Kapitel 41 - Viktoria

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Der Blick zu meiner Zimmerdecke ist mir in den letzten Tagen wieder vertraut geworden. Wie oft lag ich als Kind und später als Teenager hier auf diesem Bett und habe über Freundinnen oder die Betrügereien meiner Eltern nachgedacht? Ich kann die Male nicht zählen, aber ich weiß, dass ich mich nicht einmal so gefühlt habe wie jetzt. Erschöpft. Ausgelaugt. Verzweifelt. Traurig. Allein.

Ich habe versucht Jake gestern anzurufen. Mehrmals. Er ging nicht ran und es hat mich der Verzweiflung nahe gebracht. Und wenn ich könnte, würde ich mich dafür selbst bestrafen. Weil ich an der ganzen Situation schuld bin. Warum konnte ich neulich nicht über meinen Schatten springen und ihm von dem Bild erzählen? Ich habe mich geschämt und das tue ich noch heute. Wollte ich die Stimmung nicht versauen? Das auch, ja.

Aber wenn ich gewusst hätte, dass ich ihn dadurch verlieren könnte... Ich schließe für einen Moment die Augen und versuche dieses kalte, leere Gefühl beiseite zu schieben, das mich beschleicht, wenn ich daran denke, ihn nicht wieder zu sehen. Dass es zwischen uns vorbei sein könnte.

Ich ermahne mich ruhig zu bleiben. Ich habe ihm einen Brief geschrieben, habe alle meine Gefühle dort hineingepackt, mit der Hoffnung, dass Jake mich versteht.

Auf ein leises Klopfen hin erscheint Luise in meinem Zimmer. Sie ist wohl das einzige Familienmitglied, das sich rührend um mich gekümmert hat. Von Papa habe ich das sowieso nicht erwartet, aber von Mama. Ich denke sie ist noch immer eingeschnappt, weil ich Jakob zur Gala mitgenommen hatte. Entschuldigt hat sie sich auch noch nicht.

„Wie geht es dir?", fragt mich meine Schwester und setzt sich zu mir aufs Bett. „Habe noch ein bisschen Kopfweh, aber es ist schon besser als gestern." „Das ist gut. Das Auge ist auch schon weniger geschollen. Ich habe den Brief übergeben.", wechselt sie dann direkt zum wichtigeren Thema und ich setze mich auf. Am liebsten will ich sie mit zig Fragen überfallen. Wie sah Jake aus? War er gut drauf? Hat er was gesagt? Hat er den Brief gelesen? Oder direkt in den Müll geworfen? Warum meldet er sich nicht? Die Fragen sind mir wohl anzusehen, denn sie beginnt darüber zu erzählen. „Er hat zwar nichts gesagt, schien über den Brief aber überrascht. Und er sah erschöpft aus." „Er hat nichts gesagt?" Sie schüttelt den Kopf. „Ich glaube, ich habe ihn überrumpelt." „Denkst du, er wird ihn lesen? Oder direkt in den Müll werfen?" Meine Schwester zuckt nicht einmal mit der Wimper als sie sagt: „Er wird ihn lesen. Da bin ich mir sicher." Wie kann sie sich so sicher sein? Sie kennt ihn nicht. „Du sollst zum Abendessen diesmal runterkommen. Papa möchte mit uns sprechen." Meine Schonfirst ist wohl vorbei. Die letzten Tage habe ich quasi nur in diesem Zimmer verbracht und so gut wie niemanden gesehen. Außer Luise, Basti und Francis.

„Danke.", sage ich zu ihr, als sie auf dem Weg nach draußen ist. Und damit meine ich nicht nur die Übergabe des Briefes, sondern ihre Unterstützung der letzten Tage. Luise spielt an einer Schlaufe ihrer Bluse. „Er ist ja nicht minderwertig nur weil er schwarz ist. Er ist doch auch nur ein Mensch. Ein Mensch mit einem ausgezeichneten Geschmack für Schmuck und Design. Am liebsten hätte ich den ganzen Laden heute leer gekauft. Der Schmuck ist wunderschön. Ich habe zwar nur einen kurzen Blick darauf geworfen, aber der hat schon gereicht."

Das lässt mich kurz auflachen. Vielleicht gibt es für meine kleine Schwester doch noch Hoffnung. Sie ist alt genug, sich eine eigene Meinung über Menschen zu bilden, anstatt das zu denken, was Mama sagt.

Wie auch schon vor Jahren wird pünktlich um Sieben Uhr Abend gegessen. Wer nicht da ist braucht eine gute Ausrede. „Willkommen unter den Lebenden." Basti zwinkert mir zu, als ich mich setze. Das ist seine Art in den letzten Tagen, um mich aufzumuntern. Ich werfe einen kurzen Blick zu Mama. Und sie überrascht mich, als sie mich direkt anspricht. „Denkst du, du kannst nächste Woche wieder arbeiten gehen? Ich könnte den Doktor noch einmal anrufen." „Es geht mir schon besser." Zumindest physisch. „Ich denke ich bin froh, wenn ich wieder in die Firma kann." „Nun, wenn du meinst. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man sich darüber freuen kann.", sagt sie so hochnäsig wie eh und je. „Und ich denke, es ist ganz normal, wenn Menschen das nicht nachvollziehen können, wenn sie noch nie in ihrem Leben ein Tag lang gearbeitet haben.", gebe ich an sie zurück. Basti gerät ins Husten und um Papas Mundwinkel zuckt es verräterisch.

Winternacht - Zurrenberg RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt