Bereits früh am nächsten Morgen wurde Leon wieder im Lager an den Baum gebunden. Und auch dieses Mal ließ er dies ohne Gegenwehr über sich ergehen. Statt dessen beobachtete er aufmerksam und fast schon fasziniert die Sklaven bei der Verrichtung ihrer täglichen Aufgaben.
Im Laufe des Vormittags schließlich kam Ivar zu Aaron und Kari.
„Skyldar und seine Wache sind jetzt aufgewacht und klar genug für ein Verhör." meldete er.
Sowohl Aaron, als auch Kari seufzten. „Dann wird es jetzt Zeit für die hoffentlich zwei letzten Verhöre."
Aarons Blick wanderte zu Finya und Juna. „Ihr beiden bleibt bitte hier im Zelt, bis wir zurück sind. Und du, Ivar, bleibst bitte bei ihnen."
Gemeinsam gingen Aaron und Kari durch das Lager. In den letzten Tagen war dort sichtlich Ruhe eingekehrt. Selbst die Sklaven hatten ihre größte Angst inzwischen abgelegt und erledigten die notwendigen Aufgaben. Lediglich beim Anblick Karis wurden viele von ihnen nervös und versuchten, sich klein zu machen und unauffällig zu verhalten.
Doch ebenso wie Aaron, verhielt sich auch der Jarl den Sklaven gegenüber freundlich.
Schließlich betraten die beiden das Zelt, wo sie bereits von zwei sichtlich wütenden Vampiren empfangen wurden.
Hinter jedem der Männer standen zwei von Aarons Gardewachen, bereit, jederzeit einzugreifen, sollte es nötig sein.
Allerdings schienen Skyldar und seine Wache trotz ihrer Gegenwehr sichtlich geschwächt.
Das hielt sie jedoch nicht davon ab, die beiden Herrscher mit wüsten Beschimpfungen zu betiteln.
Schließlich verlor Kari die Geduld. „Schweigt ..." donnerte er so laut, dass es durch das ganze Lager zu hören war.
Erschrocken zog die Wache den Kopf ein. „Gut." konstatierte Kari. „Jetzt, wo ich deine Aufmerksamkeit habe, können wir mit dem Verhör starten."
Sofort blitzten die Augen des Mannes wütend auf. „Ich habe dir nichts zu sagen."
Missbilligend zog Kari eine Augenbraue nach oben, während Eric dem Mann eine Kopfnuss verpasste. „...etwas mehr Respekt gegenüber deinem Herrscher."
Knurrend fuhr der Mann herum. „Dieser Kerl ist nicht mein Herrscher. Mein Herrscher war Imperator Aegir, den dieser Mann kaltblütig ermordet hat."
„Es war ein Ehrenduell auf Leben und Tod." ergriff Aaron trocken und fast schon gelangweilt das Wort. Zu oft hatte er seit dem besagten Duell dieses Argument gehört.
„Ehrenduell..." der Mann spuckte vor Aaron und Kari auf den Boden.
Kari schüttelte nur leicht den Kopf. „Du hast genau zwei Möglichkeiten." erklärte er dann.
„Möglichkeit eins: Du antwortest auf meine Fragen und ich werde mein Urteil von deinen eigenen Antworten abhängig machen.
Solltest du das nicht wollen... Ich habe bereits genug gehört, dass ich nicht darauf angewiesen bin, dich zu verhören. Solltest du dich also weiterhin weigern, mir Rede und Antwort zu stehen, tritt Möglichkeit zwei in Kraft: Ich verlasse mich auf die Aussagen der Anderen und werde dich nach deren Worten verurteilen."
Der Mann knurrte und blitzte Kari wütend an. „Ich unterstelle mich überhaupt nicht deinem Urteil."
Nun blitzten auch die Augen des Jarl drohend auf.
„Erste Frage: Wusstest du, dass dein Fürst König Aaron vergiften wollte, um an seine Sklavin zu kommen?"
Der Mann lachte hämisch auf. „Natürlich wusste ich es. Wir haben es gemeinsam geplant."
„Zweite Frage: Wusstest du, dass Finya unter meinem Schutz steht?"
Erneut grinste der Mann. „Es ist egal was ich antworte. Du wirst mich ohnehin töten. Also ja: Wir wussten es beide. Es wäre eine Genugtuung gewesen, euch beiden derart zu schaden. Der König wäre tot gewesen und du hättest Schande über dich gebracht, weil du diese Sklavin nicht hättest schützen können."
Kari unterdrückte ein Knurren.
„Frage drei - und diese nur der Vollständigkeit halber: Bereust du deine Taten?"
Der Mann begann lauthals zu lachen. „Sehe ich so aus, als ob ich irgend etwas bereuen würde?
Wenn ich etwas bereue, dann, dass ich damals, als du ins Exil gegangen bist, zu weit weg war und dich dadurch nicht töten konnte."
Kari nickte langsam. „Du hast soeben dein Todesurteil unterschrieben."
Die Wache grinste nur. „Mein Urteil ist doch schon längst fest gestanden..."
Nun war es an Kari zu grinsen. Doch anders, als bei der Wache war es kein hämisches, sondern ein kaltes, berechnendes Grinsen.
„Das mag vielleicht sein. Nur die Art deines Todes war noch nicht festgestanden. Ich wäre vielleicht gewillt gewesen, dir einen schnellen und schmerzfreien Tod zu gewähren, aber diese Chance hast du vertan. Dein Tod wird grausam sein."
Der Mann zuckte nur die Schultern. „Andere werden davon erfahren und mich für meine Taten rühmen."
Kopfschüttelnd sah Aaron auf den Mann. „Niemand wird sich an dich erinnern. Niemand wird deine Taten rühmen. Im Gegenteil: Man wird dich als abschreckendere Beispiel nehmen."Ohne den Mann noch weiter zu beachten, gingen Aaron und Kari ans andere Ende des Zeltes, wo Skyldar an einen Pfosten gebunden war.
Auch er sah die beiden Herrscher wütend an. „Ihr habt nicht das Recht, mich hier fest zu halten."
„Ich habe jegliches Recht dazu, denn ich bin dein Jarl, dem du die Treue geschworen hast."
Skyldar blitzte Kari wütend an. „Bist du wirklich so dumm, dass du dachtest, ich würde meinen Eid ehrlich meinen? Meine Treue galt Imperator Aegir. Er wusste wenigstens in Ansätzen, wie man Sklaven richtig behandelt und hat sich oft von mir Rat geholt."
„Du meinst: Wie man Sklaven am Besten quält und foltert."
Skyldar zuckte leicht die Schultern. „Es sind nur Sklaven. Anders lernen sie nicht, was sie zu tun und zu lassen haben. Sie sind nur zum Arbeiten und zum Vergnügen ihres Herren da."
Drohend machte Kari einen Schritt auf Skyldar zu. „Du hast mir die Treue geschworen. Du hast einen Eid abgelegt, deine Sklaven gut zu behandeln. Du hast dein Wort gegeben, sie fair und gerecht zu behandeln. All das hast du gebrochen und mich somit hintergangen. Du hast Verrat an mir geübt."
Skyldar grinste hämisch: „Nein. Ich habe den Eid nicht gebrochen, denn er war nie ernst gemeint."
Karis Blick legte sich kalt und berechnend auf dem Mann, der ihn immer noch angrinste.
„Ein abgelegter Eid ist und bleibt ein abgelegter Eid. Zumal es vor Zeugen geschah. Es ist irrelevant, ob du deine Worte ehrlich gemeint hast oder nicht."
Einen Moment lang schwieg Kari, während sein Blick etwas drohendes annahm.
„Du weißt, welche Strafe unser Volk für einen solchen Verrat vorsieht?"
Urplötzlich wurde Skyldar blass und er begann zu zittern.
„Ich sehe, du erinnerst dich daran. Schon lange wurde diese Strafe nicht mehr vollstreckt, aber mit dir werde ich sie wieder aufleben lassen. Du wirst mich ein letztes Mal wieder sehen, wenn dein Urteil vollstreckt wird."
Während Kari sich bereits umdrehte, begann Skyldar auf einmal zu flehen und zu betteln, doch der Jarl hatte bereits das Zelt verlassen.
Verächtlich blickte Aaron auf Skyldar. „Sei wenigstens jetzt ein ehrenhafter Krieger und nimm deine Strafe an. Es wird sich ohnehin nichts daran ändern."
DU LIEST GERADE
Finya 4
VampireDer Urlaub auf der Insel von Aarons Vater ist zu Ende. Zeit, die Heimreise anzutreten. Doch noch immer ist Aaron und Finya keine Ruhe vergönnt. Ein neuer Widersacher tritt auf, der seine Handlungen nicht mehr nur gegen Finya richtet.