Die Zahlen auf dem Bildschirm verschwimmen vor meinen Augen, dennoch gehe ich weiter durch die Tabellen. Bis morgen Nachmittag muss der Quartalsbericht in trockenen Tüchern sein, damit ich das kommende Wochenende mit Mama und Luise ansatzweise genießen kann. Ich werfe einen Blick auf den Blumenstrauß, den mir Jake gestern geschenkt hat, und muss lächeln. Er hat die letzten zwei Tage zurückstecken müssen, weil ich so viel zu tun hatte. Ich hoffe, das Abendessen heute wird ihn etwas milde stimmen.
Er erzählte von der Begegnung mit meinem Bruder in seinem Geschäft und von Alex kühler Haltung ihm gegenüber. Er hat zwar nichts dazu gesagt, aber ihm setzt es zu, dass ich Alex nichts weiter von ihm erzählt habe. Wenn ich wüsste, dass Alex mich zweifelsfrei unterstützen würde, hätte ich ihm Jakob auch schon vorgestellt. Aber Alex weiß, wie unsere Eltern auf Jake reagieren würden und verbunden mit seinem Pflichtgefühl der Familie gegenüber, weiß ich eben nicht, wie er Jake entgegentreten würde.
„Bis morgen." Aileen nickt mir freundlich zu und schiebt sich ihre Brille auf ihrer Nase zurecht, ehe sie Richtung Aufzug geht. Mittlerweile weicht sie nicht mehr wie ein scheues Reh vor mir zurück. Das stemple ich als großen Erfolg ab. Als sie nun auch Feierabend gemacht hat, sind nur noch eine Handvoll Leute hier. Ich gähne hinter vorgehaltener Hand und vertiefe mich noch einmal in den Bericht. Und vergesse die Zeit. „Kommst du gleich in mein Büro?" Alex steht vor meinem Schreibtisch, in jeder Hand einen Becher mit Kaffee. Ach ja, ich wollte mit ihm reden. Wegen Elias und meiner Hass-Nachricht vor wenigen Tagen. Aber ich bin mir sicher, dass Jakob gleich auch eine Rolle spielen wird. Ich versuche ihn anzulächeln. Es fühlt sich verkrampft an. „Gleich." Er nickt mir lächelnd zu, aber ich kann förmlich sehen, wie es in seinem Kopf rattert.
Da ich mich sowieso nicht mehr konzentrieren kann, schalte ich den Computer aus, gehe noch mal schnell auf die Toilette und dann mache ich mich auf den Weg zu meinem Bruder. Ich hole noch einmal tief Luft, klopfe an und trete dann ein.
Mein Bruder klickt noch ein paar Mal mit der Computer-Maus herum, ehe er die Aufmerksamkeit mir schenkt. Ich setze mich etwas steif ihm gegenüber hin. Alex schiebt mir einen Becher Kaffee zu und ich trinke direkt einen Schluck davon. Den Energiekick habe ich bitter nötig.
„Also ich wollte wegen Elias mit dir reden. Du hast mir ein ziemlich schlechtes Gewissen mit deiner Nachricht gemacht.", beginnt er direkt und ohne Umschweife. Ich erinnere mich an die Worte, die ich geschrieben hatte. „Das wollte ich nicht, aber ich war einfach so...erschrocken. Elias...hast du seitdem mit ihm geredet? Wie geht es ihm?", frage ich. Alex wirft mir einen Blick zu, den ich nicht ganz deuten kann. Ungläubigkeit? „Ich habe gestern kurz mit ihm telefoniert. Er hat sich ganz gut angehört, er hatte viel zu tun. Hast du denn mit ihm seit Dienstagabend geredet? Ich meine, ihr seid mehr oder weniger ein Paar, oder?"
Oh, großer Gott, wie konnte ich mich nur auf all diese Lügen und Halbwahrheiten einlassen? Ich muss unter Alex prüfendem Blick die Augen senken. „Du weißt ja, der Quartalsbericht. Der muss fertig werden. Und am Wochenende bin ich mit Mama und Luise weg." „Also hast du nicht mit ihm geredet?" „Nein, habe ich nicht. Ich dachte, ich lasse ihn ein bisschen in Ruhe." Was für ein Unsinn. Ich schüttle innerlich den Kopf. „Okay." Er hört sich nicht überzeugt an. Als ich meinen Blick hebe, schaut er mich noch immer an. Nachdenklich diesmal. „Wir wissen beide, dass Elias viel trinkt. Aber ich habe das nie als Problem gesehen. Hast du übertrieben, oder glaubst du wirklich daran, dass er Alkoholiker sein könnte?" „Glaub mir, das war nicht normal. Es ist nicht nur die Menge gewesen, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der er den Wein und Schnaps runtergekippt hat. Auch als ich ihn im Hotel besucht habe, hat er getrunken. Und er ist so gereizt und wird so schnell aggressiv." „Aggressiv?" Alex wirkt alarmiert. „Hat er dir wehgetan? Hat er dich verletzt? Viki?" Ich hebe beschwichtigend die Hände. „Nein, alles okay. Wirklich." Ich verdränge den Abend im Belle Vue, als er laut geworden war und mich festgehalten hatte, als ich gehen wollte.
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Winternacht - Zurrenberg Romance
RomanceDie zweite Geschichte der Zurrenberg Familie!! Viktoria von Zurrenberg möchte ihrem Vater zeigen, dass Frauen in einer männerdominierten Welt bestehen können. Jakob möchte sich zusammen mit seinem Bruder den Traum von einem eigenen Juwelierladen in...