30| »Schlimmer geht immer?«

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Dumpfe Geräusche, ohrenbetäubendes Gebrüll und hallende Schüsse holen mich in die Welt der Lebenden zurück. „Oh, scheiße. AISLYNN!!! Halte durch, ich bin gleich bei dir!", höre ich eine vertraute Stimme, welche mich aus meiner Lethargie reißt, in weiter Ferne brüllen. Mein Gleichgewichtssinn ist noch nicht vollständig wiederherstellt, trotzdem setze ich mich langsam auf, um mich notfalls vor irgendeinem Verrückten verteidigen zu können.

Plötzlich höre ich ein leises Zischen und eine Millisekunde später schlägt direkt neben meinem Ohr, gefolgt von einem lauten Knall, eine Kugel in das Auto, hinter welchem ich mich verstecke. Kann es eigentlich noch schlimmer kommen, frage ich mich und ducke mich noch ein wenig mehr. Ein paar Sekunden später kann ich die Frage mit einem klaren Ja beantworten, denn der Betonboden ist sowohl nass als auch kalt und bohrt sich unangenehm in meine Knie, ich stehe weiterhin unter Beschuss und die Stimme von vorhin muss eine Halluzination gewesen sein, denn weit und breit ist keine Hilfe in Sicht. Wirklich großartig.

Als die Schüsse für eine kurze Zeit pausieren, hebe ich meinen Kopf ein wenig und schaue mich suchend nach dem Schützen um. Ich sehe diesen zwar nicht, dafür aber jemand anderen wobei ich meinen Augen kaum trauen kann. Die Person sieht, dass ich sie bemerkt habe und nickt mir angespannt zu. Ich verstehe die Botschaft dahinter und ducke mich wieder, gerade rechtzeitig, bevor der Kugelhagel erneuert losgeht.

„Bist du von allen guten Geistern verlassen, Junge? Ich kann doch keinen Spaß mehr mit ihr haben, wenn du sie erschießt!", brüllt eine donnernde Stimme und dies hat zur Folge, dass die Schüsse aufhören. Ich habe diese Wendung nicht herbeigesehen und schaue zu dem einzigen Menschen hier, der wissen könnte, was ich jetzt machen soll. Ich bekomme ein deutendes Handzeichen und blicke, diesem folgend, nach rechts, wo ich den innig herbeigesehnten Ausgang erblicke. Ich blicke wieder zurück und sehe, dass die rettende Person nun eine Art Countdown mit den Fingern durchführt. Ich bete, dass dieser das Startsignal zu unserer Flucht, mit der hoffentlich gleichen Umsetzung, ist und sprinte, sobald sich die Hand zu einer Faust ballt, los, in Richtung Ausgang.

Ich laufe im Zickzack an kleinen und großen Booten vorbei, die andere Person dicht auf den Fersen, begleitet wird das Ganze von lautstarkem Fluchen, erneuerten Schüssen und dem Knistern eines Funkgeräts. Ich denke, dass meine Begleitung Kontakt zur Außenwelt aufnehmen will, jedoch durch einen Störsender daran gehindert wird.

Plötzlich höre ich in der Entfernung das Knattern eines Hubschraubers, der immer näher zu kommen scheint. Hoffnungsvoll blicke ich meine Begleitung an, welche mir einen Daumen nach oben zeigt und mich danach kurzerhand am Arm packt und mit sich schleift. Wir laufen durch eine relativ karge Landschaft und in einer Mulde kommen wir schließlich zum Stillstand. Mein Blut rast durch die Adern und mir ist schlecht, doch auch das hindert mich nicht daran, Freude über die gelungene Flucht zu verspüren.

Mittlerweile ist der Hubschrauber ganz nahe und taucht über unseren Köpfen auf. Seile mit einem Gurt sowie Karabiner werden zu uns nach unten gelassen und mein Begleiter reagiert wie ein totaler Profi und legt mir den Hüftgurt in Sekundenschnelle an. Er harkt mich am Seil ein und zieht kurz daran. Augenblicklich werde ich nach oben gezogen, gefolgt von meinem Retter. Endlich in Sicherheit!

Oben angekommen, werden wir mit den Worten: „Akana, was zur Hölle haben Sie sich dabei gedacht, alleine nach Miss MacKenna zu suchen und uns erst so spät zu verständigen? Das wird ernste Konsequenzen für Sie haben!", begrüßt. Liko, denn um ihn handelt es sich bei dem geheimnisvollen Retter, schaut Sanna Berelly und Luke mit vor Emotionen sprühenden Augen an:
„Was ich mir dabei gedacht habe? Ich habe an Miss MacKenna und ihre lebensgefährliche Situation gedacht, an den kleinen Jungen, der diesem Monster nur durch Zufall entkommen ist und auch an... ähm, auf jeden Fall ist Aislynn in Sicherheit. Ich denke das ist alles, was zählen sollte."

Likos Worte bestürzen uns alle und parallel dazu haben wir einen tiefen Schmerz in seinen Augen wahrgenommen, welchen Ereignissen in seinem Leben hat er diesen wohl zu verdanken? Fragen über Fragen, Luke reißt mich in eine Bärenumarmung und drückt mich so stark, dass ich ihn nach Luft schnappend wegdrücke. Als nächstes umarmt mich Sanna und kommt mir in diesem Moment ebenfalls sehr emotional vor, von Liko mal ganz zu schweigen.

Das Adrenalin der letzten Minuten lässt nun langsam nach und ich bemerke, wie der Schmerz kriechend zurückkommt. Mein Kopf dröhnt regelrecht, meine Handgelenke bluten aufgrund der Seile und der harte Aufprall am Boden, von dem Schlag auf meine Schläfe ausgelöst, hat höchstwahrscheinlich zu einigen Prellungen geführt. Doch man muss auch das Gute sehen, schließlich habe ich nur einige Stunden als Entführungsopfer verbracht und bin am Leben! Gott, wie muss es da erst dem kleinen Jungen ergangen sein? Ich hänge noch ein wenig meinen Gedanken nach, Luke verarztet mich fürs Erste und dann plagen mich noch einige Fragen.

„Wo sind wir eigentlich? Wie spät ist es und wie habt ihr mich gefunden?", unterbreche ich das Schweigen, welches seit Likos Worten an Bord herrscht. „Tja, wir befinden uns auf der Insel Moloka'i, das ist die nächste Insel südlich von Oahu, wo wir übrigens zu Hause sind. Ich erwähne es nur für den Fall, dass dein Gehirn in den letzten Stunden in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Es ist beinahe Mitternacht und die Antwort auf deine letzte Frage wüsste ich auch gerne. Liko?", sagt Luke fordernd.

„Nun, ein Teil meines Gedankenganges, welcher mich auf die scheinbar richtige Spur geführt hat, ist äußerst privat. Ich kann euch nur sagen, dass euer Boss verlangt hat, dass ich Aislynn abseits der Schule und ihrem Zuhause beschatte und genau das habe ich getan. Ich bin dem weißen Lieferwagen von der Haltestelle bis zum Hafen gefolgt und habe sie dort aus den Augen verloren. Ich... habe ein paar Schlüsse gezogen und bin auf die Idee gekommen, nach Werften und heruntergekommenen Bootswerkstätten auf Moloka'i und den umliegenden Inseln zu suchen. Wie man sieht habe ich Aislynn gefunden, wie es dazu gekommen ist, muss doch niemanden interessieren", sagt Liko stockend.

Ich habe seiner Erzählung gespannt gelauscht und ich finde es einzigartig, wundervoll, toll und äußerst genial, dass er mich so schnell gefunden hat, aber bei allem Verständnis...das kann doch nicht der gesamte Hergang gewesen sein? Sanna beobachtet Liko ebenfalls unauffällig von der Seite und führt nebenbei ein wortloses Gespräch mich Luke, der auch misstrauisch zu sein scheint. Steckt Liko Akana etwa mit meinen Entführern unter einer Decke und hat mir nur zum Schein geholfen?

Es würde Sinn ergeben, denn er könnte die Infos meines Tagesablaufes an diese Parasiten weitergegeben haben und auch Koa könnte so von den Geschehnissen erfahren haben. Doch ist Liko Akana, ein, meiner bisherigen Ansicht nach, herzensguter Cop, wirklich dazu in der Lage oder welche Geschichte könnte ansonsten hinter seinem Verhalten stecken?

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