49| »Rache«

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Weit entfernt ist ein unmenschlicher Schrei zu hören, doch ich denke nicht länger darüber nach, denn Isy lässt nicht locker und wir ringen um ihren Krummsäbel, während Mea in Lichtgeschwindigkeit zur nächsten Kommode rast, die oberste Schublade rauszieht und plötzlich mit einer Handfeuerwaffe, deren Lauf sie auf Isy gerichtet hat, vor uns steht. „Hände hoch! Na wird's bald!", bellt Mea furchterregend ihren Befehl. Isy scheint davon jedoch nichts mitzubekommen, denn sie schaut mich mit glasigen und blutunterlaufenen Augen an und macht keine Anstalten, sich zu ergeben. Nein, ganz im Gegenteil, sie stürzt sich nach einer kurzen Pause erneuert auf mich und schreit wie eine Besessene. Gut möglich, dass Keano es so weit gebracht hat, dass Isy nun komplett verrückt geworden ist, wundern würde es mich ehrlich gesagt nicht. Ich wehre mich nach Kräften und lande einige Treffer, doch als Isys erster Treffer in meinen Magen landet, bleibt mir die Luft weg und ich krümme mich zusammen. Laut keuchend versuche ich mich, vor ihrer Rage zu schützen, doch sie ist in einer Art Blutrausch und drischt nur noch auf mich ein. Plötzlich höre ich in weiter Entfernung lautes Gebrüll und fasse instinktiv wieder Mut, denn ich habe den geisterhaften Schützen von vorhin fast vergessen. Mein Gehirn arbeitet nun immerhin wieder so gut, dass ich eine kleine Finte umsetzen kann. Ich gebe mich nach wie vor schlapp und widerstandslos, doch in meinem Innersten sieht es ganz anders aus. In mir brodelt die Wut darüber, was sie und ihre sogenannte Familie mir und all den anderen angetan haben. Ich brenne darauf, Isy endlich außer Gefecht zu setzen, um sie anschließend hinter Gitter zu bringen, doch ich muss noch ein klein wenig ausharren, ansonsten schöpft sie, schlau wie sie ist, Verdacht.

Mit weit aufgerissenen Augen, in denen sich das Weiß deutlich vom Rest ihres Gesichts abhebt, holt sie aus und schmettert ihre Faust gegen meine Schläfe. Eigentlich hätte mich dieser Schlag K. o. schlagen müssen, doch ich habe meine Chance gesehen und zugeschlagen. Wortwörtlich. Zuerst habe ich einen seitlichen Kick gegen ihre Patella ausgeführt, der darauffolgende Schmerz hat sie zu Boden gehen lassen und somit ist der Rest ein Kinderspiel. Ich halte sie im Schwitzkasten, eine einfache, aber äußerst effektive Methode, um sie in Schach zu halten. „Aislynn? Hier sind Handschellen! Legst du sie ihr an?", unterbricht Lukes Stimme meine innerliche Siegesfeier. Wo kommt der denn so plötzlich her? Ist er etwa... der Schütze gewesen? In meinem Gesichtsfeld tauchen baumelnde Handschellen auf und ich ergreife sie mit einer Hand, Isy windet und wehrt sich nach wie vor, doch ich drücke sie erbarmungslos durch mein Knie, welches ich auf ihrem Rücken gepresst habe, zu Boden und lege ihr richtig professionell die Handschellen an. Erst als es „Klick" macht, bemerke ich, dass ich schon seit geraumer Zeit die Luft angehalten habe und atme erleichtert frische Luft ein. Langsam stehe ich auf und ziehe Isy unsanft mit mir nach oben. Ich drehe mich zu Luke um und sehe Sanna und Liko neben ihm stehen. Alle drei beobachten mich mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck und ich muss daraufhin schmunzeln: „Warum macht ihr denn alle ein Gesicht, als ob wir sieben Tage Regenwetter gehabt hätten? Isy ist endlich auf frischer Tat ertappt worden und ich kann mich endlich wieder an die Geschehnisse der letzten Wochen erinnern und sorge mit meiner Aussage dafür, dass sie ihr verbleibendes Leben hinter Gittern verbringen wird. 

Liko löst sich als erster aus der Starre und kommt mir entgegen: „Ich bin so froh, dass dein Gedächtnis zurück ist, ich kann es dir gar nicht beschreiben... Nun zu dir", er blickt Isy an. „Du hast das Recht zu schweigen. Alles was du sagst, kann und wird vor Gericht gegen dich verwendet werden. Du hast das Recht, zu jeder Vernehmung einen Verteidiger hinzuzuziehen. Wenn du dir keinen Verteidiger leisten kannst, wird dir einer gestellt. Hast du das verstanden?". „Du kannst mich mal", blafft Isy und wird daraufhin von Liko abgeführt, wobei weggezerrt trifft es wohl besser. Ich habe das ganze Prozedere beobachtet und mir gedacht, dass ich diesen weltbekannten Satz endlich einmal in Echt gehört habe, wie schräg ist das denn? Als ich ein Räuspern höre, wende ich mich fragend Luke und Sanna zu, die nach wie vor nur stillschweigend dastehen.

„Ist irgendetwas? Warum macht ihr beide so ein Gesicht, jetzt ist doch endlich alles gut!?", frage ich. Sanna und Luke blicken sich an und ich höre Sanna leise flüstern: „Sagst du es ihr, oder soll ich?". Oh nein. Nicht schon wieder eine Hiobsbotschaft. Ich verschränke die Arme vor meinem Oberkörper und warte darauf, dass ich endlich das erfahre, was die beiden so ein trauriges Gesicht ziehen lässt. Luke raunt Sanna irgendetwas Undefinierbares zu und sieht mich anschließend an: „Ais, es tut mir so leid. Ich... Gott, wie soll ich es dir nur sagen?". „Wie wäre es mit kurz und bündig?", werfe ich ein, denn ich kann einfach nicht mehr. „Okay. Du... du hast den Schuss vorhin gehört, nicht wahr?". „Ja, habe ich. Da ist plötzlich ein roter Laserpunkt gewesen und ich habe sofort gewusst, dass nun Hilfe da ist. Was willst du mir damit eigentlich sagen?". Luke fährt sich mit beiden Händen durchs Haar und kommt näher: „Ich will damit sagen, dass dieser Schütze jemand aus unserem Team gewesen ist, doch es ist noch jemand anders, ebenfalls mit einem Scharfschützengewehr, vor Ort positioniert gewesen. Unser Mann... er hat nicht abgedrückt, verstehst du? Trotzdem ist dieser Schuss gefallen und es ist jemand getroffen worden. Jemand, den du wirklich gut kennst und... Ach verdammt, ich dachte ich kann das, doch es geht nicht. Es geht einfach nicht. Sanna? Bitte". Ich schaue verwirrt von Luke zu Sanna und ein ungutes Gefühl macht sich langsam in mir breit.

„Aislynn, der Schuss vorhin hat Ky getroffen. Wir wissen nicht, wie es hat passieren können, oder um wen es sich bei dem Täter handelt. Das einzige, das wir wissen, ist, dass Keylam O'Connor in Lebensgefahr schwebt." 

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Oh no... Dachtet ihr wirklich, dass nun alles gut ist? Und das nur, weil Isy in Handschellen abgeführt worden ist? Tja, ich muss euch leider enttäuschen, die Herzschmerzreise geht weiter und ich freue mich, dass ihr nach wie vor so "gesittet" in den Kommentaren seid. 😉🥰

Ich freue mich auf eure Kommentare und ein klitzekleines Sternchen - bald geht es weiter...

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