Kapitel 8

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Ich bin der letzte, der am Studio ankommt, aber das wundert niemanden mehr. Ich hatte es noch nie mit der Pünktlichkeit. Mit meinem Costa Becher in meiner Hand betrete ich den Raum, nehme einen Schluck des Tees und lasse mich auf die Couch fallen. „Morgen", brumme ich, nehme einen weiteren Schluck und lasse meinen Blick durch die Reihe schweifen. Viele Menschen sind nicht da, warum auch. Zayn und Silas, mein Kumpel aus der Heimat. Warum er dabei ist, weiß ich nicht. Irgendwann habe ich ihn mal mitgenommen und seitdem schneit er manchmal herein, wenn ich Sessions im Studio gebucht habe. „Morgen Tommo", begrüßt er mich, zeigt seinen Daumen hoch und sieht kurz von seinem Handy auf. Zayns Begrüßung fällt inniger aus: er umarmt mich, drückt meine Schulter und überlässt mir seinen Platz an der linken Armlehne der Couch. Wie immer beginnen wir mit einer Melodie. Das Gerüst des Liedes. Zayn hampelt am Keyboard herum, Silas schaut sich wahrscheinlich Nacktbilder von Frauen auf Twitter an und ich zupfe an meiner Gitarre herum. Langsam aber sicher bildet sich eine Melodie, in die auch Zayn einsteigt, sobald ich sie ein paar Mal wiederholt habe. Das Gerüst steht. Gut.

"Cause we made it, underestimated and always underrated. Now, we're saying goodbye, waving to the hard times. Yeah, it's gonna be alright ...", wiederhole ich zum unendlichsten Mal laut und fahre mir genervt durch die Haare. Es hat so gut begonnen. Keine zehn Minuten haben wir dafür gebrauch und jetzt bekomme ich es einfach nicht hin, diese Zeile zu beenden. "Like the first time", wirft Zayn ein, woraufhin ich ihn ansehe und nicke. „Zayn. Das ist gut!", rufe ich aus, während ich seine Worte in mein Notizbuch schreibe und umrande. Neben mir nickt Silas, nimmt eine Zigarette zwischen seine Lippen und steckt sie an. Automatisch öffnet Zayn das Fenster.
Wir schreiben weitere Zeilen, tauschen und mixen Worte oder ganze Sätze, bis wir zufrieden damit sind. Blicke ich vom Notizbuch in meinem Schoß an die Decke und schließe meine Augen. Tausende Kombinationen aus Worten und Bedeutungen schwirrt aus meinem Kopf, aber nichts drückt das aus, was ich Ausdrücken möchte.

Share a single bed and tell each other what we dream about, war der Einwurf von Silas, er hat aber keine Idee, wie es weitergehen soll. Ich aber. Die Worte schreiben sich von selbst, ehe ich sie betrachte und zustimmend nicke. Things we'd never say to someone else out loud. We were only kids, just tryna work it out. Wonder what they'd think if they could see us now. Danach umrande ich mit schiefen Linien die Hook und ziehe vom Kreis aus einen Pfeil unter die Zeilen. Oh God, what I could've become. Don't know why they put this all on us when we're so young. Done a pretty good job, dealing with it all. When you're here don't need to say no more. Nothing in the world that I would change it for. Singing something poppy on the same four chords. Used to worry 'bout it, but I don't no more. Dann wieder die Hook. Die Session läuft gut. In nur drei Stunden haben wir fast den ganzen Song geschrieben. Silas hat sich nicht beteiligt, aber das wundert mich nicht. Schon in Hall Cross hat er sich dabei nicht beteiligt. Weder bei Musicals noch, bei irgendwas anderem in diese Richtung.

„Eine Rauchen?", fragt Zayn in die Runde, woraufhin ich sofort nicke und mich aufsetze. Mein linkes Knie knackt beim Aufstehen. Fußballerverletzung. Nebeneinander gehen Zayn und ich aus dem Studio und stellen uns unter das kleine Vordach im Erdgeschoss. „Kommt Silas nicht?" Verneinend schüttle ich den Kopf, nehme die Kippe zwischen meine Lippen und zünde sie an, ehe ich einen Tiefen Atemzug nehme und meine Lungen mit dem Rauch fülle. „Nein" – „Gut, dann können wir reden" Das hört sich ernst an, weshalb ich einen weiteren Zug nehme und mich ihm dann zuwende. Zayn ist gerade noch dabei seine Zigarette anzuzünden, weshalb ich in Ruhe abwarte und in die Wolken sehe. Langsam ziehen sie an uns vorbei und zeichnen Bilder in den Himmel, die schnell wieder verschwinden. „Ich glaube immer noch, dass einem Outing nichts im Weg stände, Lou." Überrascht ziehe ich meine Augenbrauen in die Höhe und lecke mir über die Unterlippe.

„Glaubst du? Glauben kannst du im Religionsunterricht und in der Kirche.", zitiere ich meine ehemalige Philosophielehrerin, da ich nicht weiß, was ich sonst antworten sollte. Mein bester Freund verdreht die Augen, sagt aber nichts dazu. Einige Sekunden, in denen wir beide nur rauchen, vergehen in Stille, dann gibt der schwarzhaarige sich einen Ruck und dreht sich zu mir. „Du kannst dich Outen, Louis. Du musst es nicht, aber du hast die Möglichkeit. Ich habe noch nicht mit Joseph, oder wem anderen aus deinem Team gesprochen, aber wenn ich das tun soll, ist es okay. Du sollst nur wissen, dass du das Ticket zum Outing in deiner Hand hast." In Gedanken nicke ich, nehme einen weiteren Zug meiner Zigarette und lege meinen Kopf in den Nacken. Ich habe es in der Hand. Langsam senke ich meinen Blick auf meine Hände, balle mit der freien eine Faust und entspanne die Muskulatur wieder. „Ich will es der Band sagen." – „Wie gesagt, du hast es in der Hand", murmelt Zayn, lehnt sich an die Raue Betonwand und flickt gegen den Glimmstängel in seiner Hand, um ihn abzuäschern. „Ich sag's der Band.", spreche ich erneut.

Um es Zayn zu vermitteln, aber auch mir.

Es ist das zweite Mal in meinem Leben, dass ich vorhabe mich zu Outen. Bisher habe ich das nur meiner Mutter gegenüber getan. Gut, vielleicht auch Fredrick, aber ihn zähle ich nicht. Nicht, wenn ich versuche mich so wenig an ihn zu erinnern, wie es geht. Er war vom ersten Label, das auf mich zugekommen ist, nachdem meine YouTube Videos viral gegangen sind. Fredrick war mein erster Schritt in Richtung Musiker und auch wenn ich nicht bei seinem Label unterschrieben habe, habe ich ihm viel zu verdanken. Auch wenn er derjenige war, der mir gesagt hatte, ich könne mich in diesem Business nicht outen. Ich könne schwänze Lutschen, um an Verträge zu kommen und nicht, weil ich das will.

„Soll ich ein Meeting eintragen?", hakt Zayn nach, woraufhin ich den Kopf schüttle und den letzten Zug meiner Zigarette nehme, ehe ich sie fallen lasse und auf dem trockenen Boden austrete. „Lass mal. Ich lad sie einfach zu mir ein und schaue, wie es läuft." Einfach, denke ich mir, nachdem ich es gesagt habe. Super einfach, natürlich. „Du alleine oder soll ich dabei sein?" Zayn scheint zu merken, dass es doch nicht so einfach für mich ist, wie ich meinte, denn er ist nie bei Bandtreffen dabei. Vor Konzerten oder so, ja, natürlich, aber wenn wir uns einfach so treffen? Nie. „Du kannst spontan dazukommen? Und falls es schiefgeht, rufe ich dich an?" – „Klar. Das geht nach deinen Bedingungen. Selbst wenn du dich nur vor den Jungs Outen willst, ist das cool." Cool. Nachdenklich nicke ich. Nur bei meiner Band outen, möchte ich mich nicht. Dafür habe ich mich nicht bei Zayn geoutet.

Dafür hat er nicht die Nachforschungen angestellt. Wie auch immer die aussahen.

Wahrscheinlich hat er sich die Interviews und Kommentare unter meinen Instagram Posts durchgelesen. „Muss es jetzt sein?" Zuerst hebt mein bester Freund nur seine Augenbraue, dann schüttelt er seinen Kopf, sieht aber nicht vollkommen entschlossen aus. „Sei ehrlich", fordere ich daher, nehme ihm die Zigarette ab und drücke sie am Stein der Hauswand aus. „Als dein Manager ist es mir egal, Louis. Ich kann diese Entscheidung nicht für dich treffen und bin mir sicher, dass dein Outing nicht viel für dich verändern wird. Klar, es wird Hate geben und du verlierst Fans, aber das gleicht sich aus und wenn du nicht extra danach suchst, wird das Feedback hauptsächlich so aussehen, dass sie sich freuen, und es den Menschen egal ist." – „Als mein Manager." betone ich seinen Satzanfang und sehe abwartend in seine Augen. Wenn er so anfängt, kommt noch etwas und ich weiß nicht, ob ich mich darauf freue. „Als dein bester Freund? Bin ich immer noch angepisst, dass du so lange dicht gehalten hast. Es ist mir egal, dass du schwul bist, Lou. Ich weiß, dass du es mir nicht schuldig bist, dich zu outen, aber verdammt. Ich will doch auch nur, dass du glücklich bist. Deshalb will ich als dein bester Freund, dass du dich jetzt auf der Stelle Outest, damit ich Wing man spielen kann." – „Also willst du mich nur verkuppeln?", witzle ich, Zayn aber sieht mich Ernst an.

„Ich möchte, dass du glücklich bist, Lou. Und ich sage nicht, dass du das als Single nicht bist, aber ich kenne dich." – „Ich weiß." gebe ich zu, lege Zayn meinen Arm um die Schulter und ziehe ihn in eine innige Umarmung. „Danke, dass du dir so viel Arbeit machst", flüstere ich gegen den Stoff seines Shirts und schließe meine Augen, um den Moment voll und ganz auszukosten. Ich umarme ihn viel zu selten so wie jetzt.

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hi, freunde der sonne

wie findet ihr Silas? Und so ist anscheinend We Made It entstanden :)

love, j x

fake it ⎜l.s. auWo Geschichten leben. Entdecke jetzt