33| »Impressionen«

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Die nächsten Sekunden bleibe ich in diesem Glauben und erstarre regelrecht, wobei mir meine innere Stimme klar und deutlich sagt, dass ich nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen soll, weil ich ansonsten irgendwann verrückt werden werde. Wobei hier die Frage auftritt, ob ich das nicht schon bin. Welcher normale Mensch hat so viel Pech auf einmal? Richtig geraten, ich. Mit neuem Mut öffne ich das große Fenster und ziehe so die Aufmerksamkeit des Schemens auf mich. „Aislynn? Uh, ich hatte schon Angst, dass ich bei dem Fenster deines gruseligen ‚Bruders' Luke gelandet bin."

Mir fallen fast die Augen aus dem Kopf und ich fange hysterisch zu lachen an: „Ky!? Was zu Hölle machst du mitten in der Nacht unter meinem Fenster? Du hast mir eine Heidenangst eingejagt!" Er sieht zerknirscht mit einem Welpen Blick zu mir hoch: „Das ist nicht meine Absicht gewesen. Verzeihst du mir? Nur noch ein einziges Mal?".

„Du bist blöd!", flüstere ich lachend, „ich komme zur Haustüre." Mit einem kribbelnden Gefühl im Bauch schließe ich das Fenster und gehe zu meiner Zimmertüre. Leise öffne ich diese und erwarte fast, Luke hinter dieser anzutreffen, doch weit und breit ist niemand zu sehen. Eigentlich sollte ich dies verdächtig finden, doch ich habe nur noch Ky im Kopf und wie ich am schnellsten zur Haustüre komme. So leise wie möglich schleiche ich die Treppe nach unten und realisiere erst jetzt, dass ich noch die gleichen Klamotten wie gestern in der Schule anhabe, nur dass diese durch die vielen Stunden im dunklen Frachtraum des Bootes voller Schmutz und teilweise auch Blut sind. Nun, Ky wird sich hoffentlich nicht auf diese kleinen Details konzentrieren, ich drehe also den Schlüssel im Schloss um und öffne die Türe. Er wartet bereits auf mich und lächelt mich an: „Hey Aislynn. Habe ich dich geweckt?".

„Nein, ich habe nicht geschlafen, sondern bin kurz zuvor wach geworden. Willst du reinkommen?", frage ich ihn und kann seine, hoffentlich zustimmende, Antwort kaum erwarten. „Gerne. Hat deine Gastfamilie, allen voran Luke, nichts dagegen, wenn ich mitten in der Nacht zu dir komme?", fragt er zögernd, ich höre jedoch einen schmunzelnden Unterton in seiner Stimme. Ich schüttle beschämt grinsend den Kopf und er geht daraufhin dicht an mir vorbei ins Haus.

Innerlich vibriere ich regelrecht, denn er löst eine unerklärliche Sehnsucht in mir aus. Am ehesten kann ich es als Sehnsucht nach Nähe und einem anderen Menschen definieren. Ky scheint bemerkt zu haben, dass es mir nicht sonderlich gut geht, denn er folgt mir, nachdem ich die Haustüre wieder sorgfältig geschlossen und abgesperrt habe, ohne Kommentar die Treppe hoch und steht schließlich im ersten Bereich meines Zimmers. Er mustert es nur kurz und wendet sich dann mir zu: „Ais, ist alles in Ordnung bei dir? Ich mag mich zwar getäuscht haben, doch ich habe vorhin einen Schrei gehört. Er scheint durch dein Zimmerfenster gedrungen zu sein. Ich... wollte sehen, ob es dir gut geht, ansonsten hätte ich mich gar nicht bemerkbar gemacht."

„Ähm... Mir geht es...gut?", antworte ich überrumpelt. Macht das nicht jeder? Einfach zu sagen, dass es einem gut geht, obwohl man kurz davor ist, zu heulen? Sei es vor Erschöpfung, Angst, Wut, Traurigkeit oder Liebeskummer, niemand sagt bei den Worten „Mir geht es gut", immer die Wahrheit. Wir Menschen lügen wie gedruckt, um unsere innerste Gefühlswelt vor den Mitmenschen zu verbergen und den meisten gelingt dies ziemlich gut, doch mein „Mir geht es gut", hat eher wie eine Frage als eine überzeugte Tatsache geklungen. „Was brauchst du, Ais?", fragt mich Ky äußerst plötzlich und zerstört damit alle Mauern, welche ich mühsam zur Abschirmung meiner Gefühlswelt aufgebaut habe.

Ich schaue ihn an, er tut es mir gleich und unsere Blicke verfangen sich, verweben sich zu einem unsichtbaren Band und verbinden unsere Seelen. Er blickt tief in mein zerrüttetes Inneres und als ich ein warmes Pulsieren verspüre weiß ich, dass er meinen weichen, verletzten Kern gesucht und gefunden hat. Er geht einen Schritt auf mich zu und schließt mich in seine warmen, schützenden Arme. Ich schmiege mich an sein weiches Baumwollhemd und atme tief seinen frischen Duft ein. Ich höre sein Herz pochen und verspüre ein Gefühl von Geborgenheit, so, als wäre ich endlich zuhause angekommen. Tränen lösen sich aus meinen Augen und kullern meine Wangen hinunter, Schluchzer lassen mich erzittern und mein Herz fühlt sich an, als würde es im nächsten Moment zerbrechen.

Ich weiß nicht, wie lange wir so gestanden sind, doch ich komme erst wieder zu mir, als Ky mich aufhebt und mich an der Glasfront vorbei zu meinem Bett trägt. Dort lässt er mich sanft nieder und ich schlinge meine Arme um seinen Nacken, sodass er mit mir nach unten sinkt. Er versteht meine wortlose Geste und setzt sich nur kurz auf, um seine Schuhe abzustreifen, um sich dann neben mich zu legen. Er zieht meine Decke über uns, ich lege meinen Kopf auf seinen Oberkörper und er legt seinen Arm um mich. Seine langsamen Atemzüge und das Pochen seines Herzens begleiten mich in den Schlaf und bevor ich wegdrifte, bilde ich mir ein, ein leises „Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt", zu hören, doch ich kann Phantasie und Wirklichkeit kaum mehr unterscheiden und falle in einen tiefen Schlaf. 

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Ui, mein Gemütszustand hat das Schreiben von diesem Kapitel wohl (ein wenig) beeinflusst. 🥺

Was sind eure Eindrücke von diesem Kapitel und stimmt ihr Aislynns Wahrnehmungen von "Es geht mir gut", zu?

Und nun zur wichtigsten Frage: "Hat Aislynn Kys Worte am Schluss phantasiert oder waren diese real?".

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