Kapitel 40 - Jakob

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Mit einem tauben Gefühl in den Beinen entferne ich mich immer mehr von dem Zurrenberg-Anwesen. Ich laufe und laufe und als ich denke, ich hätte genug Abstand zwischen ihr und mir gebracht, erscheint mir Viki wieder vor meinen Augen und ich laufe weiter. In meiner Brust toben so viele Gefühle durcheinander, dass ich sie kaum auseinanderhalten kann. Wut, Frust und Enttäuschung über sie, weil sie sich mir nicht anvertraut hat. Weil sie mir einfach so ins Gesicht gelogen hat, ohne scheinbar ein schlechtes Gewissen zu haben. Dann breitet sich Sorge um sie in mir aus. Sehe vor meinen Augen, wie sie verletzt und völlig fertig mit den Nerven im Kreise ihrer Familie all ihre Geheimnisse preis gibt. Wie verzweifelt sie gewirkt hat.

Ich schüttle entschieden den Kopf und möchte somit diese Gedanken vertreiben. Ihre Familie wird sich um sie sorgen, dort ist sie gut aufgehoben. Ich gehe an geschlossenen Läden vorbei und wie auf Knopfdruck beginnen die Straßenlaternen zu leuchten. Das Licht spiegelt sich auf dem nassen Asphalt wider und erste Regentropfen fallen mir ins Haar. Mit einem kläglichen Brummen versenke ich meine Hände in den Jackentaschen und stelle mich unter ein Vordach und warte den kurzen Regenschauer ab. Wobei ich auch im Regen weiter gehen könnte – ich friere innerlich sowieso schon eine Zeit lang. Seit mir klar geworden ist, dass Viktoria nie vollständig ehrlich zu mir war. Und ich ihr aber mein Herz geöffnet habe. Und was macht sie? Sie reißt es mir innerhalb von wenigen Minuten aus der Brust.

„Das passiert, wenn man sich auf Frauen einlässt.", murmle ich leise und starre in den Regen. Ich ringe die aufkommende Panik nieder, die wieder und wieder an die Oberfläche gelangt, seit ich diesem großen Anwesen den Rücken gekehrt habe. Auszurasten bringt jetzt nichts. Stattdessen starre ich mit stoischer Ruhe weiter in den Regen und versuche an nichts zu denken.

Aber das ist nicht so einfach.

Der Klingelton meines Handys erschreckt mich und erstarre aus meiner Haltung. „Verdammt Jakob, wo bist du?!", schreit mich mein Bruder an. Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen. „Du bist vor über zwei Stunden los gegangen. Und du hast versprochen, dich zu melden. Was du aber nicht getan hast." Sein Vorwurf könnten sogar meine Eltern in Afrika hören. Ich versuche gegen den Kloß in meinem Hals anzukämpfen.

„Tut mir leid. Ich bin in 20 Minuten zu Hause." „Okay. Wie lief das Gespräch mit Viktoria? Geht es ihr gut?" Wie soll ich darauf nur antworten? Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Jake?" „Es ist alles scheiße.", bringe ich schließlich heraus, obwohl der Kloß in meinem Hals weiterwächst. „Fuck. Ich bestelle Pizza und stelle Bier kalt. Wir sehen uns bei dir in der Wohnung.", sagt Joe nach einer kurzen Pause. Ich halte mir das Handy noch immer ans Ohr, obwohl Joe schon längst aufgelegt hat. Er hat an einem kurzen Satz gemerkt, wie es mir geht. Und ich bin dankbar, dass er für die nächsten Stunden bei mir sein wird.

Obwohl es noch immer leicht regnet mache ich mich auf zu meiner Wohnung. Da ich jegliches Zeitgefühl verloren habe, weiß ich nicht, wie lange ich tatsächlich brauche, um zur Wohnung zu laufen. Joes besorgtes Gesicht spricht jedoch Bände, als er mich wortlos in eine feste Umarmung zieht und mich eine Zeitlang einfach nur hält. Ich muss einen jämmerlichen Eindruck machen. Und weil es mir gerade wirklich nicht gut geht, nutze ich seine brüderliche Fürsorge aus. Wer kann es mir verübeln?

Sobald ich meine Schuhe und Jacke achtlos in eine Ecke werfe und im Wohnzimmer die Decke und das Paar Socken, die Viki immer benutzt haben, unter das Sofa gekickt habe startet Joe eine Serie und drückt mir ein Bier in die Hand. Er ist es auch, der aufsteht, um die Pizza zu holen, als es klingelt. Von der Serie bekomme ich nichts mit und ich kann nicht sagen, nach was die Pizza oder das Bier schmecken. Ich starre gedankenverloren auf den Fernseher und hole mir nach kurzer Zeit ein weiteres Bier. Vielleicht sollte ich mich betrinken, um die aufkommenden Gefühle zu betäuben. In diesem Moment scheint es mir eine geniale Idee zu sein und trinke in großen Schlucken.

Winternacht - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt