with all senses

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Markus

Jedes verfluchte Mal.
Wieso tu ich das hier?
Trinken...
Um all das zu vergessen, was mir seit Wochen, Monaten, Jahren auf der Seele brennt.
Wieso bin ich so? Wieso kann ich nicht einfach die Finger von diesem verkackten Dreckszeug lassen und einfach Mal darüber reden? Nein ich greife gleich wieder zu Alkohol.

„Markus es reicht!”, es ist mehr ein dröhnen als alles andere, als meine Betreuerin mir die Flascha Voddi wegnimmt. „Ey, nein! Noch eisch schluck”, lalle ich mehr als gewollt. Ich greife nach der Flasche, doch Marion, die Betreuerin, tritt einen Schritt zurück, sodass ich mit dem Kopf gegen eine Tischkante knalle.
Und plötzlich ist alles schwarz...

Emma

Es kann doch nicht sein verfluchter Ernst sein.
Das dritte Mal diese Woche sitze ich an seinem Krankenbett, weil er sich voll saufen musste. Was ist bloß los mit ihm?
Langsam und sichtbar quälend öffnet Markus seine Augen und entdeckt mich. „Nein ich rede nicht drüber”, knurrt er sofort und hält sich die Stirn. Wahrscheinlich weil sein Kopf so verfickt doll dröhnt. Kein Wunder bei der Promille Anzahl. Ein Wunder, dass er keine Alkoholvergiftung bekommen hat. „Was ist wenn ich drüber reden möchte?”
„Herr Gott, Emma geh einfach!”
Aua.
Wortlos und getroffen stehe ich tatsächlich auf und gehe. Ich war immer für ihn da. Ich bin die einzige die seine Geschichte kennt, seine größten Ängste, seine Vergangenheit, alles. Und er tritt es mit Füßen.
Wir sind beide im Heim aufgewachsen, ungefährt gleiche Kindheit.
Vater Alkoholiker und Schläger
Mutter psychisch krank.
Was meine Probleme sind hat Markus noch nie interessiert. Aber mich haben seine Interessiert. Weil ich mich verdammt nochmal in diesen Blondschopf verliebt habe!
Und er weiß es nicht mal...

Markus

Sie soll sich aus meinem Leben fernhalten! Ich bin nicht gut für sie...
Selbst wenn ich sie liebe -was ich ja auch tu- es geht nicht. Ich würde ihr nur schaden und das könnte ich mir nie verzeihen.

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3 Tage musste ich in Krankenhaus bleiben. Knapp vorbei an einer Alkoholvergiftung war die Diagnose. Verflucht ich muss echt damit aufhören.
Marvin, mein Betreuer, trägt meine Tasche rein und schiebt mich förmlich ins Heim. Ich will sofort in mein Zimmer verschwinden, doch ich habe die Rechnung ohne Marvin gemacht. „Vergiss es Markus! Du gesellst dich jetzt zu den anderen in den Gemeinschaftsraum! Ich habe keine Lust dich nachher wieder besoffen alleine in deinem Zimmer vorzufinden! Ab nach unten mit dir!”, sagt er und schiebt mich aus meinem Zimmer wieder raus, nachdem er die Tasche abgestellt hat. „Mach dir mal keinen Kopf, ich trink schon nicht” - ich weiß nicht warum, aber ich tue auf taff und gefasst, doch ich bin es in keinem Fall. „Hör auf mit der scheiße! Ich weiß, dass es die Zeit ist, aber Alkohol ist keine Lösung! Rede mit jemandem! Emma war immer für dich da und sie wird es auch weiterhin für dich sein, aber du darfst sie nicht von dir wegstoßen! Sieh es endlich ein” - und mit diesen Worten schiebt er mich in den Gemeinschaftsraum.
Emma.
Sie ist die erste, welche ich sehe und sofort zieht es in meinem Brustkorb. Verflucht!
Ich kann sie nicht ansehen! Ich kann nicht mit ihr in einem Raum sitzten! Ich... ich bin zu sehr wie mein Vater, um ihr in die Augen zu sehen und zu sagen was ich fühle. Fühle für sie.
Meine Beine fangen an zu laufen. Raus. Raus aus dem Raum, raus aus dem Heim. Wie von selbst tragen sie mich zum See, wo wir im Sommer immer Baden gehen. Er ist nicht weit vom Heim entfernt und es ist einfach wunderschön. Kleiner ruhiger Ort, Wasserplätschern, Wiese, kleiner Sandstrand.
Ich lasse mich auf das feuchte Gras fallen und sofort fangen die Tränen an zu laufen. Wieso? Wieso verdammt war mein Vater so!? Ich bin in Heim! Wegen meinen Eltern!
Meine Mutter ist seit 10 Jahren eingewiesen. Wegen Depressionen, Angststörungen, Panikattacken, Suizidgedanken.
Mein Vater ist seit 12 Jahren eingewiesen. Entzugabteilung. Regelmäßig haut er ab. Aggressionsprobleme.
Und ich? Ich bin im Heim seit 13 Jahren und habe viel zu viel von meinem Vater. Seit ich verfluchte sechs Jahre alt bin, bin ich in diesem Heim. Seit ich sechs bin war Emma immer an meiner Seite. Seit ich zwölf bin liebe dich dieses Mädchen. Ich tu ich nicht gut...
„Du weißt, dass ich die einzige bin, der du je alles erzählt hast, oder?” - ihre Stimme taucht neben mir auf. Mit ihrem kleinen T-shirt und ihren Leggings sitz sie jetzt neben mir und sieht Stumm auf den See. „Ist dir kalt?”, ohne auf eine Antwort zu warten ziehe ich meine Jacke aus und lege sie ihr um die Schultern. Wir haben November herr Gott!
„Ist dir jetzt nicht kalt?”
„Ich habe einen Pullover an, also nein”
„Danke”
„Ich sollte dir danken”, es ist nur ein murmeln, doch sie versteht es genau. Jedes einzelne Wort, jeder einzelne Bruch in meiner Stimme, während ich diesen Satz sage. Verfickt, Markus sag es ihr!
„Du warst von Anfang an für mich da. Du hast mir geholfen mich einzugewöhnen, hast heimlich bei mir geschlafen, wenn ich mich in den Schlaf geweint habe, weil ich Heimweh hatte. Du hast mich gehalten, wenn ich davor zu fallen. Du hast mich trotz allem nie gehasst. Und immer habe ich die zu dieser Zeit abgeblockt. Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid, Emma. Ich.. verdammt ich liebe dich, aber ich hab zu viel von meinem Vater, dass ich es dir mit gutem Gewissen sagen könnte. Ich bin nicht gut genug für dich, du hast jemand besseren verdient”
Es war raus. Und es fühlte sich gut an. Ich sollte nicht wegrennen, aber trotzdem stand ich auf, um zu gehen. „Willst du mich jetzt wirklich alleine lassen?”
Wie in Trance setze ich mich sofort wieder hin und sehe stumm auf den See. „Ich.. ich hab keine Ahnung”, ich stotterte, sowie noch nie.
„Markus, ich liebe dich. Mit all deinen Ecken, Kanten, Macken, Fehlern und was nicht alles. Es ist mir egal, was dein Vater für Probleme hat. Ich weiß, dass du so nicht sein willst und besser bist. Also hör auf zu sagen, dass ich nicht gut genug für dich bin und küss mich gefälligst!”, murrt Emma rum und sieht mich an. Ich muss unkontrolliert lächeln, lehne mich vor und lasse unsere Lippen aufeinander sinken.

Ich weiß dass die nächsten Wochen mir wieder meine Nerven kosten werden, so wie jedes Jahr, aber diesmal habe ich Emma an meiner Seite.

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DWK Markus OneShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt