Am nächsten Morgen wurde Gawain vom Knarren seiner Zimmertür geweckt. Viel geschlafen hatte er nicht, denn das Abendessen war für ihn ausgefallen und er hatte großen Hunger.
„Gawain?" Die sanfte Stimme seiner Mutter ließ ihn aufschauen. Sie hatte ein Tablett mit dem Frühstück dabei. „Was ist mit deiner Wange?"
„Sieht man es immer noch?" Gawain setzte sich auf und fasste sich an die betroffene Stelle, die gestern noch eine ganze Weile wehgetan hatte.
„Hat er dich wieder geschlagen?" Seine Mutter blickte ihn bedauernd an. Sie kannte die Antwort selbst. Gawain wich ihren Blicken aus und nickte geknickt. Juna setzte sich neben ihn auf das Bett und übergab ihm das Essen, welches er dankend annahm.
„Was war denn der Grund für euren Streit? Mit Amora meine ich."
Gawain schluckte hart. Was sollte er antworten? Er musste das Geheimnis schützen, auch vor seiner Mutter. Doch bevor er sich etwas überlegen konnte, klopfte es sachte an der Tür und Amora trat herein.
„Amora, wir haben gerade von dir gesprochen." Juna lächelte, als sie die Prinzessin erblickte und lud sie mit einer Handbewegung zum Bett.
„Ich wollte mich entschuldigen. Ich hätte nicht einfach an deine privaten Sachen gehen sollen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass dein Vater so reagiert", gab sie kleinlaut von sich, als sie ans Bett getreten war.
„Schon gut", antwortete Gawain nur knapp, bevor er sich ein weiteres Stück Brot in den Mund schob. Juna blickte ihren Sohn vorwurfsvoll an, doch dieser zuckte nur mit den Schultern.
„Das ist sehr lieb von dir, dass du dich entschuldigst. Wollt ihr vielleicht ausreiten gehen? Ich rede mit Lott, wartet einen Moment." So verließ die Königin das Zimmer und ließ die beiden allein. Amora setzte sich auf das Bett.
„Also, was war jetzt das große Problem? Du kannst mir alles sagen."
„Amora ..." Genervt seufzte Gawain auf. Sie konnte sehr hartnäckig sein.
„Komm schon, wir hatten noch nie Geheimnisse voreinander." Sie lächelte ihn an und kniff ihm spielerisch in die nicht betroffene Backe. „Ist es ein Mädchen?", neckte sie weiter. Sie grinste Gawain an, welcher ihrem Blick auswich und nicht allzu amüsiert dreinschaute. Ihr Grinsen verschwand langsam aus ihrem Gesicht, als sie anfing zu verstehen. „Es ist ein Mädchen ...", flüsterte sie eher zu sich selbst, als zu Gawain und senkte ihren Blick.
„Amora, niemand darf das erfahren. Hörst du? Du musst es geheim halten. Mit jedem Mitwisser steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mein Vater es erfährt." Verzweifelt versuchte Gawain Blickkontakt aufzubauen.
„Wer ist es?", fragte sie nur abwesend.
„Das tut nichts zur Sache. Versprich mir, dass du es niemandem erzählst."
„Jemand aus Camelot?"
„Versprich es mir, Amora!" Gawain erhob panisch seine Stimme und schien Amora so aus ihrer Trance zu holen. Langsam hob sie ihren Blick wieder und schien nachzudenken.
„Ja, ich verspreche dir, es geheim zu halten", brachte sie endlich hervor und blickte Gawain dabei endlich in die Augen. Sie begann zu lächeln, doch Gawain erkannte sofort, dass es aufgesetzt war.
„Amora, was ist los?"
„Nichts, was soll sein?"
„Ich merke doch, dass was nicht stimmt."
„Du weißt es noch nicht, oder?" Amoras Blicke durchdrangen ihn. Er wusste nicht, was sie meinte. Was sollte er noch nicht wissen?
„Ich verstehe nicht, was du meist."
„Du wirst es noch erfahren ... lass uns ausreiten gehen."
Die nächsten Tage vor dem Fest vergingen wie im Flug. Amora war anfangs etwas niedergeschlagen, doch ihre Laune besserte sich bald und am Tag des Festes war sie wieder ganz die alte. Gawain hatte noch lange darüber nachgedacht, was sie meinen könnte, doch vergaß ihre Worte schon bald.
Am Abend der Sommersonnenwende kamen die besten Ritter Orkaniens zusammen. Auch wenn Gawain beeindruckt war, war das gemeinsame Essen wie immer sehr langweilig. Nachdem das Essen zu Ende war, begann festliche Musik zu spielen und es floss ordentlich Wein. Alle tanzten durch den Saal, nur Gawain saß am Rand und zupfte an seiner verhassten Festrobe herum. Er musste an Morgan denken und an die Feier, die sie mit seinen Freunden im Wald bei der Tafelrunde gefeiert hatten.
„Gawain, komm schon, tanz mit mir!" Die freudige Stimme Amoras riss ihn aus seinen Gedanken. Sie kam strahlend auf ihn zugelaufen und begann ihn am Arm zu ziehen, um ihn zum Mitkommen zu bewegen. Doch Gawain blieb stur sitzen. „Ich tanze nicht."
„Och, komm schon."
„Nein!"
„Tu es für mich", bettelte Amora weiter und gab sich dabei besonders viel Mühe, süß auszusehen. Sie wusste ihren Charme einzusetzen, doch Gawain brachte sie so nur zum Lachen. „So bekommst du mich auch nicht rum. Ich werde nicht tanzen."
„Aber jeder tanzt", argumentierte die Prinzessin verzweifelt.
„Ich nicht", bekam sie nur als Antwort, was sie zum Aufgeben brachte.
„Sturkopf!" Endlich ließ sie von ihm ab und kehrte sich den anderen Gästen zu, um nach einem willigen Tanzpartner zu suchen. Gawain nutzte die Gunst der Stunde und verschwand schnurstracks in den Stall, um etwas Ruhe zu bekommen.
Über dem Hof kreisten zwei Raben. Beide blickten herab auf das Schloss des Königs von Orkanien. Sie schienen etwas zu suchen. Der größere der beiden Tiere krächzte aufgeregt, woraufhin der andere auf der Fensterbank des Festsaals landete und neugierig hineinblickte. Es war ein wunderbares Fest. Es lief laute Musik, die Leute tanzten und lachten, doch in diesem Trubel war es schwer für ihn, sein Ziel zu finden. Aufgeregt hüpfte er auf der Fensterbank hin und her, er musste einfach hier sein.
Da drang ihm erneut das Krächzen des Größeren an die Ohren. Der Rabe flatterte ungeschickt zu seinem Kameraden hinauf und sah in die Richtung, in die er wies. Er sah gerade noch, wie die Tür zum Stall geschlossen und eine Fackel im Inneren entzündet wurde.
Gawain ließ sich ins Heu sinken, endlich Ruhe. Als Sohn des Königs waren solche Feierlichkeiten immer anstrengend. Alle wollten etwas von ihm und anfangs musste er jedem die Hand schütteln. Leuten, die ihm fremd erschienen, ihn jedoch genau zu kennen schienen.
Er schrak auf, als es plötzlich am Fenster klopfte und ein aufgeregter Rabe davor hin und her flatterte. Was war bloß mit dem Vieh los? Es pickte erneut gegen die Scheibe. Gawain stöhnte genervt auf. Er blickte sich im Stall um, bis sein Blick an einem Besen hängen blieb. Schwerfällig erhob er sich aus dem Stroh und nahm den Besen entschlossen in die Hand. Wütend trat er aus dem Stall und fuchtelte mit dem Besen herum, um den aufgeschreckten Raben zu verscheuchen, doch das Federvieh blieb standhaft. In einem unachtsamen Moment flitzte er an Gawain vorbei in den Stall und erschreckte die Pferde.
Wutentbrannt stapfte Gawain hinterher, um den Raben hinauszujagen. Doch als er um die Ecke kam, blieb ihm der Mund offenstehen. Mitten im Stroh stand Morgan und grinste ihn freudig an. Perplex blieb Gawain stehen. „Wo ist der Rabe?"
„Ich freue mich auch, dich zu sehen." Morgan kam langsam auf ihn zu und nahm ihm den Besen aus der Hand. „Ich war der Rabe", hauchte sie ihm frech in sein Ohr.
„Morgan!" Endlich erwachte Gawain aus seiner Starre und drückte Morgan fest an sich. Diese ließ augenblicklich den Besen fallen und erwiderte die Umarmung glücklich. Nachdem die beiden sich voneinander gelöst hatten und Gawain sich endlich sicher war, dass er nicht halluzinierte, blickte er seine Freundin neugierig an. „Du kannst dich also in einen Raben verwandeln?"
„Nein, leider nicht. Merlin hat uns verwandelt. Er wartet draußen auf mich, ich habe nicht viel Zeit", erwiderte Morgan und blickte ihn bei den letzten Worten durch traurige Augen an.
„Na dann, lass uns die Zeit nutzen." Mit diesen Worten packte Gawain die Zauberin und warf sie ins Stroh. Morgan kicherte, als Gawain sich neben sie ins Stroh fallen ließ.
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Wilde Rose
FanfictionRitter werden! Das ist Gawains Ziel, welchem er, zusammen mit seinen Freunden, in der Ritterschule auf Camelot immer näher kommt. Zusammen mit Sagramor, Tristan, Arthur und Guinivere bildet er die Tafelrunde, die vor bald drei Jahren von ihnen gegrü...