Kapitel 56

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Die Kellnerin sagt nichts, Harry und ich wissen aber trotzdem beide, dass sein Job kein Gesprächsthema ist. Weder werden wir in Erinnerungen schwelgen noch darüber sprechen, was am Montag passiert. Daher entscheide ich mich dazu, ihn auf seinen anderen Job anzusprechen. Sein da sein als Student, welches ich immer mal wieder vergesse. Ich vergesse die Massen an Büchern in seinen Schränken. „Wie läuft die Uni?" Kurz sieht er seine Augenbrauen überrascht in die Höhe, dann beginnt er zu grinsen und sich in seinem Stuhl aufzusetzen. „Gut, ich habe von meinen Prof für die Thesis zusage bekommen, also werde ich mich nach Dienstag in die Bib stürzen und Material suchen." – „Thesis?", frage ich überrascht und bekomme von ihm einen genauso verwirrten Blick zugeworfen. „Bachelorarbeit." Dieses Mal nicke ich verstehend, sage aber nichts. Ich habe keinen Plan von sowas. Direkt nach meinem wirklich beschissen ausfallenden Abschluss habe ich meinen Vertrag unterschrieben und meine Musik Karriere gestartet. Für Uni war da keine Zeit und jetzt sehe ich mich nicht mehr dabei, das je nachzuholen. Finanziell gesehen bin ich mehr als nur abgesichert und mit Mitte Ende Zwanzig erst anzufangen zu studieren? Weiß ich jetzt nicht. „Und deine Arbeit geht worum?" – „Ich glaube nicht, dass dich das wirklich interessiert", erwidert der Lockenkopf, was mich meine Schultern zucken lässt. „Erzähl es mir trotzdem", fordere ich ihn auf. Dass es mich nicht interessiert, ist mir egal. Was wichtiger ist, dass es ihn interessiert. Ich habe nicht The Great Gatsby geschaut, weil der Film mich interessiert, sondern weil er das Buch auf seinem Nachttisch liegen hatte, als ich bei ihm geschlafen habe.

„Ich schreibe über den Zusammenhang vom Eskapismus in der Nachkrieglichen Literatur und wie er auch heute auf die Mediale Welt anzuwenden ist." – „Was?" – „Warum die Menschen nach dem zweiten Weltkrieg vor der Realität flüchten wollten und welche Gemeinsamkeiten diese mit der Jetzigen Medienkultur hat." – „Das verstehe ich immer noch nicht, aber ich tue so, als wäre es anders." Er sieht belustigt aus, schüttelt seinen Kopf und beißt sich auf die Unterlippe. Zufrieden betrachte ich ihn, sehe mich um und ziehe überrascht meine Augenbrauen in die Höhe, als ich die Kellnerin mit zwei Tellern im Arm auf uns zukommen sehe. Bis unser Essen vor uns steht halte ich meine Klappe, dann richte ich meine ganze Aufmerksamkeit auf Harry. Den vor ihm stehenden Salat ignoriere ich, auch wenn die darauf liegende Avocado mich nur anlacht, damit ich was dazu sage. Aber ich reiße mich zusammen. Eine Minute lang. Dann grinse ich und spieße ein wenig von der Avocado auf meine Gabel auf, ehe ich sie vor seinen Mund halte. Jetzt verseuche ich auch schon meine Gabel, damit er seine Avocado essen kann. „Na, schmeckt das?" Den Augenkontakt haltend isst er das kleine Stück von meiner Gabel, dann nickt er. „Du weißt, dass ich Avocado gerne mag." – „Öko Futzi", brumme ich. Harry grinst als Antwort bloß und nimmt selbst ein Stück von der Avocado. Er bietet es mir nicht an, sondern isst es und deutet dann mit einem nicken auf meinen Teller: „Du hast ja nichts von meinem Öko Gehabe, oder wie auch immer du es Zayn gegenüber nennen möchtest, gelernt" Wie bei unserem ersten Date, gibt es für mich Burger und Pommes. „Glaub mir, selbst wenn, würde ich es dich nicht wissen lassen.", grinse ich, nehme eine Pommes und werfe sie auf seinen Teller, während ich unterm Tisch meine Füße zwischen seine Schiebe und sie hinter seinem Knöchel verhake. Wir sehen wahrscheinlich aus wie ein normales Pärchen, das zusammen Essen geht. Aber das sind wir nicht und das muss ich mir immer wieder ins Bewusstsein rufen. Er leistet seinen im Vertrag stehenden Beitrag, der daraus besteht, mich bei meinem Coming Out zu unterstützen, weil ich keine Kontrolle über diesen Teil meines Leben habe.

Unsere Unterhaltung beschränkt sich auf diese Themen. Sein Öko Getue das mir in den letzten Wochen nicht mehr so doll aufgefallen ist, wie in den ersten, sein Aufsatz für die Uni und, natürlich, mein Album. Ich habe Harry versprochen, dass er eine unterschrieben CD bekommt, bevor es überhaupt erscheint und werde mit Zayn sprechen, dass er und Niall zu einem der Konzerte kommen können. Natürlich Backstage und egal in welcher Stadt. Das ist das mindeste, was ich für ihn tun kann, nachdem er sich dieser Medienwelt ausgesetzt hat, ohne mit der Wimper zu zucken. Gut, vielleicht hat die Menge an Geld, die er dafür bekommen hat etwas damit zu tun gehabt, dass es ihm so leicht gefallen ist, aber ich denke nicht, dass das Geld einer der Hauptgründe war. Oder einer der generellen Gründe.

Bis auf das Stück Avocado, das Harry mir vor die Lippen hält, sind unsere Teller leer. Mit aufeinandergepressten Lippen verweigere ich, es zu essen, aber als er mit einen Kuss verspricht, entscheide ich mich dazu, es zu probieren. Zögerlich kaue ich auf der etwas buttrigen Konsistenz herum, ziehe meine Augenbrauen zusammen und verziehe meinen Mund. Es ist ekelhaft. Schmeckt nach nichts und allem zugleich, hat keine richtige Konsistenz und pappt an meinem Gaumen, während ich das Stückchen herunterzuschlucke.  Als ich meine Augen öffne und Harry ansehe, schüttle ich meinen Kopf und leck über meine Unterlippe. „Wie kannst du das Essen?" – „Es schmeckt gut, man kann es in viele Gerichte einbauen und es enthält viele gesunde Fette." – „Vielen Dank zum Zuhören, das war es mit der Wöchentlichen Ökologischen Chart Show, heutiges Thema: das trendigste Essen, das die Welt je gesehen hat: Avocados." Harry unterbricht mich mit einem lauten Lachen, das viele der anderen Besucher auf uns Aufmerksam macht und seine Wangen rot färbt. „Und der Teilnehmer der Show hat noch immer nicht seinen versprochenen Wetteinsatz bekommen." – „Wetteinsatz?", grinst er, wohl wissend, dass es der Kuss ist. Aber wenn er Spielen will, soll er das machen. Mein Problem ist es nicht und gegen eventuell aufkommende Langeweile wird es sicher helfen. Dieser Gedanke ist unnötig, denn mir wird mit Harry nicht langweilig. Er hat immer einen Spruch auf Lager.

Ich bezahle mit der Firmen Kreditkarte, gebe ein großzügiges Trinkgeld und drehe mich zu Harry, welcher bereits aufgestanden ist und lächelnd auf mich wartet. Grinsend gehe ich auf ihn zu und lege einen Arm um seine Hüfte: „Bereit für ein letztes Mal Blitzlichtgewitter?", frage ich fröhlicher als ich mich eigentlich fühle. Er grinst sein durch Grübchen geziertes Grinsen, lehnt sich zu mir herunter und platziert einen Kuss auf meiner Nasenspitze. Jedem anderen Menschen wäre ich wahrscheinlich an die Gurgel gesprungen, aber bei Harry werden meine Wangen warm und ich senke meinen Blick, damit er meine Röte nicht sieht. Verdammt, diese eine Minute werde ich doch wohl aushalten können. Ohne Widerstand lässt Harry sich von mir an der Hand aus dem Restaurant führen wo wir, als würden wir die Fotografen nicht sehen, neben dem Eingang stehen bleiben. Meine Hände lege ich an Harrys Seiten, ziehe ihn an mich und warte darauf, dass er mich endlich küsst.

Er soll mit seinen Händen in meine Haare gleiten und mich küssen und mich an sich ziehen, sodass ich seine Wärme spüre, auch wenn der Sonnenschein mich genug wärmt. Seine Wärme ist etwas anderes. Seine Wärme geht von seinen mich berührenden Händen und Lippen aus und bringt meinen Bauch zum Kribbeln, als wäre ein gesamter Streichelzoo in meinem Magen. Aber er tut es nicht. Er schaut mich nur mit einem herausfordernden Schimmer in den grünen Augen an und lässt seine Mundwinkel ein wenig nach oben zucken. Idiot. Gutaussehender beschissener Idiot. Eine Locken fällt in sein Gesicht, welche ich, ohne nachzudenken, zurück an ihren Platz streiche. Fast schon automatisch lege ich meine Hand an seine Wange und lasse meinen Daumen über seine Unterlippe streichen. Intensiv sieht er mich an, fährt mit seinen Händen an meine Hüfte und Küsst mich. Ein zittriger Atemstoß entweicht meinen Lippen, während ich versuche den Kuss zu erwidern und gleichzeitig nicht auf Zehenspitzen zu stehen. Zumindest nicht so, dass die Kameras es einfangen. An meiner Hüfte zieht der grünäugige mich näher an sich heran, bis ich ihm fast auf die Füße trete und ich mich wohl oder übel von ihm lösen muss. „Glaubst du die Paps haben es eingefangen?" – „Hm?" – „Die Paps", wiederhole ich mich, lege meine Arme um seine Hüfte und streiche über seinen Rücken, während ich mein Kinn auf seiner Brust bette und zu ihm aufsehe. „Glaubst du mir, wenn ich sage, dass es mir egal ist?" – „Du sagst mir damit, dass dein Job dir egal ist", murmle ich in den Stoff seines Oberteils. Ich hasse es, wie sehr ich mich bewusst daran erinnern muss, dass das hier ein Teil meines Jobs ist und nicht auf Freiwilligkeit beruht. Ich habe es extra mit Benachrichtigung in meinen Kalender eingetragen und Zayn darum gebeten mir eine Erinnerung zu schreiben, damit ich es nicht vergessen würde. Auch wenn ich Harry mag, ist er noch immer nur mein gefälschter Freund. Und ab Montag ist er gar nichts mehr.

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Hi, freunde der Sonne,

ein wenig Larry Fluff für euch! Wir sehen uns dann in drei Tagen wieder...

love, j x

fake it ⎜l.s. auWo Geschichten leben. Entdecke jetzt