Wilde Rose- Kapitel 43

21 2 0
                                    

Der Regen peitschte Gawain ins Gesicht, als er im gestreckten Galopp den Waldweg entlang preschte. Krauka hatte eine neue Energie gepackt. Unerbittlich kämpfte sie gegen den Wind an, als es in der Ferne bereits anfing zu donnern.

An einer Weggabelung kamen die beiden schließlich zum Stehen. Vergeblich suchte Gawain nach Fußspuren oder irgendwelchen anderen Hinweisen, dass Morgan hiergewesen war, doch der Regen hatte alles weggeschwemmt.

Was sollte er nur tun? Ihm stand die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Aufgeben? Nein, nicht er.

„Komm, Krauka. Links lang", rief er seiner Stute zu und trieb sie an, doch das Pferd gehorchte ihm nicht.

„Komm schon!" Energisch presste er seine Hacken in den Pferdebauch und fasste die Zügel nach, um den Rappen unter Kontrolle zu bringen, doch Krauka tänzelte nur auf der Stelle.

„Du Esel, warum ausgerechnet jetzt?", schrie er empört, woraufhin sich Krauka aufbäumte.

Schockiert krallte er sich an der Mähne fest, als sie lospreschte und in den rechten Weg einbog. Er wollte sie noch bremsen. Zog dem armen Tier im Maul herum, doch es schien, als würde sie die Zügel und das Gebiss gar nicht mehr wahrnehmen.

Wild peitschten ihm nasse Äste ins Gesicht, die über den Weg ragten. Also ließ er resigniert die Zügel locker und beugte sich nach vorne, um sich hinter dem Pferdehals vor den Ästen verstecken zu können, als Krauka vom Weg in den Wald einbog und querfeldein die Bäume umrundete.

Gawain ließ sich einfach tragen. Weiß Gott, wohin, doch es war ihm egal. Er verspürte plötzlich ein tiefes Vertrauen in seinen vierbeinigen Gefährten. Er war sich sicher, sie würde ihn zu Morgan bringen.

Nach einer Weile blieb Krauka stehen. Gawain sah vorsichtig auf. Sie waren auf einerLichtung im tiefen Wald von Taol Kren. Er konnte nichts Auffälliges entdecken, bis auf eine Höhle am anderen Ende der Lichtung.

Er beschloss abzusteigen, um nach Morgan zu suchen, als er kurz erschrak. Wie von Zauberhand war sein Schild auf sein Rücken geschnallt, sowie sein Schwert sicher in der Schwertscheide an seinem Gürtel verwahrt.

„Morgan?", schrie er in die stürmische Nacht hinaus, doch er hörte nur das Pfeifen des Windes als Antwort.

Da vernahm er ein Knacken im Gebüsch. Instinktiv griff er nach seinem Schwert, bereit es zu ziehen. „Morgan, bist du das?"

Schon wieder nichts. Gawain schluckte hart. Ja, er hatte Angst. Einen Moment lang dachte er darüber nach, einfach wieder aufzusitzen und zurück nach Camelot zu reiten. Doch das war nicht seine Art. Er war kein Feigling.

Wenn er eines von seinem Vater gelernt hatte, dann seine Gefühle und vor allem seine Angst zu unterdrücken.

„Wer Angst hat, verliert. Das ist meine Devise", murmelte er zu sich selbst und holte tief Luft.

Vorsichtig und mit hämmerndem Herzen ging Gawain auf die Lichtung hinaus.

Da, ein Schatten. Es war etwas Großes. Das Wesen stand im Schutz der Bäume und schien ihn zu beobachten. Ein Troll? Ein Lindwurm? Nein, es waren die Umrisse eines ... Pferdes?

Momentmal, das kannte er doch. Ungläubig dachte Gawain an die Träume, die ihn geplagt hatten.

Plötzlich wurde die Lichtung für einen kurzen Moment hell erleuchtet und ein lauter Knall durchfuhr den ganzen Wald. Erschrocken ergriff Krauka die Flucht, während Gawain sich duckte und seine Arme schützend über seinen Kopf hielt, in der Angst, von herumfliegenden Baumsplittern getroffen zu werden.

Ein Blitz hatte direkt neben dem Wesen in einen Baum eingeschlagen und diesen zum Explodieren gebracht.

Als Gawain die Augen wieder öffnete, sah er es. Das Pferdewesen aus seinen Träumen mit den sechs Spinnenbeinen und dem scharfen Schwanz eines Skorpions . Sein Körper erschien länglich und war geschuppt. Durch sein offenes, übergroßes Maul blitzten scharfe, spitze Zähne hervor. Gierig streckte es seine gespaltene Zunge heraus und schien Gawain anzugrinsen.

Gawain sah es nur mit großen Augen an, als das Vieh einen grellen Aufschrei, ähnlich einem verzerrten Pferdewiehern, von sich gab, ehe es in den Angriff überging.

Endlich erwachte der Knappe aus seiner Schockstarre. Er zog sein Schwert und festigte seinen Stand, entschlossen, sich diesem Biest zu stellen.

Wenn das sein Schicksal war ... so sei es!

Beide Kontrahänden kämpften erbittert. Es war ein Kampf auf Leben und Tod, das war Gawain schnell klar geworden. Der Knappe wich den Angriffen des Wesens gekonnt aus, welches nach ihm schnappte, trat oder mit dem Schwanz nach ihm schlug.

Gawain wollte es verletzten. So schwer wie möglich, um es so zu schwächen. Der Ritterschüler wusste, dass er anders keine Chance hatte.

Er rollte sich gerade ab, nachdem er dem Schwanz ausgewichen war und beobachtete das Tier genau, als es sich zu ihm umdrehte und dabei geschickt alle zehn Beine benutzte.

Er hatte eine Idee. Mit lautem Kampfgeschrei rannte er auf es zu. Er umrundete es um hundertachtzig Grad, um es zu verwirren, schmiss sich auf dem Boden und schlitterte durch den Matsch direkt auf es zu.

Mit erhobenem Schwert glitt er unter dem Tier hindurch und schlug ihm mit großerWucht eines seiner Spinnenbeine ab.

Schrill schrie es auf und wand sich vor Schmerz. Schnell versuchte es seine Beine neu zu sortieren, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten.

Triumphierend sah Gawain ihm dabei zu, er hatte es geschwächt. Doch es schien sich schnell zu erholen. Schwer atmend und ächzend wandte es sich Gawain wieder zu und fauchte ihn an. Er hatte es nur noch aggressiver gemacht.

Das Lächeln fiel Gawain förmlich aus dem Gesicht. Ja, jetzt war die Flucht doch eine gute Idee. In diesem Moment war er heilfroh, das Schlachtfeld im Vorfeld inspiziert und die Höhle entdeckt zu haben.

Er rannte so schnell ihn seine Beine tragen konnten. Das Trappeln der, jetzt nur noch neun, Beine hinter sich.

Mit einem Hechtsprung rettete er sich in die Höhle, deren Eingang gerade groß genug für ihn war. Gerade noch rechtzeitig, um den scharfen Zähnen des Biests zu entkommen.

Schwer atmend krabbelte er noch einige Meter in die magisch erleuchtete Höhle und blieb dann an die Wand gelehnt sitzen.

Nach Atem ringend hielt er sich die Brust, das Schwert immer noch in der Hand, als er Schritte vernahm.

„Gawain?"

„Morgan!"

Wilde RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt