Ingvar kniete am Boden, vor sich ein kleiner Haufen an Weidenranken.
In der Hand hielt er eine dünne, stabile Schnur, mit der er die zusammen gebogenen Weidenranken aneinander festband. Bereits jetzt konnte man erkennen, was das werden sollte, denn bereits jetzt hatte es starke Ähnlichkeit, mit einem Weidenball.
Neugierig und aufgeregt hatten sich die Kinder wieder um ihn gescharrt.
Als Finya jedoch auf ihn zutrat, hob er fragend den Kopf.
„...mein Herr möchte Euch sprechen, Ingvar..."
Für einen kurzen Moment zögerte Ingvar, blickte zwischen Finya, dem fast fertigen Ball und den Kindern hin und her.
Schließlich seufzte er. „Es tut mir Leid...wir müssen das auf später verschieben...König Aaron möchte mich sprechen und ich darf ihn nicht warten lassen." wandte er sich an die Kinder.
Gehorsam nickten die Kinder, auch wenn man einigen die Enttäuschung ansehen konnte.
Nun trat auch Jonas neben Finya.
„Wenn ihr wollt, baue ich den Ball fertig." bot er an.
Dankbar hob Ingvar den Kopf und nickte Jonas zu. „Das wäre sehr freundlich. Ich hatte es den Kindern versprochen, aber ich weiß nicht ob..." Ingvar atmete tief durch. „Ich denke nicht, dass ich nach dem Gespräch mit König Aaron noch hier weiter machen kann..." fuhr er mit einem Seufzen fort. „Ich...kann mir schon denken, worum es geht."
Langsam stand er auf und Jonas nickte den Kindern freundlich zu. „Bald könnt ihr damit spielen. Versprochen."Sichtlich niedergeschlagen begleitete Ingvar Finya zu Aarons Zelt.
Sie waren noch nicht weit gekommen, als Ingvar auf einmal inne hielt und sich umsah. Von seiner Niedergeschlagenheit war schlagartig nichts mehr zu merken. Vielmehr wirkte er wachsam und aufmerksam.
„Finya...lauf zu deinem Herren." forderte er sie leise und angespannt auf. „Los...jetzt..."
Überrascht sah Finya den Mann an. Als sie den Ernst in seinen Augen sah, vertraute sie jedoch ihrem Instinkt, nickte und lief zügig auf das Zelt ihres Herren zu.
Im nächsten Moment wurde sie jedoch schon von einem anderen Vampir zu Boden gerissen.
Nur ihrem Training mit der Garde verdankte sie es, dass sie sich dabei nicht verletzte, sondern lediglich hart auf dem Boden aufkam. Etwas schweres schien auf ihrem Rücken zu liegen.
Im gleichen Moment spürte sie bereits kaltes Metall an ihrem Hals.
Finya schluckte und verharrte regungslos.
„...Rühr dich n..." raunte eine kalte, Stimme in ihr Ohr, wurde aber abrupt unterbrochen.
Schlagartig löste sich erst die Klinge von ihrem Hals, dann das Gewicht von ihrem Rücken.
Gleichzeitig hörte sie wütendes Fauchen und Knurren.
Finya zögerte nicht lange sondern rollte sich erst ein Stück zur Seite und sprang dann auf.
„Jonas, Gregori...." rief sie nur kurz und rannte dann auf das Zelt ihres Herren zu.
Durch den Tumult alarmiert war Aaron bereits aus dem Zelt getreten, rannte auf Finya zu und zog sie schützend hinter sich.
Erst jetzt konnte Finya sehen, welcher Anblick sich den anderen bot.
Ein fremder Vampir lag fauchend und knurrend auf dem Boden. Über ihm kniete Ingvar.
Er hatte dem Vampir den Dolch entwunden. Während er mit der einen Hand die Hände des Angreifers fixierte, hielt er mit der anderen den Dolch an die Kehle des sich heftig wehrenden Mannes.
Gleichzeitig mit Aaron und durch Finyas Ruf alarmiert hatte sich auch die gesamte Garde versammelt.
Der fremde Vampir knurrte und blickte zu Aaron.
„Helft mir...Ingvar wollte Eure Sklavin angreifen um sie als Druckmittel zu nutzen. Ich konnte den Angriff gerade noch so vereiteln und Eurer Sklavin die Flucht ermöglichen. Und jetzt will er es so darstellen, als ob ICH der Angreifer wäre."
Nun knurrte auch Ingvar. Dann riss er sich jedoch zusammen und blickte zu Aaron.
„Soll ich den Mann loslassen, Hoheit?"
Prüfend blickte Aaron auf die beiden Männer. Als Finya ihn sacht an der Schulter berührte, sah er zu ihr. „Der Stimme nach war es nicht Ingvar, Herr..." erklärte sie leise.
Aaron nickte. „Eine Stimme lässt sich allerdings verstellen..."
Erneut sah er zu den beiden Männern und gab seiner Garde dann ein Zeichen.
„Fesselt vorerst beide."
Sofort versuchte der am Boden Liegende Vampir wieder, sich zu befreien. Schnell traten Gregori und Dimitri hinzu und hielten ihn fest. „Du kannst ihn loslassen, Ingvar..."
Sofort löste sich Ingvar, trat einige Schritte weg und ließ sich bereitwillig von Eric Silberfesseln anlegen.
Als der Mann das sah, stoppte er sofort seine Gegenwehr, knurrte jedoch.
„Er will Euch nur täuschen, Hoheit. Nur deshalb ist er kooperativ..."
Ohne weitere Gegenwehr ließ er sich auf die Füße ziehen und legte mit einem leichten Grinsen die Hände auf den Rücken. Sofort legte Dimitri auch ihm Silberfesseln an.
„Fesselt sie getrennt voneinander an Bäume und bewacht sie. Ich kümmere mich später um die Beiden.
Beide Männer gingen gehorsam mit. Doch während Ingvar eher niedergeschlagen wirkte, konnte der andere Vampir sein Grinsen nur schwer unterdrücken und wirkte schon fast triumphierend.
Wortlos drehte Aaron sich um und schob Finya vor sich her in sein Zelt.
Schweigend nahm er auf seinem Stuhl Platz und wies auf den Hocker. „Setz dich, Finya..."
Nur mühsam schien er sich zu beherrschen. Schon wieder hatte jemand Finya angegriffen. Am liebsten würde er jetzt sofort losstürmen und sowohl Ingvar als auch dem anderen Vampir die Kehle heraus reißen.
Schweigend setzte Finya sich hin und sah ihren Herren an.
„...Aaron...es geht mir gut. Es ist nichts geschehen. Dank Ingvar.."
Aaron knurrte leicht.
„Das kannst du nicht wissen. Er könnte seine Stimme verstellt haben."
Aufgebracht ballte Aaron die Fäuste, als Finya den Kopf schüttelte.
„Er hat sich bereitwillig Fesseln anlegen lassen. Der Andere erst, als er das gesehen hat. Habt Ihr nicht auch das Grinsen bei dem zweiten Vampir gesehen?"
Aaron stutzte, atmete dann tief durch und schien sich zu entspannen. Schließlich lächelte er sogar.
„Danke Finya...Mal wieder hast du es geschafft, mich zu entspannen. Vor lauter Wut habe ich das Wesentliche übersehen. Ja...natürlich ist es mir aufgefallen, aber in meinem Zorn habe ich dem keine Beachtung geschenkt."
Finya schmunzelte.
„Aber jetzt erzähl erst einmal, was geschehen ist..."„Ich habe Ingvar am Rand des Lagers gefunden. Umringt von einer Gruppe von Kindern. Er war gerade damit beschäftigt, den Kindern einen Ball aus Weidenranken zu bauen."
Überrascht hob Aaron den Kopf.
„Er hat was getan?"
„Einen Ball für die Kinder gebastelt..."
Amüsiert schüttelte Aaron den Kopf. „...und die Kinder hatten keine Angst vor ihm?"
Finya schüttelte den Kopf. „Ich hatte zumindest nicht das Gefühl, dass dem so wäre. Erst als ich in Begleitung von Jonas aufgetaucht bin, haben einige Angst vor Jonas bekommen.
Auf jeden Fall waren die Kinder recht enttäuscht, dass Ingvar den Ball nicht fertig stellen konnte. Deshalb hat Jonas angeboten, diese Aufgabe zu übernehmen."
Aaron brummte unwillig. „Ich hätte nie die Anweisung geben sollen, dich alleine im Lager umherlaufen zu lassen..."
„Auf jeden Fall habe ich mich auf den Weg zu Eurem Zelt gemacht und Ingvar ist mir gefolgt. Dann hat mich plötzlich jemand umgerannt und mir ein Messer an die Kehle gehalten.
Nein ..." unterbrach Finya sich selbst. „Bevor ich angegriffen wurde, ist Ingvar auf einmal seltsam geworden."
„Was meinst du mit seltsam?"
„So wie Jonas, wenn er etwas spürt. Und dann hat Ingvar mich aufgefordert, zu Euch zu laufen. Aber im nächsten Moment fand schon der Angriff statt.
Ich vermute es war Ingvar, der den anderen Vampir von mir runtergezogen hat...Und den Rest wisst Ihr..."
Nachdenklich blickte Aaron vor sich hin, bevor er ruckartig aufblickte. „Andrej...bring mir Ingvar."
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Finya 4
VampireDer Urlaub auf der Insel von Aarons Vater ist zu Ende. Zeit, die Heimreise anzutreten. Doch noch immer ist Aaron und Finya keine Ruhe vergönnt. Ein neuer Widersacher tritt auf, der seine Handlungen nicht mehr nur gegen Finya richtet.