Traurig saß Morgan mit ihren Schwestern Morgause und Igraine auf Burg Tintagel. Sie aßen gerade das spärliche Mittagessen. Mehr war einfach nicht drin. Doch Morgan machte das nichts aus.
Auch wenn ihre Schwestern hinterhältig waren und schon oft versucht hatten, König Uther vom Thron zu stoßen oder gar zu töten, hatte sie ein gutes Verhältnis zu ihnen und ihrer Burg, die schon am zerfallen war. Hier war sie geboren. Hier war sie aufgewachsen, bis ihr Vater starb und Merlin sie zu sich genommen hatte.
„Das hast du davon, wenn du was mit einem Knappen Uthers anfängst", spottete Morgause, die mittlere Schwester.
„Hör auf, Morgause. Das hat sie selbst gemerkt", verteidigte Igraine, die älteste, ihre kleine Schwester.
„Und dann auch noch die Schleimratte von Orkanien. Wie konntest du so dumm sein?"
„Morgause!", ermahnte Igraine noch einmal lauter, doch Morgan war bereits aufgesprungen und lief davon in das Zimmer, das sie sich zum Schlafen ausgesucht hatte.
„Morgan?"
„Lass mich, Igraine."
„Hey, so nicht, Madame." Igraine stand in der Tür und guckte ihre Schwester mahnend an.
„Entschuldigung, ich bin nicht in Stimmung", gab die Jüngere kleinlaut von sich.
„Ich möchte dir eine Geschichte erzählen." Igraine ließ sich neben Morgan auf dem kalten Boden nieder und klopfte sich auf die Knie. „Vor langer Zeit lebte Mundana von Tintagel hier auf der Burg, wo wir jetzt leben. Sie wollte die Pendragons vom Thron stürzen."
Genervt stöhnte Morgan auf und unterbrach die Erzählung. Nicht schon wieder, dachte sie und verdrehte die Augen.
„Jetzt warte! Also, sie wollte die Pendragons vom Thron stürzen, indem sie in die Familie einheiratet und ihren Gatten bei Gelegenheit vergiftet. Sie besuchte Camelot in ihren schönsten Gewändern und wollte den Prinzen so um den Finger wickeln. Doch so sehr sie es auch versuchte, der Prinz wies sie immer wieder zurück. Eines Abends, als sie schon aufgeben wollte, erschien ihr eine alte Hexe. Sie hegte auch einen Groll auf die Pendragons und so schlossen sie sich zusammen. Die Hexe überreichte Mundana eine Rezeptur für einen starken Liebestrank, der sie für den Prinzen unwiderstehlich machen würde. Die Hauptzutat: die wilde Rose der Liebe. Der Weg, an sie ranzukommen, ist beschwerlich und gar gefährlich, doch sie schaffte es. Sie braute den Trank und heiratete den Prinzen."
„Du lügst doch. Warum sind die Pendragons dann immer noch an der Macht?", unterbrach sie Morgan missmutig.
„Naja, nach der Hochzeit tötete sie den König, dass ihr Gemahl Herrscher werden konnte. Leider flog ihre Intrige auf und sie wurde gehängt, bevor sie ihren Ehemann töten konnte, um an die Macht zu kommen."
„Oh", bemerkte Morgan nur trocken. Wie sollte ihr das jetzt weiterhelfen?
„Hier, das Rezept."
Mit großen Augen blickte Morgan die Pergamentrolle und dann ihre große Schwester an, die sie ihr auffordernd hinstreckte.
„Das ist doch Quatsch. Warum sollten unsere Vorfahren dieses Rezept nicht öfter benutzt haben?"
„Naja, es wurde des Öfteren versucht, doch alle scheiterten an einer Zutat. Unsere Uhrgroßtante zum Beispiel, sie kam nie wieder von der Suche nach der Rose zurück. Außerdem konnten sie alle nicht zaubern."
„Das heißt ja ... war Mundana auch eine Zauberin, genau wie ich?"
„Keine Ahnung, denke schon, wenn sie es geschafft hat. Irgendwoher musst du es ja haben."
Morgan überlegte nur kurz, bis sie sich die Pergamentrolle schnappte und genauer betrachtete. Das Rezept trug ein Rosensiegel. Sie fuhr sachte mit den Fingern drüber und fühlte das alte Wachs.
Welch Ironie, dachte sie, ein ähnliches Siegel hatte sie für ihre Briefe an Gawain verwendet.
„Wieso hilfst du mir? Du kannst die Tafelrunde und somit Gawain doch gar nicht leiden", bemerkte Morgan und beäugte Igraine skeptisch.
„Ach, Schwesterchen. Es geht mir nicht um diesen erbärmlichen Knappen. Es geht mir um dich. Ich kann es nicht ausstehen, dich so zu sehen. Tintagels sind stolz, wir bekommen, was wir wollen und wenn er der Junge ist, den du willst, sollst du ihn haben", erklärte die älteste Tintagel-Schwester entschlossen.
„Danke, Igraine!" Überschwänglich warf sich Morgan ihrer Schwester um den Hals, die überrascht auf sie hinabsah.
Doch dann lächelte die sonst so gefühlslose Igraine und tätschelte ihrer kleinen Schwester den Rücken.
„Schon gut, Morgan. Lass mich los. Was ist dein Plan?"
Die Tage vergingen und die Stimmung Camelot hatte ihren Tiefpunkt erreicht. Arthur und Gawain wechselten kein Wort mehr miteinander. Guinivere hielt, als seine Freundin, zu Arthur. Sagramor hingegen fand den Rausschmiss seines besten Freundes aus der Tafelrunde unfair und ließ es Arthur auch spüren. Er war der Meinung, dass Arthur zu schnell gehandelt hatte unter der Tatsache, dass die Umstände noch gar nicht klar waren. Außerdem war die Tafelrunde eine Gemeinschaft und Arthur hatte, Sagramors Meinung nach, nicht das Recht, so etwas allein zu entscheiden.
Tristan war verloren zwischen den Fronten. Er wusste nicht, was passiert war und verstand nicht, warum nicht miteinander geredet wurde. Vertrauten sich seine Freunde nicht mehr?
Diese Zerrissenheit der Freunde war auch in diesem Training wieder gut zu spüren.
„Tristan, Gawain, lasst sehen, was ihr gelernt habt", wurde Tristan von Ulfin aus seiner negativen Gedankenspirale gerissen. Na toll, dachte er, jetzt werde ich wieder kläglich verlieren.
Angespannt stand er Gawain gegenüber, bis Ulfin schließlich das Startsignal gab.
Verwirrt sah er seinen Gegenüber an, der nicht wie üblich zum Angriff überging und ihn mit wenigen Hieben besiegte. Also war er es, der angriff.
Schon nach einem kurzen Schlagaustausch wich Gawain zurück. Jetzt hatte Tristan ihn. Mit neugewonnenem Selbstbewusstsein setzte der blonde Knappe erneut an. Oben, rechts, links. Flink attackierte er Gawain aus allen Richtungen. Der große Knappe hingegen wich immer weiter zurück.
Dieses Mal war er überlegen. Optimistisch setzte er zu seinem, hoffentlich, finalen Hieb an. Er schlug von der Seite auf das Schwert seines Gegners ein und versetzte seines in eine geschickte Drehbewegung.
Die Rotation ging auf das Schwert seines Kameraden über. So entwaffnete man Gegner, das wussten alle Knappen und so war es auch jetzt. Mit lautem Klirren landete Gawains Schwert im Staub. Doch nicht nur das Schwert, auch Gawain selbst verlor die Balance und fiel zu Boden.
Triumphierend und in leichtem Unglauben stand Tristan über seinem Kameraden und ließ sich von seinen Freunden feiern.
Doch die Freude hielt nicht lange an.
„Gawain, geht es dir gut?" Besorgt hockte er sich zu seinem Freund, der mit gesenktem Blick auf dem Boden saß.
„Ach, komm schon. Jeder verliert mal, sogar du, Gawain", rief Arthur voller Schadenfreude zu ihnen hinüber.
Doch Tristan erkannte, dass es nicht der verlorene Kampf war. „Du bist ja ganz blass", bemerkte er. Er wusste es, er hatte viel zu einfach gewonnen. Gawain war nicht unbesiegbar, aber so? Der große Knappe hatte diesen Kampf nicht mal ansatzweise mit seiner üblichen Kraft bestritten.
Auch Ulfin und Sagramor hatten bemerkt, dass etwas nicht stimmte und kamen herübergelaufen.
„Gawain, steh auf!", befahl der Waffenmeister barsch, um seine Besorgnis zu überspielen.
Tristan und Sagramor unterstützten ihren Freund dabei.
„Ist es wieder dein Knie?", fragte Sagramor sorgenvoll.
Gawain zeigte endlich eine Reaktion. Den betrübten Blick immer noch zu Boden gerichtet nickte er.
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Wilde Rose
FanficRitter werden! Das ist Gawains Ziel, welchem er, zusammen mit seinen Freunden, in der Ritterschule auf Camelot immer näher kommt. Zusammen mit Sagramor, Tristan, Arthur und Guinivere bildet er die Tafelrunde, die vor bald drei Jahren von ihnen gegrü...