Kapitel 10 - Jakob

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Das Treffen mit Richard Engelhaupt läuft besser als erwartet. Allerdings ist er jünger als ich zuvor angenommen habe. Er ist letzten November gerade einmal 18 geworden, gesteht er, als ich nachhake. Sein unrasiertes Kinn lässt ihn älter erscheinen.

„Für dein Alter hast du aber schon viel Erfahrung.", sage ich wahrheitsgemäß und linse zu ihm herüber. Nachdem Joe und ich den Laden für heute geschlossen haben, kam Richard, um die professionellen Bilder vom Schmuck zu machen. Mit relativ wenig Equipment schießt er ausgezeichnete Fotos.

„Ich hatte schon mehrere Aufträge.", antwortet er und beugt sich mit seinem Fotoapparat wieder nach vorn, um weitere Fotos zu machen.

„Bist du hauptberuflich Fotograph?", fragt mein Bruder. Richard seufzt kurz auf und dreht dann nervös am Objektiv seiner Kamera. „Na ja, ich versuche mir gerade ein eigenes Standbein aufzubauen." Ich klopfe ihm auf die Schulter. „Da kam dieser Auftrag ja wie gerufen für dich." Nach kurzem Zögern stimmt er mir zu. „Wir lassen dich mal in Ruhe arbeiten." Ich nicke Joe zu und zusammen gehen wir in den hinteren Teil des Ladens. In einem kleinen Raum haben wir einen Tisch und Stühle gestellt, damit wir noch einen kleinen Platz zum Arbeiten haben.

„Hätte ich gewusst, dass er noch fast in die Windeln macht, hätte ich die Bezahlung viel niedriger angesetzt." Joe reibt sich müde über sein Gesicht. Ich lasse mich entspannt auf einem Stuhl nieder. „Wir haben doch einen guten Preis ausgehandelt. Du hast gesagt, dass diese Ausgabe in unser Budget passt." Mir wird kalt, als ich Joe betrachte, der nervös auf seiner Unterlippe beißt. Irgendwas stimmt nicht.

„Joe? Es stimmt doch alles mit den Zahlen?", frage ich verunsichert nach. Er ist derjenige, der die Finanzen im Auge behält und ich vertraue ihm in dieser Sache.

„Joe.", sage ich auffordernd, weil er nichts sagt.

„Ich zeige es dir. Moment." Er verschwindet und kommt kurz darauf mit seinem Laptop wieder und setzt sich neben mich an den Tisch.

„Wie du weißt habe ich einen Businessplan erstellt.", beginnt er und öffnet eine Tabelle. „Ich habe angenommen, dass wir nach ein paar Monaten Gewinn erzielen, wenn wir einen gewissen monatlichen Umsatz haben." „Und diesen monatlichen Gewinn erreichen wir nicht, oder was?" Ich tippe an den Bildschirm des Laptops. So ganz weiß ich noch nicht, auf was er hinaus will.

Joe öffnet eine weitere Tabelle und erläutert sie mir. „Ich weiß, vielleicht ist das alles nur Panikmache meinerseits, aber ich habe eine Prognose erstellt mit dem Umsatz, den wir in den ersten zwei Wochen gemacht haben. Und da siehst du, wann wir nur noch reinen Gewinn machen und den Kredit von Dad abbezahlt haben." Er tippt auf ein Feld in der Tabelle. Mit ungutem Gefühl betrachte ich die Zahl in dem Kästchen. Wenn das Geschäft so weiterläuft wie bisher, werden wir früher oder später Bankrott gehen.

„Der Umsatz wird niemals reichen, um den Kredit und die Ausgaben, die wir monatlich haben, zu decken. Auch wenn Dad sagt, dass er das Geld nicht wieder haben möchte..." „Es wird nicht reichen.", beende ich seinen Satz.

„Es sind zwei Wochen vergangen. Die Zahlen können sich noch ändern. Aber selbst wenn wir jetzt eine Gewinnsteigerung von 50% hätten von dem momentanen Gewinn, würde es noch immer mehrere Jahre dauern." Joe seufzt tief und ich höre sein Bedauern darin. Ich kann nur hilflos die Zahlen anstarren, die vor meinen Augen verschwimmen. War das ganze Projekt von Anfang an zum Scheitern verurteilt? Ich räuspere mich. „Ich verstehe nicht ganz, wie der Businessplan so von den realen Zahlen abweichen kann." Mein Bruder zuckt die Schultern. „Ich verstehe es auch nicht so ganz. Gut, wir sind nicht etabliert. Aber andere neue Geschäft laufen besser als wir es tun. Ich weiß nicht, ob es an der Stadt liegt, oder...was weiß ich." Er fährt sich frustriert durch die Haare.

Winternacht - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt