Mit müden Schritten schleppe ich mich die Treppen zu meiner Wohnung hinauf. Heute habe ich außergewöhnlich lange in der Werkstatt gearbeitet. Vor allem, um mich abzulenken, damit ich nicht an Viktorias Worte denken muss, die sie mir an den Kopf geworfen hat.
Du bist wie ein Tier.
Ich habe es noch am selben Abend bereut, einfach gegangen zu sein. Ich hätte darauf bestehen sollen, die Sache zwischen uns zu klären. Ich hätte vor ihrer Wohnungstür stehen bleiben und darauf warten sollen, bis sie die Tür noch einmal öffnet. Und wenn ich die ganze Nacht davor verbracht hätte – es wäre besser gewesen, als sauer wegzugehen.
Mit einem leisen Brummen lege ich mein Handy auf den Küchentisch.
Keine neue Nachricht. Keine Nachricht von Viktoria. Heute habe ich sie fünfmal angerufen, dreimal auf die Mailbox gesprochen und einige Nachrichten geschrieben. Nicht zu vergessen die Versuche in den letzten Tagen. Keine Reaktion von ihr.
Wahrscheinlich möchte sie nichts mehr von mir wissen, aber ich will die ganze Angelegenheit ins richtige Licht rücken und das so nicht zwischen uns stehen lassen. Ich will einfach nur reden.
Ich ziehe mir den Pulli über den Kopf und werfe ihn achtlos auf den Boden, während ich Richtung Bad gehe. Meine Wohnung ist sowieso ein einziges Durcheinander. Ich finde nicht die Motivation aufzuräumen. Eigentlich habe ich zu gar nichts mehr Lust.
Damit meine Gedanken aufhören, mich anzuschreien, drehe ich morgens um Sieben schon eine Runde um den Block und verschanze mich dann den ganzen Tag in der Werkstatt. Edelsteine, Legierungen und Feilen machen mir keine Vorwürfe.
Leah und Joe können den Laden ohne mich ganz gut meistern. Ihre gute Laune ist für mich unerträglich geworden. Es ist wohl Ironie des Schicksals, dass gerade ich derjenige bin, der ohne Frau dasteht. Und mein Bruder, schüchtern bis in die Haarspitzen, hat den Spaß seines Lebens mit Leah.
Allerdings musste ich hin und wieder nach vorne, weil nach meiner fachlichen Kompetenz gefragt war. Die Kundschaft hat sich seit dieser Woche fast verdoppelt. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, es hatte den erwünschten Effekt, dass Viktorias Freundin das Collier bei dieser Veranstaltung am Wochenende getragen hat.
Aber ich bin mir nicht sicher, ob sie es getragen hat. Wenn ich bei Viktoria unten durch bin, bin ich es bei ihrer besten Freundin auch.
Ich dusche heißer als sonst und lasse die unangenehmen Gedanken zu.
Bin ich ein Weiberheld? Ja. Aber ich bin kein Arsch. Meine Bettbekanntschaften habe ich immer mit Anstand und dem nötigen Respekt behandelt.
Ich falle nicht einfach über Frauen her. Das ist nicht mein Stil. Ich warte immer, bis die Frau den ersten Schritt macht. Dass es von ihr aus kommt.
Und am Donnerstagabend war es auch so. Viktoria hat sich zu mir gebeugt, sie hat begonnen, mich zu küssen.
Aber ich muss zugeben, dass ich die Kontrolle verloren habe. Ich verliere im Bett nie die Kontrolle. Und da liegt der Unterschied. Viktoria ist die erste Frau, der ich so dermaßen, ja fast, verfallen war.
Aber habe ich ihre Seufzer falsch gedeutet? Waren es überhaupt Seufzer? Und war ihr hektischer Atem eher der Wut und Entrüstung geschuldet als der Erregung?
All die Fragen möchte ich geklärt haben. Und ich will, dass Viktoria weiß, dass ich der Letzte bin, der Frauen verletzt oder weh tun würde.
Sobald ich das Wasser abdrehe, verdränge ich auch wieder die Gedanken. Und mir fällt ein, dass ich meiner Mutter noch eine Mail schuldig bin. Es geht um nichts Wichtiges, die normalen Kontrollfragen einer Mutter, die ihre Kinder einfach nicht bei sich hat. Aber so ist meine Mum nun mal.
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Winternacht - Zurrenberg Romance
RomanceDie zweite Geschichte der Zurrenberg Familie!! Viktoria von Zurrenberg möchte ihrem Vater zeigen, dass Frauen in einer männerdominierten Welt bestehen können. Jakob möchte sich zusammen mit seinem Bruder den Traum von einem eigenen Juwelierladen in...