir überhaupt nicht danach ist.
„Das ist in der Tat so..." Ich werde von ihm direkt unterbrochen und ich beiße mir auf die Zähne. „Was denken Sie, warum sind Sie die richtige Person, um diesen Posten zu besetzen?" Das ist eine Frage, auf die ich mich vorbereitet habe und so rede ich fast fünf Minuten frei und flüssig über die Motivation und meine Qualifikation. Dass ich die Tochter des Chefs bin, kommt mir nicht einmal über die Lippen. Natürlich wissen das die Leute mir gegenüber, aber ich will nicht, dass sie das Gefühl bekommen, ich würde mich auf meinem Nachnamen ausruhen wollen.
„Wir haben eine kleine Aufgabe vorbereitet. Du...äh...Sie haben 15 Minuten Zeit, um sie zu bearbeiten und sie uns vorzustellen." Konrad überreicht mir mit roten Ohren einen Ordner und der Ausschuss zieht sich zurück.
Sobald ich allein bin und die Papiere aufschlage, beruhige ich mich. Es sind alte Quartalszahlen von vor vier Jahren. Ich atme erleichtert aus. Analyse, Statistik, Prognose. Mir keine unbekannte Worte, im Gegenteil, das ist meine Welt. Schon nach wenigen Minuten merke ich, dass die angesetzten Minuten viel zu wenig für so viele Zahlen sind. Jeder andere Bewerber, da bin ich mir sicher, hätte nur die Hälfte der Daten bekommen oder aber doppelt so viel Zeit.
Ich beiße die Zähne zusammen und halte durch. Wenn ich diesen Idioten von potentiellen Kollegen gleich eine gute Präsentation liefern kann, dann wird es nicht mehr viele Gründe geben, mir den Job nicht zu geben.
Nachdem ich mehrere Zahlendreher gefunden habe, die wahrscheinlich absichtlich gemacht worden sind, bin ich mir sicher, dass mein Vater alles zu unternehmen versucht hat, damit ich die Stelle nicht bekommen kann. Gerade dieser Gedanke spornt mich noch weiter an und weckt meinen Ehrgeiz. Papa hat schon immer mit unfairen Mitteln gekämpft.
Der Ausschuss kommt nach genau 12 Minuten wieder herein. Am liebsten würde ich mit einem Stift nach ihnen werfen. Die letzten drei Minuten hätte ich unbedingt noch gebrauchen können und ich beginne zu zweifeln.
Reicht die beste Leistung von mir überhaupt aus, um den Job zu bekommen? Oder ist diese Aktion zum Scheitern verurteilt?
„Oh Mist, ich habe da was vergessen. Einen Moment bitte." Konrad steht noch mal auf und verschwindet in den Flur. Er gibt mir die Zeit, die ich noch brauche und ich bin ihm dankbar. Ich ignoriere die anderen zwei und nehme den Kugelschreiber wieder zur Hand, um mir letzte Notizen zu machen.
DU LIEST GERADE
Winternacht - Zurrenberg Romance
RomanceDie zweite Geschichte der Zurrenberg Familie!! Viktoria von Zurrenberg möchte ihrem Vater zeigen, dass Frauen in einer männerdominierten Welt bestehen können. Jakob möchte sich zusammen mit seinem Bruder den Traum von einem eigenen Juwelierladen in...