Wilde Rose- Kapitel 36

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Direkt als die Sonne aufgegangen war, ritt Gawain los in den Wald. Er hatte einen Beutel dabei, den er mit den verschiedensten Wildblumen befüllte. Dauernd blickte er sich um, um sicher zu gehen, dass ihn niemand sah. Das wäre ihm peinlich.

Als er wieder auf Camelot war, ging er direkt zum Baumhaus, versteckte den Wildblumenstrauß hinter seinem Rücken und klopfte. Insgeheim hoffte er, dass Morgan öffnen würde. Doch dies blieb ihm verwehrt.

„Ah, Gawain. Komm herein", wurde er vom alten Zauberer Merlin in Empfang genommen. „Na? Nicht gut geschlafen?"

„Ähm, nein. Nicht wirklich."

„Jaja, Träume haben eine große Macht über uns. Manche sind belanglos. Eine Spinnerei unserer Gedanken. Doch andere, Gawain, andere sind wie ein Wegweiser. Eine Warnung unseres Unterbewusstseins. Diese Träume sind meist sehr intensiv, man sollte sie nicht ignorieren."

Perplex sah der Knappe den alten Zauberer an. Woher wusste er, dass es ein Traum gewesen war, der ihm den Schlaf geraubt hatte?

Auf Merlins Gesicht bildete sich ein selbstgefälliges Lächeln, als er das nachdenkliche Gesicht des Jungen sah.

„Blumen, sind die für Morgan?" Gawain wurde aus seinen Gedanken gerissen. Augenblicklich lief er rot an und grinste verlegen.

„Ähm, ja." Er holte die Blumen hinter seinem Rücken hervor. Der alte Zauberer hatte sie ja sowieso bereits gesehen.

„Selbst gepflückt?", fragte er neugierig weiter.

„Ja."

„Schön, sie werden ihr gefallen." Einladend deutete Merlin auf die Treppe, die hinauf in Morgans und Arthurs Zimmer führte.

Das ließ Gawain sich nicht zweimal sagen. Schnell lief er hinauf, gefolgt von den besorgten Augen des Zaubermeisters.

„Morgan?", zögerlich kletterte Gawain durch die Luke im Boden.

„Gawain, komm rein." Die Zauberin streckte ihren Kopf hinter der Trennwand hervor. Zurückhaltend lief er auf sie zu.

Schnell verräumte sie ihre Zauberbücher und stand vom Bett auf, um ihren Freund in Empfang zu nehmen.

Als sie direkt vor ihm stand, streckte er ihr steif die Blumen entgegen. „Für dich. Entschuldigung", sagte er knapp, als Morgan mit großen, überraschten Augen auf den Strauß hinabsah und ihn entgegennahm.

„Die sind aber schön. Danke", lächelte sie verlegen und kicherte leise, als sie Gawains knallrotes Gesicht sah.

„Ich wollte dir sagen, dass ... Es ist etwas passiert, was uns betrifft. Ich weiß nur nicht, wie ich es dir sagen soll", begann der Knappe sich zu erklären.

Enttäuscht seufzte Morgan auf und senkte ihren Blick. „Gawain, treffen wir uns heute Mittag? Ich habe noch Aufgaben von Merlin zu erledigen."

Er verstand sogleich, dass sie gerade nicht mit ihm reden wollte und versuchte gar nicht erst zu widersprechen.

„Okay, bis dann." Er machte auf dem Absatz kehrt und flüchtete förmlich aus dem Baumhaus, am alten Zauberer vorbei, der enttäuscht den Kopf schüttelte.

Morgan versorgte die Blumen und setzte sich wieder mit den Büchern ins Bett. Doch lernen konnte sie nicht, dafür waren ihre Gedanken viel zu zerstreut.

Sie hatte einen Plan. Sie wusste, dass sie so Gawains Vertrauen verletzten würde. Doch sie musste es endlich wissen. Sie guckte aus dem Fenster. Die Knappen wärmten sich gerade auf. Medusa und Guinivere saßen bereits am Rand und guckten zu. Das war ihre Chance.

Schnell rannte sie über den Hof in das Schloss, die Treppen hinauf und in das Zimmer der Jungs.

Sie hatte gesehen, dass Gawain gestern etwas vor ihr verstecken wollte. Hastig durchwühlte sie sein Bett, doch sie fand nichts. Sie blickte sich hastig im Zimmer um und blieb an seiner Truhe hängen.

Sie lief hinüber und hob den schweren Deckel an. Da lagen tatsächlich die Briefe, die Gawain gestern erhalten hatte.

Der eine war wirklich von Korena, doch der andere? Sie konnte das Siegel nicht erkennen.

Sie blickte sich noch einmal um, um sicher zu gehen, immer noch allein zu sein. Sie hörte Ulfins strenge Stimme auf dem Hof, so musste das Training noch voll im Gange sein.

Vorsichtig öffnete sie den Brief und begann zu lesen. Empört atmete sie aus. Es war nicht irgendein Brief. Es war ein Liebesbrief. Ein Brief von einer Amora. Gawains zukünftiger Ehefrau.

Morgan traute ihren Augen nicht. Das konnte doch nicht wahr sein. Sie merkte, wie ihr heiße, stumme Tränen die Wange hinabflossen. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit.

„So, Leute. Zusammenpacken!", befahl Ulfin und die Knappen atmeten erleichtert aus. Das Training war endlich zu Ende.

„Gawain!"

Gawain und auch die anderen drehten sich zu der Stimme, die wütend über den ganzen Schlosshof brüllte. Es war Morgan, die bedrohlich stampfend auf ihn zu kam, eine Rolle Pergament in der Hand.

Sofort bildete sich ein Kloß im Hals des Knappen. Das war doch nicht etwa ...?

„Was soll das?", brüllte Morgan und fuchtelte mit dem Pergament vor seinem Gesicht herum.

„Nicht hier, Morgan", bat Gawain, doch die Tintagel ließ sich nicht beruhigen.

„Wieso nicht? Sollen deine Freunde nicht erfahren, was für ein Arschloch du bist?"

„Morgan, bitte ..."

„Nein!"

„Lass es mich wenigstens erklären."

„Du hattest genug Zeit dazu." Entrüstet warf Morgan Gawain die Pergamentrolle ins Gesicht, bevor sie wutentbrannt davonstapfte. Ihr Gesicht nass von den Tränen, die wieder zu fließen begonnen hatten. Tränen von Wut und Enttäuschung.

Einen Moment starrte Gawain ihr nur perplex hinterher, bis er die Rolle aufhob, sie in seine Hosentasche stopfte und ihr hinterherrannte.

„Morgan, warte!"

Der Rest der Truppe stand nur da, schockiert von den Ereignissen, die sich direkt vor ihren Augen abgespielt hatten und starrten den beiden hinterher.

„Was steht ihr hier so rum? Aufräumen habe ich gesagt, aber zackig!", riss Ulfin sie alle aus den Gedanken, nachdem er es selbst geschafft hatte, sich von den beiden loszureißen.

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