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Jonas hatte das Lager noch nicht lange verlassen, als Aaron nach Dimitri rief.
„Bring bitte Rebecca, Taro, Yunus und seine Tochter in das Nachbarzelt. Danach bring mir Ingvar zum Verhör her."
Überrascht hob Dimitri den Blick. „Ich dachte, du hättest sie alle schlafen geschickt?"
Aaron nickte schmunzelnd. „Das war eigentlich der Plan, ja. Aber Ingvar hatte sofort erkannt, dass etwas mit dem Wein nicht stimmen konnte und ihn nicht getrunken.
Nachdem ich ihm gesagt habe, was in dem Wein ist, hätte er ihn zwar dennoch bereitwillig getrunken, ich habe aber darauf verzichtet. Er scheint mir recht vernünftig zu sein.
Ich weiß zwar noch nicht genau, warum Vindur meinte, Ingvar könnte unter Umständen Probleme machen, habe aber inzwischen eine Vermutung. Dennoch denke ich nicht, dass er wirklich gefährlich ist."
Dimitri nickte und wandte sich an die Sklaven. „Kommt mit..."
Als Yunus sich mehr als nur etwas steif erhob, schüttelte er leicht den Kopf. „Lass mich deine Tochter nehmen..."
Für einen kurzen Moment drückte dieser seine Tochter fester an sich, reichte sie dann aber an Dimitri.
Aaron musterte Yunus nachdenklich. „Du hast wieder Schmerzen." stellte er fest.
Nur kurz zögerte Yunus, nickte dann aber. „Ja, Herr." gab er zu.
„Dimitri wird dir noch einmal Noxanum gegen deine Schmerzen geben." Sein Blick wanderte zu Dimitri. „Ich denke, ein ganzer Becher wäre sinnvoll..."
Nachdenklich lag Aarons Blick auf Yunus.
„Diese Menge wird dir sehr effektiv die Schmerzen nehmen. Allerdings wirst du dadurch bis morgen schlafen." erklärte er ihm.
Sofort wurde Yunus blass und suchte mit dem Blick nach seiner Tochter.
Aaron lächelte milde. „Rebecca wird sich in der Zeit um deine Tochter kümmern."
Yunus nickte zögernd, wagte aber nicht zu widersprechen.
Wenige Minuten später führte Dimitri den gefesselten Ingvar in Aarons Zelt.
Respektvoll sank dieser vor Aaron auf die Knie.
Aaron nickte ihm zu. „Du kannst aufstehen."
Er wartete, bis Ingvar vor ihm stand.
„Kann ich dir die Fesseln abnehmen lassen oder wirst du dann Probleme machen?"
Trotz der Fesselung schaffte es Ingvar, sich zu straffen.
„Ich werde Euch keine Schwierigkeiten machen, Hoheit."
„Gut...Dimitri: Nimm ihm die Fesseln ab."
Sofort trat der Gardehauptmann hinter den Gefangenen und löste die Fesseln, blieb aber ein Stück hinter dem Mann stehen.
Erleichtert rieb Ingvar sich die schmerzenden, geröteten Handgelenke.
„Setz dich..."
Aaron wies auf den Hocker den Finya zuvor bereits bereitgestellt hatte.
Ingvar neigte dankend den Kopf und nahm Platz.

Als Jonas und Levin nur noch etwa 50 Meter von den entflohenen Sklaven entfernt waren, blickte der Älteste von ihnen auf und bemerkte die beiden Vampire.
Jegliche Farbe schien aus seinem Gesicht zu weichen. Zitternd vor Angst und gleichzeitig starr vor Schreck blickte er den beiden Vampiren entgegen.
Sofort blieb Jonas stehen und legte Levin die Hand auf den Arm, damit dieser ebenfalls stehen blieb.
Aufmerksam ließ Jonas den Blick über die kleine Gruppe gleiten.
Das Kind lag am Boden und schien zu schlafen, während sich offensichtlich die Eltern über den Knaben beugten.
Jonas runzelte die Stirn. Der Junge schien viel zu blass und auf seiner Stirn standen Schweißperlen.
Alle blickten den Vampiren wie erstarrt entgegen.
Jonas seufzte. „Werdet ihr freiwillig mit zurück kehren?"
Als ob er damit ein Signal gesendet hätte, sprangen die vier Erwachsenen auf. Der Vater packte seinen Jungen und im nächsten Augenblick rannten alle in unterschiedliche Richtungen los.
Erneut seufzte Jonas und reichte Levin ein Seil.
„Kümmer du dich um die Frau...Wenn sie sieht, dass ich ihr Kind habe, sollte sie dir keine Probleme machen."
Bereits wenige Augenblicke später hatte Jonas den Vater mit seinem Kind eingeholt und hielt ihn ruhig am Arm fest.
Der Mann presste das Kind an seine Brust und sah Jonas flehentlich an.
„Bitte, Herr...Gnade...lasst uns ziehen..."
Jonas schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht." wandte er sich ruhig, aber bestimmt an den Mann.
„Lass dein Kind runter und ich verspreche dir, dass weder ihm noch dir etwas geschehen wird."
Einen Moment lang presste der Mann das Kind noch fester an sich, bis dieses sogar schon leise wimmerte, dann legte er den Jungen behutsam auf den Boden und ließ es zu, dass Jonas ihm die Hände fesselte.
„Setz dich..." forderte Jonas den Mann auf und strich dem Kind kurz über die Stirn.
Besorgt blickte er daraufhin zu dem Vater. „Dein Kind ist krank. Es hat Fieber..."
Betrübt nickte der Mann. „Deshalb sind wir doch geflohen..." erwiderte er leise.
Jonas stand wieder auf und blickte den Mann entsetzt an bevor er ihm ruhig die Hand auf die Schulter legte.
„Wir werden uns um deinen Jungen kümmern."
Dann hob er den Blick und sah zu Levin, der gerade mit der Mutter auf ihn zu kam.
Auch ihr waren die Hände auf dem Rücken gefesselt. Jonas trat hinter sie, überprüfte die Fesseln und schüttelte den Kopf. „...viel zu fest, Levin..." erklärte er und lockerte das Seil etwas.
Überrascht hob die Frau den Kopf.
„Setz dich zu deinem Mann und deinem Kind." forderte Jonas sie auf.
„Levin...du wirst auf die beiden aufpassen. Ich hole die Anderen beiden..."
Jonas hob den Blick. In der Ferne konnte er den Bruder des Mannes laufen sehen und rannte ihm nach. Besorgt erhöhte er sein Tempo, als er erkannte, dass der Mann direkt auf eine Schlucht zu rannte.
„Bleib stehen. Du kommst hier nicht weiter..." forderte er den Mann auf.
Dieser blieb auch wirklich stehen, drehte sich jedoch um und zog dabei einen silbernen Dolch aus seinem Gürtel.
Zitternd hielt er den Dolch Jonas entgegen. „Kommt nicht näher..."
Jonas blieb wenige Meter vor dem Mann stehen und hob leicht die Hände.
„Komm mit zurück. Du hast nichts schlimmes zu befürchten." Der Mann schüttelte panisch den Kopf.
Jonas seufzte und machte einen langsamen Schritt auf den Mann zu. „Ich möchte dir nicht wehtun müssen..."
Panisch wich der Mann zurück.
Jonas fluchte. Mit wenigen Schritten war er bei dem Mann, packte ihn am Arm und riss ihn vom Abgrund weg - gerade noch rechtzeitig, bevor dessen Fuß den Halt verloren hätte.
Mit einer raschen Bewegung entwendete er ihm das Messer und steckte es in seinen Gürtel.
„Komm weg vom Abgrund..."
Zitternd und bleich ließ der Sklave es zu, dass Jonas ihn ein Stück wegführte und ihn schließlich fesselte.
Wenig später standen sie bereits neben den Anderen. „Setz dich zu ihnen..." forderte Jonas ihn ruhig auf und nickte Levin zu.
„Fehlt nur noch einer..."
Erneut blickte Jonas sich um und lief dann los. Der letzte Mann war schon recht weit gekommen und hatte inzwischen ein kleines Wäldchen erreicht.
Panisch stolperte der Sklave durch das Unterholz.  Als Jonas das Wäldchen erreichte, drosselte er sein Tempo.
„Bleib stehen..." gab er auch diesem Mann die Chance, sich freiwillig zu ergeben.
Doch anstatt stehen zu bleiben geriet der Mann in Panik und erhöhte sein Tempo sogar noch.
Jonas seufzte und ging dem Mann ruhig hinterher.
Plötzlich strauchelte der Sklave, als sich sein Fuß in einer Ranke am Boden verfing. Im nächsten Augenblick schrie er bereits auf vor Schmerz und rollte sich auf den Rücken.
Während er mit der einen Hand das andere Handgelenk umklammert hielt, versuchte er panisch seinen Fuß aus der Ranke zu befreien.
Entsetzt sah er Jonas entgegen, der ruhig auf ihn zukam und sich neben ihn kniete.
„Das hättest du dir wirklich ersparen können..." wandte er sich freundlich an den zitternden Mann und löste die Ranke von seinem Fuß.
„Steh auf..." Fast schon sanft griff er ihn am Arm und wollte ihn nach oben ziehen, doch erneut schrie der Mann auf vor Schmerz. „Bitte...bringt es einfach hier und jetzt zu Ende..." flehte er mit zusammen gebissenen Zähnen.
Überrascht hob Jonas die Augenbraue. „Was soll ich zu Ende bringen?"
„Bitte quält mich nicht, Herr...ich weiß, dass ich zur Strafe für meine Flucht sterben werde..."
Schockiert über diese Aussage schüttelte Jonas den Kopf.
„Mein Auftrag lautet, euch fünf zurück zu bringen. Mehr nicht. König Aaron wird vermutlich ohnehin verstimmt sein, dass ich dich nicht unverletzt zurück bringe...Keiner von euch wird sterben..."
Noch immer schüttelte der Mann den Kopf, konnte und wollte Jonas nicht glauben.
Behutsam berührte Jonas ihn am Arm. „Wie heißt du?"
„Harun, Herr."
„In Ordnung...Harun...zeig mir bitte deine Hand..."
Zögernd lockerte Harun seinen Griff und Jonas betrachtete das Handgelenk, das bereits jetzt dick geschwollen und verfärbt war.
„...das muss behandelt werden, Harun."
Suchend sah Jonas sich um und riss dann ein Stück Rinde von einem Baum. Für einen kurzen Moment schien Jonas zu überlegen, dann griff er an seine Schulter und riss mit einem Ruck erst den einen, dann den anderen Ärmel von seinem Hemd.
„Leg deine Hand hier hinein..." forderte er den Mann auf und hielt ihm das Rindenstück hin."
Kaum, dass Harun seine Hand in die provisorische Schiene gelegt hatte, band Jonas sie behutsam mit den Hemdsärmeln fest. Dann griff er nach einem Seil, band es zu einer Schlinge und legte diese um Haruns Schulter. Vorsichtig legte er den Arm des Mannes in die Schlaufe. „...mehr kann ich für den Moment nicht für dich tun..."
Verwirrt blickte Harun zu Jonas. „Warum tut Ihr das, Herr?"
Jonas seufzte. „Weil du verletzt bist...und jetzt komm..."
Er half Harun aufzustehen, griff an seinen gesunden Arm und führte ihn zu den Anderen.
„Setz dich..." forderte er ihn auf „...und du, Levin, hol die Pferde."
Prüfend musterte Jonas den Verletzten.
„Wirst du bei mir bleiben oder muss ich dich binden?"
Harun schluckte. „Ich käme doch ohnehin nicht weit..." Er zögerte. „Ich werde bei meiner Familie bleiben..."
Jonas schmunzelte. „Das ist zwar nicht das, was ich hören wollte, aber für den Moment reicht mir dieses Wort."

Finya 4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt